Mittwoch, 7. September 2022
Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 16
Der Gestütsbesitzer setzt sich auf die Sitzbank. Durch mein 'Fenster' kann ich seine Beine sehen. Dann schlenkert er die Zügel und die Stuten ziehen an. Wir verlassen die Haltespur und fädeln uns in den spärlichen Verkehr ein. Bald darauf lässt Mister Wagner die Stuten vor dem Wagen in Trab wechseln. Wir fahren an einigen Wohnblocks vorbei, bis er wieder langsam machen lässt.

Er steigt ab und öffnet ein Tor, in das die Stuten den Wagen hineinziehen. Dann schirrt er die Stuten einzeln ab und bringt sie weg. Bis er die Heckklappe öffnet und sie als Rampe auf den Boden legt, vergeht ziemlich viel Zeit in meinen Augen. Nun kommt er aber zu mir in den Wagen und öffnet die Box. Dabei meint er:

"Okay, dann werde ich dir jetzt deinen neuen Stall zeigen."

Er nimmt die herunterbaumelnde Führleine in die Hand und bewegt sich rückwärts zum offenen Heck des Wagens. Ich folge ihm die Rampe hinunter und lasse mich durch einige offene Türen und Gänge in einen Stall mit mehreren Boxen führen. Hier riecht es nach einer Mischung aus frischer Luft, Stroh, Futter und Schweiß. Der Geruch ist zwar sehr gegenwärtig, aber ich empfinde ihn nicht als unangenehm.

"Dies hier ist deine Box," erklärt Mister Wagner und öffnet eine der Türen auf der linken Seite. Ich gehe einige Schritte hinein. Die Box ist vergleichbar mit der in der Verwaltung. Hier gibt es das gleiche Interieur. Mister Wagner erklärt:

"Mein Gestüt trainiert Sportpferde für Wettbewerbe, Rosa. Du zeigst gute Anlagen für ein Dressurtraining, hat mir die Verwaltung bestätigt. Wir werden sehen!
Ich möchte dir nun deine Mitbewohnerinnen vorstellen: In der Box neben dir wohnt 'Reign'. Sie hat im Hürdenlauf schon einige Preise gewonnen. In der Box direkt gegenüber dir wohnt 'Camille'. Sie ist eine preisgekrönte Langläuferin. Direkt neben ihr wohnt 'Sofie'. Sie hat selbst noch keine Preise erzielt, aber sie begleitet 'Camille' zu jedem Wettkampf. Sie ist wichtig für deren ausgeglichenen Seelenleben und befähigt auf diese Weise 'Camille' in der Spitzengruppe zu bestehen. Die Beiden sind Freundinnen."

'Oh,' denke ich mir. 'Der Mann kümmert sich wirklich vorbildlich!'

Der Mann lässt uns jetzt erst einmal alleine. Mir fällt auf, dass sich in der Decke des Stalles viereckige durchsichtige Flächen befinden, durch die man die Tageslichtlampen an der Höhlendecke sehen kann. In welcher Ebene sich der Stall befindet, kann ich nicht sagen, da die Fahrtrichtungen der Straßen übereinander gelegt wurden, sicher um weniger Platz zu verbrauchen. Aber sehr hoch kann er nicht liegen. Demnach dürfte das Gebäude, in dem der Stall liegt, niedriger als die Wohnblocks sein.

"Schau dich ruhig etwas um, ich bin gleich wieder da," erklärt Mister Wagner und verschließt das Boxentor.

Gleich darauf ist er verschwunden. Ich schaue ihm kurz hinterher, aber er scheint den Stall verlassen zu haben. Nach einer Weile kommt er zurück. Ich habe mich inzwischen an den Pellets und dem Wasser gütlich getan. Er greift wieder nach der Führleine und führt mich auf einen Sandplatz vor dem Stall. Ein Stück weit führt er mich an einem Zaun entlang, dann betreten wir eine Koppel. Der Boden ist kreisrund festgetreten und von der Mitte aus ragt ein Gestell über den Kreis.

'Dies scheint ein Longierzirkel zu sein,' geht mir durch den Kopf.

Mister Wagner tauscht nun die Führleine gegen die Leine aus, die von diesem Gestell herunterhängt.

"Na, dann zeig' mal, was du kannst!" sagt er und lächelt mir aufmunternd zu.

Ich beginne im Schritt und hebe dabei die Oberschenkel an, bis sie waagerecht sind. Die Stange des Gestells folgt mir dabei. Mister Wagner setzt sich auf den Zaun und schaut zu. Nach einigen Runden im Schritt ruft er mir zu:

"Trab!"

Sofort falle ich in die schnellere Gangart und unbestimmte Zeit darauf fordert er laut:

"Galopp!"

Auch diese Gangart führe ich ihm vor, so gut mir es Phyllis beigebracht hat. Ich versuche, mich ihm von meiner besten Seite zu zeigen. So kommt es, dass mein Körper schweißüberströmt ist, als ich endlich anhalten darf. Ich bin völlig fertig und schnappe nach Luft.

"An deiner Kondition müssen wir aber noch arbeiten, meinst du nicht auch?" fragt Mister Wagner und tauscht die beiden Leinen wieder gegeneinander aus.

Eine Melodie pfeifend zieht er mich hinter sich her in den Stall zurück. Dort spritzt er mich erst einmal ab und rubbelt mich trocken. In meiner Box angekommen, befreit er mich von Trense und Kopfgeschirr. Erschöpft lasse ich mich auf mein Schlaflager fallen. Noch immer keuche ich angestrengt. Nur nebenbei bekomme ich mit, wie er das Boxen-Tor schließt und sich entfernt. Irgendwie bin ich froh, jetzt meine Ruhe zu haben.

Als mein Atem wieder ruhiger geht, rappele ich mich noch einmal auf und tauche meinen Kopf in das Wasserbecken. Gierig sauge ich Wasser heraus. Einige Zeit später kommt Mister Wagner in den Stall zurück und beginnt alle vier Futtertröge zu füllen und an die Boxen-Tore zu hängen.

Er wünscht uns "Guten Appetit", und hat kurz darauf den Stall wieder verlassen. Behutsam senke ich meinen Kopf über dem Trog und angele mir die Pellets. Auch Mister Wagner gibt gestiftelte Grünkost hinzu. Innerlich seufzend, beginne ich meinen Hunger zu stillen. Der erste Tag im neuen 'Heim' ist somit überstanden. Das Licht, dass durch die Dachfenster hereinfällt, lässt den Stall immer dämmriger erscheinen. Demnach werden die Tageslichtlampen heruntergeregelt, weil es oben Nacht wird.

Danach gehe ich zu der Wanne mit der Granulat-Füllung an der Wand und stelle mich breitbeinig darüber. Anschließend lasse ich mich auf meiner Schlafstatt nieder und arbeite mir mit einer Schulter eine Kuhle, um bequem auf der Seite liegend schlafen zu können. Trotzdem dauert es eine ganze Zeit, bis ich endlich eingeschlafen bin.

In den nächsten Wochen trainiert Mister Wagner mit mir die Dressur. Dafür hat er neben der Longieranlage ein kleines Dressurfeld angelegt, auf dem ich die einzelnen Übungen trainiere, die ich im Wettkampf vorführen muss. Daneben muss ich täglich eine Zeitlang in der Longieranlage meine Kondition verbessern.

Bald bringt er mich in das Stadion und lässt mich dort den Ablauf einer Dressurprüfung üben, damit ich die Reihenfolge der Übungen und die Weite des Stadions verinnerliche.

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