Montag, 29. Januar 2024
Geräusche der Nacht -31
"Soll ich...?" fragt Agnes und schaut zu Meister Gwydion hinüber.

Der alte Meister lächelt und nickt bestätigend.

"Mach nur, Agnes. So erkenne ich, ob du gut aufgepasst hast."

Agnes holt tief Luft. Wie soll sie das Thema möglichst kindgerecht ausbreiten?

"Also, in uns schlummert ein instinktgesteuertes Wesen, das gerne spontan unüberlegt reagiert. Wir Menschen handeln untereinander aber vernünftig. Wir überlegen uns unser Handeln vorher und entscheiden dann, was wir tun wollen.
Wir lernen hier, wie wir das Wesen in uns - auch du deins in dir - steuern können, wie die Menschen ihren Hund steuern. Du weißt, dass Hunde ihren Herrchen oder Frauchen folgen, wenn ihnen gesagt wird 'SITZ', 'BLEIB', 'ZU MIR' - zum Beispiel. Das macht der Hund, weil er Vertrauen zu seinem Menschen hat. Genauso hier: Wir lernen das Tier in uns und seine Bedürfnisse kennen. Das lässt uns dessen Vertrauen erlangen, so dass es uns gehorcht."

Sophia hat mir gebannt zugehört, ihre Aufmerksamkeit voll auf mich gerichtet.

"Muhme hat mir erzählt, dass in mir eine Seele steckt, die nach meinem Tod ins Paradies kommt."

Agnes lächelt das Mädel an und streicht ihr sanft über die Wange.

"Das stimmt, was deine Muhme gesagt hat. Aber da gibt es mehr in den Menschen. Vielleicht wollte deine Muhme dich nicht ängstigen, und hat deshalb nichts davon erzählt. Nun hast du selbst erlebt, was das Tier im Menschen anrichten kann, wenn man ihm die Macht über sich gibt. Dann wirst du zum Werwolf und tötest andere Menschen. Wenn du aber dem Tier in dir Vertrauen vermittelst und es dir folgt, dann wird es ganz zahm."

"Wirklich?"

"Aber ja, Liebes. Du lernst dein Tier aber erst kennen, wenn du älter wirst. Bis dahin kann es sein, dass dir ein Werwolf begegnet. Aber wir sind immer dabei und beschützen dich. Großes Ehrenwort!"

"Wie könnt ihr mich vor den Bestien beschützen?"

"Nicht mit Waffen! Wir dürfen niemanden töten. Aber wir kämpfen mit Zähnen und Klauen für dich!"

"Wie erlange ich das Vertrauen meines 'inneren Tieres', so dass es zahm wird?"

"Du musst seine Bedürfnisse kennen und gut für es sorgen. Wenn es fordernd wird, lenkst du sein Fordern in akzeptable Grenzen. Du würdest ja einem Hund auch nicht erlauben zu jagen, sondern ihm zu fressen geben und Zuneigung schenken."

"Ich lerne das Tier in mir erst kennen, wenn ich älter werde?"

"Ja, Liebes, du wirst bis dahin noch eine ganze Weile bei uns bleiben und viel lernen."

"Und ihr beschützt mich, damit mir nichts passiert, wie es Tate und Muhme getan haben?"

"Das tun wir, Kleines!"

Sophia trinkt ihren Becher Milch leer.

*