Wolfskind -03
Er nähert sich mir ungebührlich und will eine intime Geste erzwingen. Ich stoße ihn zurück und stelle fest:
"Ihr Männer dürft mich nicht berühren! Ich hatte noch nicht meine erste Blutung. Halte dich daran!"
Er meint darauf:
"Was soll das? Du bist mir seit Jahren versprochen!"
Ihn abwehrend, erkläre ich:
"Ich bin niemandem versprochen!"
Sein Gesicht verhärtet sich. Er droht mir:
"Deine Mutter kann nichts gegen mich tun. Auch wenn sie eine Hexe ist!"
Ich lasse ihn stehen und betrete unsere Siedlung. Die Frauen, die vor den Zelten sitzen, schauen mir lächelnd entgegen. Ein weiterer Mann kommt nahe an mir vorbei und schaut mich merkwürdig an. Kleinere Kinder hüpfen um mich herum und kündigen meine Rückkehr an. Die Schamanin unseres Clans tritt vor das Zelt. Ich hebe den Kopf des Wolfsfelles an, so dass er Mama anschaut.
Sie begrüßt mich mit ernster Miene:
"Meine Tochter spielt mit ihrem Leben!"
"Ich habe ihn von seinen Qualen erlöst!" antworte ich.
Nun lächelt sie und ruft laut aus, dass jedes Clanmitglied in unserer Siedlung sie hören kann:
"Meine Tochter hat ihre Kindheit hinter sich gelassen. Ab jetzt wird man sie als 'Wolfskind' kennen!"
*
Die Winter sind hier lang und kalt. Wenn viel Schnee fällt ist es schwierig, sich zu orientieren. Denn man darf sich nicht nur auf Gehör und Geruch verlassen. Man muss die Gegend schon oft im Sommer durchwandert haben, um zu wissen, wo Gefahren unter der tiefen Schneedecke lauern. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass einer von uns einen Fehltritt macht.
Wenn man nur mit dem Bauch im Schnee landet und sich dann wieder aufrappelt, ist das soweit in Ordnung. Anders ist das, wenn man sich das Fußgelenk verknackst und nur noch humpelnd auf drei Pfoten vorankommt. Das ist mir vor einigen Tagen passiert. Nun kann ich meine Beute nicht mehr hetzen.
Wäre ich noch ein Rudelmitglied, würden die anderen mich mitversorgen. Aber ich habe mein Rudel vor einigen Monden verlassen, um eine Wölfin zu finden und mit ihr ein eigenes Rudel zu gründen. Jetzt werde ich wohl verhungern müssen, wenn ich nicht zufällig ein Aas finde.
Eine junge Wölfin hat meine Aufmerksamkeit erregt, als ich hier in die Gegend gekommen bin. Sie zeigt mir ein Loch unter einem riesigen Baum, dass sie gegraben hat. Ich finde Gefallen an ihr und etwa zwei Monde später kommen vier Welpen zur Welt. Während sie bei der Fähe saugen, bin ich für die Jagd zuständig. Das kann ich nun leider nicht mehr.
hrpeter am 27. Februar 23
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