Giselle (8)
Nun reiche ich ihr ein Papiertaschentuch und hole einen kleinen Plastikbeutel aus der Jackentasche, für das feuchte Papier. Sie reinigt sich und schließt die Hose wieder.
„Wie war’s?“ frage ich lächelnd.
„Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Ich habe bestimmt den Puls eines Marathonläufers,“ übertreibt sie.
„Ach, Gigi,“ lache ich sie an. „Daran wirst du dich gewöhnen!“
Am späten Mittag sind wir wieder zurück und ich koche uns etwas. Gigi schaut mir dabei über die Schulter und macht kleinere Handreichungen. Am frühen Nachmittag haben wir schließlich Mittag gegessen.
Ich gehe hinüber zur Sitzgruppe und schiebe eine DVD in den Player. Dann starte ich das TV.
„Was ist das für ein Film?“ fragt Gigi.
„Es dreht sich darin um eine junge Frau, die in Tokio als Hündin lebt. Schau einfach mal zu und sag mir nachher, welche Eindrücke du hattest. Bedenke aber, dass das keine Anleitung für uns sein soll!“
Es dämmert schon, als der Film endet. Ich sage zu Gigi:
„Du hattest den Film ‚Die Geschichte der O’ angesprochen, und ich habe dir bestätigt, dass es diesen Lebensstil gibt. Wie er gelebt wird, kommt auf das jeweilige Paar an, da es einvernehmlich bleiben muss! Dann glaube ich, es gibt Menschen, die sich Sklave nennen, ohne es innerlich zu sein. Sie haben Angst, die Grenze zum TPE zu überschreiten, zur ‚totalen Machtübergabe’. Der Gedanke, dass jemand die volle Kontrolle über dich hat, ist für sie ziemlich beängstigend. Wenn du den richtigen Dom oder Owner findest, wirst du sehen, es ist gar nicht so schwer.“
„Aber dafür muss man wirklich den richtigen Halter finden, als Hündin. Und das ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen!“
„Richtig, aber es kommt auf die richtige Methode an, Gigi. Du hast mich im Chat kennen gelernt. Der virtuelle Kontakt reicht bei weitem nicht, den richtigen Hundehalter zu finden! Der persönliche Kontakt Aug in Aug fehlt noch. Nur wenn du bei einem solchen Treffen ‚auf dein Herz hörst’, also was dein Gefühl dir sagt, triffst du die richtige Entscheidung!“
„Ein Restrisiko bleibt trotzdem: Man kann keinem Menschen hinter die Stirn gucken. Welche Beweggründe hat mein Gegenüber? Was fasziniert ihn so an der ‚Hundehaltung’? Man muss fragen, und dann doch rational entscheiden. Und wenn der Gegenüber unehrlich ist, hat man wieder die ‚Arschkarte’ gezogen…“
„Risiken findest du in allen Lebensbereichen, Gigi. Ohne Risiko ist KEIN Leben möglich!“
„Hmmm.“
„Als ich den Film THE PET das erste Mal sah, musste ich lange darüber nachdenken. Was wäre das für ein Leben, wenn ich ein human Doggie besitzen würde. Der echte Hund - wie ein Doggie - hat keine Wünsche, außer den elementaren, wie zufrieden zu leben, Zuwendung zu erhalten. Der echte Hund - wie ein Doggie - braucht sich um nichts kümmern. Die Doggie wie der echte Hund ist gehorsam und sehr gelehrig. Doggie wie der Hund will nicht bestimmen.
Manchmal haben sie Fragen in ihrem Kopf, machen sich über etwas Sorgen, aber der Owner kümmert sich darum und zerstreut die Sorgen.
Der Owner lässt sein Doggie ihre Meinung äußern und es wird darüber gesprochen. Er erlaubt es, das Doggie ihre Meinung äußert, um ein Problem oder eine Sorge aus ihrem Kopf oder Herz heraus zu bekommen. Wenn der Owner es nicht zuließe, könnte es zu einem Zusammenbruch der Kommunikation kommen, der die Beziehung letztendlich zerstören würde. Das beginnt damit, dass die emotionale Nähe zwischen Owner und Doggie an Tiefe verliert.“
„Und du bist so ein Owner, wie du gerade beschrieben hast?“
„Ja,“ sage ich einfach. „Zugegeben, so viele Menschen es gibt, so verschieden sind auch die Charaktere. Also sind auch die Owner grundverschieden und entsprechen nicht zwingend der Beschreibung.“
„Das stimmt. Egoismus ist heutzutage cool. Dominanz, gepaart mit Egoismus, ist besonders cool. Mich an jemand anzulehnen, bedeutete bisher, vereinnahmt und ausgebeutet zu werden…“
„Deinen Ex kannst du nicht dominant nennen. Wenn er das von sich behauptete, hatte er etwas falsch verstanden, Gigi. Wir alle leben natürlich, wie wir leben wollen. Wir haben verschiedene Möglichkeiten und Bedürfnisse. Viele Devotas sind unsicher in ihrem Leben, nicht alle, aber viele. Manch eine braucht eine gewisse Konstanz und Struktur, die sie beim Owner suchen und finden. Das gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit, ihr chaotisches Leben hat ein Ende.
Sie wissen, dass sie geliebt werden, dass man sich ihrer und ihren Problemen annimmt. Im Gegenzug bekommt der Owner alles, was er will, von dem er weiß, es wird ihr nicht schaden.“
„Geben und Nehmen…“
„Ja klar! Das ist der Motor aller Beziehungen, der normalen, wie der Beziehungen mit Machtgefälle!“
Sie lehnt sich an meine Schulter und schließt die Augen. Ich mag diesen Moment nicht stören und lasse sie gewähren. Nach einiger Zeit sage ich mit leiser Stimme:
„Nur sehr wenige verstehen wirklich, wie tief eine Beziehung mit Machtgefälle ist. Die meisten, die unterwürfig sein wollen, verstehen nicht wie jemand freiwillig so viel geben kann, wie jemand als TPE leben und glücklich sein kann. Der Teil des Films eben, als der Owner mit seiner Doggie apportieren spielte, erregte mich sehr. Das ist grenzenloses Vertrauen! Das ist gleichzeitig Verpflichtung und Verantwortung für den Owner!!“
Nach ein paar Minuten antwortet sie: „Einen Owner zu gewinnen, der ein Freund ist, der zuhört, da ist... sanft, voller Verständnis und Interesse... statt nur herum zu kommandieren, und der sich auch einmal als Mensch zeigt, sich mir so anvertraut und zeigt, wie er ist und empfindet... das wäre mein großes Glück und wird es wohl immer mehr!“
Als wir vom Gespräch über den Film schließlich müde werden, ist es schon dunkel draußen. Wir verbringen wieder eine himmlische Nacht miteinander und bleiben am Sonntagmorgen noch lange im Bett liegen. Ich bringe das Frühstück auf einem Tablett mit herausklappbaren Füßen ins Bett und stelle es später daneben. Dann gehen wir gemeinsam duschen und schließlich fahre ich Gigi zum Zug.

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