Geräusche der Nacht -34
Agnes weiß in ihrem Innersten, dass Markus nicht unrecht hat, und er drängt aus Sorge um sie.

"Lass uns zu 'Dair' gehen!" schlägt Markus vor.

Sie streicht sanft über seine Wange und schlägt einen Kompromiss vor:
"Du kannst zu den Wächtern gehen. Ich bleibe noch ein bisschen."

"Du denkst doch nicht, dass ich dich hier in der Schlangengrube alleine lasse?"

Nein, das glaubt sie selbst nicht. Dafür ist Markus zu verantwortungsbewusst. Sie streift ihre Schuhe ab. Ihre Füße sind wund und schmerzen von den weiten Wegstrecken kreuz und quer durch die Stadt. Markus sieht es und bringt ihr eine Schüssel und ein Tuch. Dann schüttet er aus dem Krug Wasser hinein. Ein Fußbad tut Agnes jetzt gut.

Plötzlich klopft es an die Tür. Markus schaut Agnes an. Sie zögert. Genug Krankheit und Tod für heute! Es klopft erneut. Markus schaut sie wieder an. Sie zuckt die Schultern. Also geht er zur Tür und öffnet.

Besuch aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben! Blond und strahlend vor Glück.

"Agnes! Markus!"

"Sophia! Du meine Güte, was machst du denn hier?"

Sophia kommt wie der Wirbelwind zur Tür herein, hängt kurz an Markus Hals und knuddelt danach Agnes.

"Endlich habe ich euch gefunden, Agnes!"

"Sophia, Liebes. Was machst du denn hier in der Stadt? Wo kommst du her?"

Sophia nimmt Agnes' Kopf in beide Hände und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.

"Wir kommen von Würzburg."

"Wir?"

Agnes schaut zur Tür. Dort steht ein junger Mann im Türrahmen, zu schüchtern um hereinzukommen. Sophia ist dem Blick gefolgt und lächelt.

"Das ist Bastian, mein Begleiter."

"Verstehe. Gott zum Gruße, Bastian."

Sie ist aufgestanden und streckt dem jungen Mann ihre Hand entgegen. Er hat einen festen Händedruck.

"Gott zum Gruße, Frau Brauer. Ich habe schon viel von Euch gehört."

Agnes schnüffelt. Vor ihr steht ein Mensch, durch und durch Mensch.

"Bleibt nicht in der Tür stehen, Bastian. Fühlt Euch wie zu Hause."

Vor etwas über einem Jahr haben sie sich an der Eiche getrennt, nach Sophias erster Wandlung.

"Was macht Ihr so?" fragt Agnes den jungen Mann.

"Ich bin ein wandernder Handwerksgeselle," erklärt dieser. "Ein Tischler. Ich habe hier Verwandte. Eigentlich, wollte ich mich bei einem Meister verdingen, aber da wusste ich noch nicht, was hier vor sich geht."

Agnes beobachtet die Blicke, die sich Sophia und Bastian einander zuwerfen.

'Da ist bestimmt mehr dahinter,' denkt sie.

"Wenn du klug bist, verlässt du die Stadt, so schnell du kannst, Bastian," rät sie ihm.

"Ist es tatsächlich so schlimm?" fragt er mit besorgtem Blick.

Agnes nickt.

"Ja, der schwarze Tod hat die Stadt im Griff!"

Bastian und Sophia wechseln einen Blick.