Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 17
Der Stall hat seinen ganz eigenen Geruch. Es ist ein schwerer Duft, der die verschiedenen Noten des Strohs, der hölzernen Wände und Decke und natürlich auch der anwesenden Pferde vereint. Ich mag ihn inzwischen sehr. Ist es doch der Geruch meines Zuhauses geworden und bedeutet gleichzeitig Ruhe und Geborgenheit für mich.

Heute fehlt mir jedoch die innere Ruhe, als ich am Abend in meiner Box stehe. Ich mustere mein Futter appetitlos.

"Nanu? Hast du gar keinen Hunger? Sonst schlingst du doch nach dem Training immer so," wundert sich Mister Wagner, als er das Futter an alle Stuten verteilt hat und beim Weggehen an meiner Box vorbeikommt.

Stumm seufzend schiebe ich ein paar Pellets mit der Nase im Futtertrog umher. Es ist ja wirklich nicht so, dass ich keinen Hunger habe, aber durch meine Nervosität bekomme ich heute einfach nichts herunter. Mister Wagner hat mich zu meinem ersten Wettkampf angemeldet, und der Termin ist morgen.

Morgen werde ich im Dressurring meine Leistung mit anderen Stuten messen müssen. Meine Leistung entscheidet darüber, ob das Training ein Erfolg wird, oder nicht.

Mister Wagner tritt näher und legt mir seine Hand auf meine Schulter.

"Friss wenigstens ein bisschen was, damit du vor Hunger keine Magenschmerzen bekommst," rät er mir mit sanfter Stimme.

Ich nicke ganz leicht und drücke meine Wange an seinen Handrücken. Mit der Zunge angele ich mir ein Pellet und kaue langsam darauf herum. Mein Owner hat schon Recht. Auch ohne Magenschmerzen werde ich wegen meiner Nervosität unruhige Stunden in der Nacht vor mir haben und nicht besonders viel Erholung finden.

Er lehnt sich an die Wand neben der Rüstkammer gegenüber meiner Box und leistet mir Gesellschaft beim Abendessen. Das beruhigt mich ein wenig und ich angele ein zweites Pellet mit meinen Lippen. Ich freue mich, dass er mich mit meiner Angst nicht alleine lässt. Die Angst zu scheitern und zu versagen, habe ich schon als Model gehabt.

Ich angele mir das letzte Pellet aus dem Trog, hebe den Kopf und drehe mich zu Mister Wagner um. Anscheinend ist er mit der Menge zufrieden, die ich gefressen habe.

"Na, siehst du, das war doch ganz ordentlich," meint er und klopft mir sachte auf die Schulter.

Ich gehe zu meiner Schlafstatt und mache es mir dort bequem, während er den Stall verlässt. Mein Owner hat natürlich Recht. Die Pellets haben mir gutgetan. Mein Magen scheint sich beruhigt zu haben, auch wenn meine innere Unruhe nur geringfügig abgenommen hat.

Kurz darauf kommt der Junge in den Stall, der das Konditionstraining der anderen Ponys beaufsichtigt, während sich der Chef speziell um mich kümmert. Er trägt eine Luftmatratze unter dem Arm und legt sie in meiner Box neben meiner Schlafstatt aus. Anschließend setzt er sich darauf und beugt sich vor, damit er mich mit seinen Händen erreichen kann. Nun streichelt er mir sanft meine obenliegende Flanke.

"Sei nicht so aufgeregt!" flüstert er währenddessen. "Du musst morgen nur selbstbewusst sein und dir sagen, dass niemand eine Chance gegen dich hat."

Ich schaue zu dem Jungen hoch. So, wie er es sagt, klingt es ganz einfach. Er steht morgen ja auch nicht in der Arena, beobachtet von tausenden Augen. Ich bin es schließlich, deren Bewegungen, deren Körper benotet werden wird.

Der Junge lächelt.

"Du brauchst mich gar nicht mit so großen Augen ansehen, Rosa. Ich weiß, dass du es kannst! Du musst nur an dich glauben. Das Training in den letzten Wochen lief gut, wie Papa sagt, und ich sehe keinen Grund, warum du morgen nicht gewinnen solltest."

Ich lasse mich auf meine Matratze zurücksinken. Irgendwo hat der Junge wirklich Recht. Dieser grinst mich nun an.

"Der Blick gefällt mir schon besser," befindet er. "Du schaffst das, Rosa. Morgen erringst du einen Treppchenplatz! Da verwette ich mein Taschengeld drauf!"

Ich schaue ihn dankbar an. Dass Mister Wagner und sein Sohn an mich glauben, gibt mir neuen Mut. Er bleibt die ganze Nacht bei mir, um mir Gesellschaft zu leisten. Das lässt tiefe Zuneigung in mir aufkommen. Ich atme die Stallluft ein und schließe die Augen. Morgen werde ich mein Bestes geben und den Beiden zeigen, dass all die Mühen nicht umsonst gewesen sind.

Bevor ich einschlafe, rappele ich mich noch einmal auf und gehe in die hintere Ecke meiner Box. Der Junge beweist Respekt, indem er mir den Rücken zudreht und ich mich erleichtern kann. Ich habe in den vergangenen Wochen die gelben, roten und blauen Turnierschleifen in den anderen Boxen gesehen. Morgen werde ich alles in meiner Macht stehende tun, dass eine erste Schleife auch meine Box zieren wird!

Nachdem ich mich wieder hingelegt und meine Schlafposition gefunden habe, atme ich ein paar Mal langsam und tief ein und aus, ehe ich ganz langsam in einen unruhigen Schlaf sinke.

*

Am Morgen darauf erwache ich aus einem wenig erholsamen Schlaf und öffne blinzelnd die Augen. Der Stall liegt noch größtenteils im Dunkeln, nur der Weg zwischen den Boxen wird schwach erhellt. Neben mir regt sich der Junge, der mir in der Nacht Gesellschaft geleistet hat. Schritte nähern sich leise.

Verschlafen richte ich mich ein wenig auf und versuche, mich an den Traum zu erinnern, aus dem ich gerade geweckt worden bin. Bestimmt ist der Wettkampf das Thema gewesen, aber ich habe keine Ahnung, wie er ausgegangen ist. Der Junge tätschelt mir die Schulter, bevor er sich erhebt und mitsamt seiner Luftmatratze den Stall verlässt.

"Guten Morgen, Rosa," flüstert Mister Wagner und erkundigt sich: "Na, hast du gut geschlafen?"

Er lächelt mir aufmunternd zu. Ich blinzele ihn an. Wirklich gut geschlafen habe ich eigentlich nicht und ich fühle mich auch nicht besonders erholt. Noch sitze ich auf meiner Schlafstatt, also bückt Mister Wagner sich zu mir herunter und streichelt mir sanft über die Wange.

"Sei nicht so nervös. Du hast viel trainiert, und jetzt kannst du den Wettkampf nicht mehr aufhalten. Gib einfach dein Bestes und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Okay?"

Ich nicke. Er hat natürlich Recht. Es bringt nichts, wenn ich mich jetzt verrückt mache - ganz im Gegenteil. Leider lässt sich das Gefühl nicht einfach so abstellen.

"Na komm, jetzt gibt es erst einmal Frühstück," meint er versöhnlich.