Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 20
Ich schaue ihm in die Augen. Keine Zweifel sind sichtbar. Mein Owner glaubt an mich. Er glaubt daran, dass ich ein Champion bin! Ich atme noch einmal tief durch. Ich muss es einfach schaffen, auf das Treppchen zu kommen!

"So ist es gut," meint er und löst die Führleine von meinem Zaumzeug. "Na los, du bist dran!"

*

Ich drehe sich um, durchschreite die Tür und setze mich mit langsamen Schritten in Bewegung. Nach ein paar Metern habe ich den Sichtschutz diente umrundet. Applaus brandet auf. Meine Beine scheinen fast wie von selbst einen Schritt nach dem anderen zu machen, während ich die Eindrücke auf mich wirken lasse.

Dann habe ich das Dressurviereck erreicht. Sofort ertönt die Stimme des Stadionsprechers:

"Startnummer 7 aus dem Gestüt Wagner: Die 23jährige Stute 'Rosa'."

Wieder ertönt ein kurzer Applaus, während ich auf die Startposition zugehe. Mein Herz pocht, als wenn es jeden Moment zerspringen will, gibt mir aber so auch den Takt meiner Schritte vor.

Genau an der Markierung halte ich an, stelle beide Hufe direkt nebeneinander und strecke mich noch einmal, um die erwartete Ausgangshaltung zu präsentieren. Die Menge im Stadion verstummt und wartet gespannt auf meine Dressur-Vorführung. Jetzt gilt es! Noch einmal atme ich tief durch und schließe für einen kurzen Moment die Augen. Ich werde allen zeigen, zu was ich fähig bin!

Ich öffne die Augen und setze sich mit einem sanften Ruck in Bewegung. Im Schritttempo stolziere ich über den sandigen Boden. Die dumpfen Geräusche meiner Hufe scheinen das einzige zu sein, was im ganzen Stadion hörbar ist.

Nun nähere ich mich der Mitte des langen Dressurbahn. Sorgfältig achte ich darauf, die Knie bei jedem Schritt so hoch zu ziehen, dass meine Oberschenkel eine waagerechte Linie bilden. Meine Beine fühlen sich ein wenig steif an, aber das liegt sicher an der Aufregung und wird sich gleich ändern, sobald ich mich auf wichtigere Details meiner Vorführung konzentrieren muss.

Als ich mich der Drittelmarke vor dem Ende der Bahn nähere, muss ich umdrehen. Dazu drehe ich mich auf der Stelle um die eigene Achse, indem ich meine Knie im bisherigen Rhythmus weiter anhebe. Bei jedem Schritt drehe ich mich ein Stückchen weiter um mich selbst, bis ich beinahe wieder in die Richtung schaue, aus der ich gerade gekommen bin.

Dadurch laufe ich einen Schritt zu früh wieder los, wobei ich sofort in einen lockeren Trab verfalle. Da ich deswegen nicht genau die richtige Linie getroffen habe, muss ich meine Richtung etwas korrigieren. Darüber ärgere ich mich sofort. Die Wettkampf-Richter haben das bestimmt bemerkt und ziehen mir wertvolle Punkte ab.

Ich versuche, den Gedanken aus meinem Kopf zu verscheuchen. Ich muss mich jetzt auf die korrekte Vorführung konzentrieren, sonst kann ich einen Treppchenplatz gleich vergessen.

Locker trabe ich auf die Stirnseite des Dressurvierecks zu, biege an der äußeren Begrenzung nach rechts ab und laufe die kurze Seite entlang. Ich werde zunehmend ruhiger und mein Atem gleichmäßiger.

Nun biege ich auf die Längsseite ein und laufe im gleichen Schritt und Rhythmus auf die gegenüberliegende Eckmarkierung zu. Je weiter ich trabe, desto mehr Sicherheit gewinne ich. Die vielen Zuschauer habe ich längst ausgeblendet. Jetzt bin ich ganz in meinem Element, erfüllt von einer zunehmend stärker werdenden Euphorie.

Ich erreiche das Ende der Längsseite. Als nächstes kommt die Aufgabe, die ich in den letzten Wochen öfter geübt habe, als alles andere. Die Traversale.
Ich laufe einen engen Bogen, so dass ich wieder in Richtung des Eingangs schaue. Routiniert setze ich zuerst das linke Bein gerade nach vorne, ehe ich das andere Bein nachziehe und vor meinem linken Huf kreuze. Diesen lasse ich nun einen leichten Bogen nach außen beschreiben, und setze ihn nach vorne. Kaum, dass ein Huf den Boden berührt, schwebt der andere bereits wieder durch die Luft, so dass ich mit geschmeidigen Bewegungen schräg nach vorne laufe.

Vollkommen in meine Schrittfolge versunken, laufe ich mit nach vorne gerichtetem Blick diagonal über den Platz. Zielsicher treffe ich die gewünschte Markierung in der Mitte der gegenüberliegenden Längsseite und ändere sofort die Reihenfolge meiner Schritte. Jetzt ziehe ich das rechte Bein nach außen und setze das linke immer wieder davor.

Ich verfehle die zweite Markierung nur um eine Hufbreite, drehe mich etwas um die eigene Achse und trabe die kurze Seite des Dressurviereckes entlang. Dabei drehe ich Kopf und Oberkörper um etwa 45 Grad in Richtung der Platzmitte. Konzentriert achte ich darauf, trotzdem geradeaus zu laufen und nicht nach innen zu ziehen. Mein Blick haftet dabei auf der mittleren Markierung der Längsseite, der ich mich gerade nähere. Wenn ich nicht genau gerade laufe, werden die Richter mir weitere Punkte abziehen. Da ich jedoch nicht in die Richtung schauen darf, in die ich trabe, ist es alles andere als leicht, keinen Fehler zu machen.

Am Eckpunkt drehe auf die Längsseite ein und verfalle in den Schritt. Jetzt kann ich kurz durchschnaufen. Mein Körper ist schweißüberströmt, aber ich habe die beiden schwierigen Aufgaben gut hinbekommen.

Ich erreiche nun die Mitte der Längsseite. Kurz stelle ich beide Hufe nebeneinander, als würde ich stehenbleiben wollen. Dann hebe ich abwechselnd die Hufe an und drehe mich mit jedem Schritt ein Stück weit um die eigene Achse. Im Schritttempo empfinde ich die Pirouette nicht als leicht. Nach wenigen Sekunden habe ich die Aufgabe erfüllt. Nicht ein einziges Mal haben meine Hufe die weiße Markierung auf dem sandigen Boden verfehlt, so dass ich hier mit der vollen Punktzahl rechnen kann.
Auch den Rest der langen Geraden lege ich im Schritttempo zurück und biege dann auf die Stirnseite ein. Mit jedem weiteren Schritt steigt mein Selbstbewusstsein. Bisher habe ich nur einen kleinen Fehler am Anfang gemacht. Wenn ich mich weiter so gut konzentrierte...

Ich vertreibe den Gedanken. Als ich die Hälfte der kurzen Seite zurückgelegt habe, beginne ich zu traben. Dabei laufe ich in einem Bogen in Richtung der Mitte des Dressurfeldes. Jetzt versuche ich mich an der Volte, also ich laufe einen möglichst perfekten Kreis. Ohne Hilfslinien ist das allerdings gar nicht so einfach. Ich bemerke, dass ich ein Stück zu weit nach außen gekommen bin und korrigiere diesen Fehler, indem ich mich etwas mehr zur Seite drehe.