Samstag, 2. Mai 2020
FLY, der Puppy (10)
„Das ist ja das Problem!“ meint er mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck. „Was soll ich jetzt machen?“
„Am Montag fahren wir zur Industrie- und Handelskammer,“ sage ich. „Dort lösen wir den einen Vertrag und du unterschreibst dafür den Vertrag mit der letzten Firma im Beisein der Beamten dort! Den Ausbildungsvertrag schickst du zu der Firma, und alles ist in Butter!“
„So einfach ist das?“ fragt er erleichtert.
„Jaein,“ winde ich mich um eine klare Aussage. „Einfach ist das nicht, und kann auch abgelehnt werden! Die Leute in der Kammer müssen den Eindruck gewinnen, dass du in der letzten Firma besser aufgehoben bist, als in der davor… Aber ich denke, das schaffen wir!“
Gesagt, getan. Drei Monate danach beginnt Max seine Ausbildung und eine Woche vorher zieht er mit kleinem Gepäck bei mir ein.

*

An Max‘ erstem Ausbildungstag kommt er gegen 17Uhr mit dem Bus aus der Stadt nachhause, stellt seine Tasche im Flur ab und verschwindet im Schlafzimmer. Ich habe ihm eine Ecke im Schrank frei gemacht und dafür das Bettzeug dort herausgenommen und in eine neu erworbene Kommode verstaut.
In der Zwischenzeit habe ich seine Tasche in die Küche gestellt. Morgen früh wird sie mit einem neuen Pausenbrot gefüllt. Dann mache ich uns ein warmes Abendessen. Ich bin damit noch nicht ganz fertig, als ich in den Augenwinkeln eine Bewegung an der Küchentür wahrnehme. Max steht auf allen Vieren dort in seinem bekannten Doggie-Outfit und schaut mir zu.
Unbeeindruckt bereite ich das Essen weiter zu, lächele aber still in mich hinein. Schließlich fülle ich zwei Teller und zerteile seine Portion in mundgerechte Stücke. Ich bringe beide Teller an den Esstisch. FLY streicht mir im Vorbeigehen am Bein entlang. Ein Glas Eistee und sein Getränk in seiner Trinkflasche folgen noch. Auch einen Nachtisch aus Apfelstücken mit Vanillejoghurt bringe ich an den Tisch, bevor ich mich selbst hinsetze und zu essen beginne.
FLY fordert zwischendurch etwas zu trinken und freut sich, dass er seinen Nachtisch Löffel für Löffel zum Abschlecken hingehalten bekommt. Während ich nach dem Essen alles zum Spülbecken trage, verschwindet FLY für kurze Zeit auf der Toilette, um dort kurzzeitig zum Menschen zu werden und sich auf dem WC sitzend zu erleichtern.
Zurück in der Küchentür schaut er, wie ich mit dem Spülen fertig bin und Geschirr und Besteck wegräume. Er ist in der Zwischenzeit im Schlafzimmer gewesen, hat seine Pfotenfäustlinge vom Bett geangelt und trägt sie nun im Mund.
Als ich mich ihm schließlich zuwende, macht er selbständig Männchen und wippt dabei in den Knien. Innerlich grinsend nehme ich ihm die Pfotenfäustlinge aus dem Mund und sage „AB!“. Ich setze mich an den Küchentisch, zeige auf seinen rechten Arm und sage „GIB PFÖTCHEN!“. Er hebt die rechte Hand und lässt sich den Pfotenfäustling überziehen. Genauso verfahre ich mit seiner linken Hand.
Danach erhebe ich mich und gehe zur Couch hinüber. Mich darauf niederlassend, schalte ich das TV ein. Nachdem ich eine interessante Sendung gefunden habe, lehne ich mich zurück und schaue aus den Augenwinkeln, was FLY macht. Er geht kurz unschlüssig auf allen Vieren hin und her, dann legt er sich zu meinen Füßen und schaut mit mir fern.
Zwei Stunden später ist es draußen finster geworden. Nachdem die Sendung beendet ist, schalte ich das TV aus und stehe auf. FLY hebt neugierig den Kopf. Ich nehme seinen Lycra-Overall, den ich ihm einmal gekauft habe, aus dem Schlafzimmerschrank und helfe ihm beim Überziehen. Danach gehe ich zur Wohnungstür, nehme die Hundeleine von der Garderobe und öffne die Tür.
Draußen im Treppenhaus schalte ich das Licht ein und sage „FLY, BEI FUSS!“ FLY kommt aus der Wohnung heraus, die ich nun abschließe, und geht an meiner Seite die Treppe hinunter. Dazu passe ich meine Geschwindigkeit der Seinen an. Vor der Haustür gehen wir zur Wiese hinter dem Haus. Dort sind jetzt keine spielenden Kinder mehr anzutreffen. Ich sage „FREI“ und setze mich auf die Bank am Sandkasten.
FLY tollt über die Wiese. Mehrfach flitzt er an mir vorbei, so schnell das im „Bear Crawl“ auf allen Vieren geht. Dann wälzt er sich im Gras und versucht, am Stamm eines Baumes hochspringend, die unteren Zweige zu erreichen. Plötzlich höre ich Schritte draußen auf dem Gehweg vor der Hecke. Sie kommen näher, entfernen sich dann aber wieder.
Ich schaue mich nach FLY um, kann ihn aber nicht mehr entdecken. Also rufe ich ihn mit gedämpfter Stimme, stehe von der Bank auf und gehe ein paar Schritte über die Wiese. Hinter einem kleinen Gebüsch sehe ich ihn und sage „FLY! ZU MIR!“
Wir machen uns auf den kurzen Rückweg, nachdem ich ihn angeleint habe. In die Wohnung zurückgekehrt, helfe ich ihm aus dem schwarzen Lycra-Anzug. Danach nehme ich meinen Schlafanzug unter dem Kopfkissen hervor und gehe ins Bad, mich umziehen fürs Bett. Anschließend hänge ich meine Kleidung für den nächsten Tag über den Stuhl und schlüpfe unter die Decke meines Bettes. FLY macht es sich derweil auf seinem improvisierten Hundebett bequem.
Am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück spreche ich etwas an, das mir am Morgen beim Aufwachen in den Sinn gekommen ist:
„Max, wenn du einmal arbeitsfrei hast, und ich muss einkaufen gehen oder andere Besorgungen machen – du vielleicht eine halbe Stunde alleine zuhause bist als Doggie – was würdest du tun, um dir die Zeit zu vertreiben?“
Beim Nennen seines Vornamens schaltet er sofort vom Doggie zum Mensch um. Er unterbricht sein Frühstück, setzt sich mit angewinkelten Beinen auf seinen Hintern und schaut zu mir hoch. Nach einigen Sekunden Bedenkzeit antwortet er:
„Hm, ich würde mich vielleicht auf meine Decke zurückziehen und dösen. Schließlich weiß ich ja, dass du nicht lange fortbleibst.“
„Ein Arztbesuch kann aber inklusive Wartezeit auch gerne anderthalb Stunden dauern…“ lasse ich nicht locker.
„Du meinst, wenn es mir allein in der Wohnung zu langweilig wird?“ hakt er nach. „Ich würde mir vielleicht ein Hundespielzeug nehmen und mich eine Zeitlang damit beschäftigen…“
„Nun, wenn Einem langweilig ist – so allein in der Wohnung – kann Einem das Spiel mit einem Hundespielzeug auch bald langweilig werden. Doggie sucht nach Interessanterem. Echte Hunde hat man per Cam schon dabei beobachtet, dass sie beginnen durch die Wohnung zu stromern und herumliegende Gegenstände kurz zum Spielen verwenden, sie schließlich unabsichtlich verstecken, weil sie unter Möbeln rollen. Bei großer Langeweile haben sie sogar an Gardinen gezogen und geschüttelt, bis sie aus der Deckenschiene gerissen wurden…“
Max schaut mich mit großen Augen an.
„Das meinst du doch nicht im Ernst!“ bricht es aus ihm heraus.
„Was?“ frage ich, nun etwas aus dem Konzept gebracht.
„Na, ich soll mich in meiner Rolle wie ein echter Hund benehmen. Soll ich also bei Langeweile die Gardinen herunterreißen, und ähnlichen destruktiven Unsinn?“
Ich lächele verstehend.
„Nein, genau das nicht!“ antworte ich ihm. „Die Wohnung in ein Trümmerfeld verwandeln solltest du unterlassen, sonst müssten wir uns trennen! – Das war es eigentlich, was mich heute Morgen in Gedanken so beschäftigt hat, dass ich das Thema ansprechen musste!
Versuche zu dösen und mit deinem Hundespielzeug zu spielen. Geh auch ruhig auf Entdeckungsreise durch die Wohnung. Lege oder wälze dich auf Bett oder Couch… Wenn dir etwas unter ein Möbelstück rollt, mache mich später darauf aufmerksam! Ich verspreche dir, dass wir dafür später intensiver miteinander spielen werden!“
Max nickt verhalten. In ihm arbeitet es. Dann zeigt er wieder sein fröhliches Gesicht.
„Jetzt solltest du aber zu Ende frühstücken, damit du nicht zu spät zur Arbeit kommst!“ erinnere ich ihn an den Alltag, und packe ihm sein Pausenbrot ein.