Giselle (13)
„Wer ist das Doggie, wer der Herr?“ frage ich zurück.
„Ich bin das Doggie…“
„Damit in einer Gruppe nicht jeder SEIN Süppchen kocht, sondern alles geordnet funktioniert, gibt es in jeder Gruppe einen, der den Ton angibt. Sonst entsteht Chaos und die Gruppe zerfällt! Willst du, dass die Gruppe – unsere Herr-Doggie-Beziehung – zerfällt, oder willst du die Nächte weiter genießen, möglicherweise bis eine tiefere emotionale Nähe entsteht als in manchen Vanilla-Beziehungen?“
„Du bist mein Herr! Aber was machst du, wenn ich einmal absolut keine Lust mehr habe, wenn ich womöglich etwas ausbrüte, krank werde?“
„Das Miteinander ist keine gerade Linie, sondern ein ständiges Auf und Ab, Gigi! Auf Hochgefühl folgt zeitliches Desinteresse. Darauf folgt dann wieder ein Hochgefühl, wenn man das Tal überwindet, indem man den Willen aufbringt weiterzumachen! Nur wer diese charakterliche Stärke zeigt und nicht die Brocken hinschmeißt, der zieht daraus persönlichen Gewinn. Der Alltag ist eben nicht immer nur Spaß!
Natürlich muss ich davon wissen! Ich kann keine Gedanken lesen, also musst du mir schon einen Einblick in dein Innerstes geben! Ganz besonders, wenn du dich nicht wohl fühlst! Ich bin dein Herr, das heißt, ich kümmere mich, sorge mich um dich! Du bist mir das Wertvollste, das ich besitze – und das werde ich doch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen! Danach wäre ich um einiges ärmer, denn du bist einzigartig! Dich gibt es nicht ein zweites Mal!“
„Oh, jeder andere Dom würde mich in die Wüste schicken und sich die Nächste ins Haus holen…“ bricht es aus ihr heraus.
„Ich bin ich! Ich bin anders, Gigi. Ich achte dich als Person. Du bist mir kein Spielzeug! Ich respektiere und wertschätze dich, deine Person, dein Engagement in der Sache!“
„Du bist wunderbar, einzigartig. Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle beschreiben soll…“ flüstert sie und drängt sich an mich.
„Geborgenheit, Sicherheit, Freiheit, das zu sein, was du fühlst?“ gebe ich ihr einige Begriffe vor.
„Ja, so könnte man es bestimmt nennen,“ bestätigt sie und schaut mich dabei an.
„Das gibt es aber nicht zum Nulltarif, Gigi!“ erwidere ich. „Wie in allen Beziehungen, gilt auch hier: Geben UND Nehmen im Gleichgewicht halten! Das gilt für mich genauso wie für dich!“
Gigi ist währenddessen wieder selbständig in die SITZ-Stellung gegangen. Ich nehme den ‚Knochen’ vom Boden auf und halte ihn ihr vor die Nase. Wieder schnappt sie danach, und wieder sage ich: „AUS!“
Sie lässt den zusammen gedrehten Waschhandschuh fallen und ich lächele sie an, streichele ihr mit dem Handrücken zart über die Wange und gebe ihr das Leckerlie. Dann nehme ich den ‚Knochen’ und werfe ihn in die gegenüberliegende Zimmerecke. Ich sage HOL und zeige dorthin, wo der ‚Knochen’ liegt.
Gigi läuft los, nimmt das Teil auf und bringt es mir. Jetzt steht sie auf allen Vieren vor mir mit dem Waschhandschuh im Mund und schaut zu mir auf. Ich nehme einen weiteren Schokochip und halte die freie Hand unter ihr Kinn. Dann sage ich AUS. Sie lässt das Teil in meine Hand fallen und erhält dafür ihr Leckerli.
„Das ist ein ganz schön umfangreiches Lernprogramm, Herr!“ sagt sie nun.
‚Oh, sie ist von Zweifeln geplagt? Das ist immer zutiefst menschlich!’ denke ich mir und sage:
„Du denkst, du hast zwar kein Problem, die Fülle der Kommandos zu lernen und mit der Zeit fast automatisch auszuführen – glaubst aber nicht, dass das ein Kommandotraining für echte Hunde sein kann, wegen der Menge der Kommandos? Denke nicht, dass Tiere weniger intelligent seien als Menschen, Gigi! Ihre Intelligenz liegt vielleicht mehr auf anderen Gebieten als bei uns, aber sie haben ein großes Gedächtnis und ein umfangreiches Repertoire sich anderen Hunden mitzuteilen. Was wir beide gerade machen ist vergleichbar dem, wenn du in der Schule Chinesisch-Unterricht nehmen würdest…
Noch etwas zum Apportieren: Draußen in der Natur sind die Wurfstrecken automatisch größer. Hier sind sie ja durch die Zimmerwände begrenzt. Draußen darfst du dich deshalb aufrichten und auf zwei Beinen dem Gegenstand hinterherlaufen!“
„Oh, aber jetzt knurrt mein Magen, Herr…“
Ich muss innerlich grinsen. Es reicht ihr wohl für den Moment… Okay, noch ist nicht aller Tage Abend. Trotzdem ist nicht sie es, die das Tagesprogramm bestimmt!
Darum sage ich schmunzelnd: „Ich bin derjenige, der bestimmt, wann es essen gibt, wann du Gassi gehst, und so weiter! Dennoch höre ich natürlich auf deine Körperreaktionen, auf deine Gefühle, aber niemals darf der Eindruck entstehen, ich würde tun, was du verlangst! Darum ist es wichtig, wenn du solches nonverbal kommunizierst! - Okay, stoppen wir hier. Ich mache uns etwas zu essen, denn auch ich verspüre Hunger.“
In die Küche bereite ich uns etwas zu und teile es auf einen flachen Teller auf für mich und einen tiefen Teller für Gigi. Ihre Portion schneide ich wie immer in mundgerechte Stücke und stelle den Teller vor sie auf den Boden. Dann essen wir und nachher reinige ich sanft ihre Mundpartie. Danach spüle ich die paar Sachen, räume auf und schon ist Zeit, dass ich sie zum Bahnhof nach Koblenz zurückbringe.
Auf der etwa dreiviertelstündigen Fahrt sagt sie unvermittelt aus ihren Gedanken heraus:
„Nie hätte ich geglaubt, dass ein Mann mich bedienen würde! Mein Freund ließ eher SICH bedienen und forderte rundum SEINEN Spaß. Für alles Weitere verwies er auf meine Selbstverantwortung.“
Ich lasse noch einen Moment verstreichen, dann antworte ich ihr:
„Bevor ich die Stelle als Waldläufer bekam und mir nebenbei mit Schnitzereien ein Zubrot verdiente, war ich in der Fahrgastschifffahrt beschäftigt. Gigi, überlege mal: Du möchtest bei einer Tour auf einem Ausflugsdampfer sicher entspannen, die Uferlandschaft genießen – mit einem Wort: Es dir gut gehen lassen. Das kannst du doch nicht, wenn du dabei auf alles Mögliche selbst achten sollst?“
„Neiiiiin…?“ zog sie die Antwort lang und schaut mich vom Beifahrersitz aus an.
„Du möchtest vielmehr, dass die Besatzung die Kontrolle über alles behält und dich mit dem Gefühl, einen wunderbaren Nachmittag gehabt zu haben, wieder von Bord gehen lässt!“ rede ich weiter.
„Ja, natürlich! Schließlich habe ich dafür bezahlt und das gehört zu deren Pflichten!!“ sagt sie mit fester Stimme.