Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 19
Als nächstes kümmert er sich um mein Haar. Er träufelt eine farblose Flüssigkeit in seine Handflächen und verteilt sie in mein Haar. Mit einem Kamm stellt er meinen Irokesen wieder auf und kämmt den Rest meiner Frisur. Aus den Schläfenhaaren bindet er zwei Zöpfe, die er hinter den Ohren mit weiteren Haaren verdickt und im Nacken zu einem Zopf zusammenführt.
"So, das hätten wir," meint Mister Wagner jetzt, umrundet mich langsam und prüft dabei, ob meine Mähne ordentlich aussieht.
"Jetzt reiben wir dich noch ein wenig ein, und dann geht?s zum Aufwärmen," erklärt er, nachdem er mit seiner Arbeit zufrieden scheint.
Er führt mich in meine Box zurück und nimmt eine andere kleine Flasche zur Hand. Erneut reibt er seine Hände mit der Substanz ein. Sie fühlen sich schmierig und weich an, als sie über meinen Körper gleiten. Fragend schaue ich meinen Owner an. Das hat er bisher noch nicht gemacht. Aber er scheint meinen Blick nicht zu bemerken, so vertieft ist er in seine Arbeit.
Als er von mir ablässt, schaue ich an mir herunter und erkenne, dass meine Brüste im Licht des Stalles leicht glänzen. Noch einmal schaue ich den Mann fragend an.
"Das ist nur ein bisschen Öl, um deinen Körper noch etwas edler aussehen zu lassen. Ich denke, das ist ein guter Trick gegenüber den Preisrichtern," erklärt er mir.
Kurz darauf führt er mich aus dem Stall. Ein großer Nebenraum, dessen Decke mit vielen Säulen abgestützt ist, hat einen Sandboden. Hier löst er die Führleine vom Zaumzeug und fordert mich auf:
"So, lauf dich erst einmal warm!"
Ich schaue mich kurz um. Zwei weitere Stuten werden schon von ihren Trainern auf den Wettkampf vorbereitet. Also beginne ich mit langsamem Trab an den Wänden des Raumes entlang.
"Okay, das reicht!" ruft Mister Wagner nach meiner dritten Runde. "Was hältst du davon, dass du die Traversale noch ein letztes Mal probst?"
Ich schaue ihn an und werfe den Kopf in den Nacken. Bei der Traversale handelt es sich um den schwierigsten Teil der Dressur.
"Du kannst dort vorne starten und mich als Markierung nehmen. Eingezeichnet ist hier ja leider nichts," meint mein Trainer.
Ich gehe im Schritt zu einer Ecke des Raumes, konzentriere mich kurz und beginne mit der Übung. Wie in den letzten Tagen und Wochen schon so oft, beginne ich den diagonalen Lauf und achte dabei darauf, nicht über die eigenen Hufe zu stolpern.
Dabei laufe ich seitwärts und überkreuze meine Beine bei jedem Schritt, so dass sich eine schräge Laufrichtung ergibt. Ich darf dabei nicht in Laufrichtung schauen. Nur um einen halben Meter verfehle ich Mister Wagner. Der zweite Teil der Traversale gelingt mir sogar noch etwas besser.
"Gut gemacht," lobt er mich und lächelt zufrieden.
"Ein paar Minuten haben wir noch," meint er nach einem prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. "Übe die Volte, bevor wir zum Stadion gehen."
Ich nicke, entferne mich ein paar Meter von meinem Trainer und beginne, langsam um ihn herum zu traben. Dabei achte ich darauf, immer den gleichen Abstand zu ihm einzuhalten.
Endlich ist meine Zeit gekommen. Mister Wagner ruft mich zu sich und befestigt die Führleine wieder an meinem Zaumzeug. Er sieht auch ziemlich angespannt aus. Wir gehen den ausgeschilderten Weg durch die Gänge zum Dressurfeld inmitten des U-förmigen Stadions. Meine Beine fühlen sich kraftvoll, aber trotzdem entspannt an. Gleichzeitig schlägt mein Herz aufgeregt in meiner Brust und ich habe 'Konfetti' im Kopf, das heißt, meine Gedanken wirbeln durcheinander, keiner lässt sich festhalten.
Werde ich es schaffen? Werde ich andere Stuten im Wettkampf eine Chance haben? Was, wenn alles schief geht? Wenn ich die Reihenfolge vergesse? Rasch versuche ich, den Ablauf der Dressur noch einmal im Kopf durchzugehen.
Dann erreichen wir die Tür, durch die wir ins Freie treten und aufs Dressurfeld gelangen können. Wir bleiben stehen. Mister Wagner zieht mich einen Schritt zur Seite.
"Komm, ich muss dir noch die Trense einsetzen," macht er mich aufmerksam.
Unruhig halte ich still, während er die Gummistange zuerst an dem Ring befestigt, der an meiner linken Wange hängt.
"Na komm, mach den Mund ordentlich auf!" fordert er.
Ich öffne meinen Mund und spüre, wie er mir die Trense zwischen die Lippen drückt. Kurz fummelt er an meiner rechten Wange herum, dann ist das Beißstück fest mit meinem Zaumzeug verbunden. Ich nehme den vertrauten Geschmack meiner Trense wahr und atme geräuschvoll aus.
Mein Trainer rückt die Lederriemen des Zaumzeugs noch ein wenig zurecht, bis draußen Applaus aufbrandet. Offenbar ist die Stute vor mir gerade mit ihrer Vorführung fertig geworden. Kurz darauf geht die Schiebetür auf und eine Stute wird von ihrem Trainer an uns vorbeigeführt.
Mister Wagner greift in mein Zaumzeug und dreht meinen Kopf, so dass ich ihn ansehen muss. Nun sagt er mit eindringlicher Stimme:
"Rosa, du schaffst das! Du bist ein absolutes Naturtalent. Also geh jetzt da raus und hole dir deinen Titel!"
hrpeter am 16. September 22
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