Geräusche der Nacht -58
Als ich zögere, bricht Wolfi den Kadaver auf und frisst etwas davon. Ich hocke mich zu ihm und nehme den Kadaverrest auf. Dann nehme ich einen Pfannkuchen aus meiner Tasche und lasse den Rest des Kaninchens darin verschwinden. Den Pfannkuchen esse ich und fordere Wolfi danach auf, mir weiter zu folgen. Ich bin selbst erstaunt, dass Wolfi an meiner Seite bleibt.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Ich belohne Wolfi in Abständen mit Kaninchenstücken dafür, dass er mir weiter folgt. So eine lange Strecke bin ich bisher noch nie gewandert. Mich zwingend, Schritt für Schritt weiterzugehen, statt meinem Gefühl nachzugeben und mich einfach ins Gras am Wegrand zu setzen, erreichen wir beim Sonnenaufgang meine Heimatstadt. Ich habe in Google-Maps Papas Tierheim als Ziel angegeben. In der Morgendämmerung jagt Wolfi ein weiteres Kaninchen, dass er mit mir teilt.

Als wir Papas Tierheim erreichen ist Wolfi total aufgeregt. Er schnüffelt in alle Richtungen. Ich klingele und hocke mich dann neben Wolfi, um ihn mit Streicheln zu beruhigen. Die Gegensprechanlage knackt. Ich höre "Ja, bitte?"

Schnell rufe ich aus meiner niedrigen Position:
"Matze! Ich bin es, Tessa. Komm bitte heraus und bringe etwas Frischfleisch mit."

Kurz darauf kommt ein Mann, etwas jünger als Papa jetzt wäre, mit einem Kotelett in der Hand auf das Tor zu. Ich bleibe neben Wolfi hocken und rede beruhigend auf ihn ein.

Matze macht große Augen und verhält im Schritt. Ich flehe ihn an:
"Matze, bitte, mach auf!"

Matze öffnet das Tor und fragt nebenbei:
"Wo hast du den denn her?"

Ich habe mich erhoben und gebe Wolfi den letzten Rest Kaninchen. Damit locke ich ihn auf das Gelände des Tierheims. Matze schließt das Tor sofort wieder.

"Ich habe ihn draußen getroffen. Wir haben eine Nacht nebeneinander im selben Unterstand verbracht, bei schlechtem Wetter. Danach ist er mir hierher gefolgt."

"Wo hast du die Wunde an der Stirn her?"

"Wolfi hat damit nichts zu tun. Ich bin im Dunkeln über eine Wurzel gestolpert."

"Hm, Wölfe sind Wildtiere, die sich von Menschen fernhalten. Es sei denn, sie haben Tollwut."

"Dann wäre er nicht so zahm, sondern wäre aggressiv. Er hat mich aber nie gebissen. Ich habe ihm von meinem Proviant abgegeben und durfte ihn streicheln. Danach hat er mich geleckt und ich konnte ihn herlocken. Laut Google-Maps sind wir 66 Kilometer unterwegs gewesen. Wolfi hat mich zweimal zwischendurch verlassen und ist jedesmal wieder zurückgekommen - mit einem Kaninchen im Maul. Er sieht mich wohl als Rudelmitglied an, oder so."

"Hm, dann bring ihn hinten in das größte Gehege!"

"Matze! Du musst Vertrauen zu Wolfi aufbauen, damit er dich akzeptiert. Ich muss irgendwann wieder in die Schule gehen... Deshalb habe ich dich vorhin gebeten Frischfleisch herauszubringen."

"Oh, okay," macht Matze und zeigt Wolfi das Kotelett.

Wolfi drängt sich an Matze und schnappt sich das Fleisch, das er an Ort und Stelle verspeist.