Giselle (22)
„Damit die Halter beschwichtigend in den Streit eingreifen?“
„In letzter Konsequenz, ja, wenn der Streit eskaliert. Aber zuerst ist abzuwarten, ob die/der andere Doggie Beschwichtigungssignale sendet.“
„Was sind denn aber nun Beschwichtigungssignale?“ fragte sie.
Ich freue mich über ihr Interesse und beginne nun, ihr eine Liste von hündischen Verhaltensweisen aufzuzählen:
„Da gibt es eine ganze Menge. Verwende immer das Signal, das dir gefühlsmäßig am ehesten passt! Im Einzelnen sind das: Einmal den Kopf abwenden, sein Gegenüber nicht direkt in die Augen schauen, den Kopf oft erst zur einen, dann zur anderen Seite wenden. Das tut der Hund, wenn er sich bedrängt fühlt, wenn er z.B. von fremden Leuten gestreichelt wird.
Oder den ganzen Körper abwenden, dem anderen die Seite oder auch das Hinterteil zuwenden. Das tut der Hund, wenn er sich stark bedrängt fühlt, z.B. von kleinen Kindern, die zu heftig mit ihm spielen möchten. Es ist die nonverbale Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen.
Dann sich hinsetzen oder hinlegen, evtl. mit dem Rücken zum Gegenüber. Das tut der Hund zur Deeskalation. Er zeigt dieses Verhalten häufig in Verbindung mit dem Abwenden.
Auch: sich klein machen, ducken. Das tut der Hund zur Abwehr von offener Aggression.
Oder er züngelt, leckt sich über die Nase. Dieses Signal ist oft sehr schnell wieder vorbei und wird deshalb vom Menschen eher selten bemerkt. Man sollte es vom Naselecken nach dem Fressen unterscheiden. Beim Beschwichtigungssignal wird die Zunge nur kurz vorne an der Schnauze sichtbar. Es ist häufig ein Zeichen von Unsicherheit.
Zu den Beschwichtigungssignalen gehört auch auf dem Boden herumschnüffeln, buddeln, im weitesten Sinne ‚sich mit etwas anderem beschäftigen‘. Damit zeigt der Hund, dass er an einer Konfrontation nicht interessiert ist. Er fordert so sein Gegenüber auf, ebenfalls auf aggressives Verhalten zu verzichten.
Oder imaginäre Flöhe kratzen. Das tut der Hund, wenn er sich unsicher fühlt. Er demonstriert damit vorsichtshalber erst einmal seine Harmlosigkeit.
Auch Gähnen: Wer gähnt ist alles, aber jedenfalls nicht aggressiv.
Augen zusammenkneifen, blinzeln, habe ich schon angesprochen. Es ist ein Zeichen der Unsicherheit, oder auch eine Bitte freundlich mit ihm umzugehen.
So auch die Vorderpfote anheben. Dies ist eine deutlichere Bitte um Freundlichkeit. Das nutzt der Mensch beim Kommando PFÖTCHEN.
Ebenso zeigt der Hund durch Erstarren, ‚Einfrieren‘, extrem langsame Bewegungen, dass er harmlos ist. Hunde zeigen das oft fremden Hunden gegenüber, während einer Begegnung. Sie teilen sich dadurch gegenseitig mit, dass sie keine bösen Absichten haben. Vor allem rangniedere Hunde verhindern dadurch Aggressionen des ranghöheren Tieres.
Im Bogen auf den Anderen zulaufen, statt direkt in gerader Linie, dient dem gleichen Zweck. Damit teilt der Hund schon auf große Entfernung mit, dass er nicht aggressiv ist und nur friedliche Absichten hat.
Wenn der Hund seinen Vorderkörper tiefstellt und streckt, ist das eine Aufforderung zum Spiel. Das Signal wird oft von charakterfesten gegenüber unsicheren Artgenossen verwendet. Durch die Aufforderung zum Spielen wird die eigene Harmlosigkeit betont.
Das Schwanzwedeln hat sehr unterschiedliche Bedeutungen, aber vor allem in Kombination mit anderen Beschwichtigungssignalen, wie zum Beispiel dem Ducken und den sehr langsamen Bewegungen, wird eine richtige Interpretation möglich.
Es gibt noch weit mehr. Die Liste ist beileibe nicht vollständig. Aber damit hast du schon ein großes Repertoire! Für einen menschlichen Hund, der – einmal in der Rolle – nicht mehr spricht, sondern nonverbale Signale von sich gibt wie sein Vorbild, ist das sicher ein langer Lernprozess, bis er/sie das verinnerlicht hat. Der Weg dahin kann interessant und spaßig sein.“
Es entsteht eine lange Gedankenpause. Dann kam von ihr nur ein „Uff…“
Kurz darauf beginnt Gigi das Gehörte zu rekapitulieren:
„Oh, das Ganze zu verinnerlichen dauert aber bestimmt lange und geht nicht ohne Hilfestellung von dir, Herr!“ spricht sie ihre Gedanken aus.
„Das stimmt, GIGI,“ antworte ich ihr. „Etwas helfen wird dir die Vorstellung, dass ein Schauspieler, ob beim Film oder auf der Bühne – beim Film kann man immer wieder abbrechen und wiederholen, auf der Bühne geht das nicht! – sich ebenfalls in seine Rolle hineindenken muss.“
„Ich bin aber kein Schauspieler?“
„Hast du nie im Kindergarten oder in der Grundschule ein kleines Bühnenstück mit anderen Kindern einstudiert und vor den Eltern aufgeführt?“
„Ja, da war ich aber noch ein Kind!“
„Ah, du meinst, dass ein Erwachsener zu rational sei, um als ‚Häschen’ über eine ‚Wiese’ zu hoppeln bei einem kindlichen Osterstück? Denk mal an die Muppetshow,“ antworte ich ihr grinsend.
„Hör’ mal!“
Oh, Protest? Aufbegehren?
„Du musst einfach deine Phantasie herauslassen, und deine Lebensfreude, GIGI! Wir sind doch unter uns! Niemand lacht dich aus, und ich gebe dir Hilfestellung soviel du brauchst! Sowie Rückmeldung, wie dein Tun bei mir ankommt.
Wichtig ist, dass du dich in die Rolle versenkst und die Mimik und Gestik aus deinem Inneren, aus deinem Gefühl kommt! Sie darf nicht aufgesetzt wirken! Niemand lacht dich jemals aus!!“
„Wie ist das nun: Wenn ich mit einem anderen Doggie auf einer Wiese spiele und wir haben nur ein Spielzeug – sagen wir einen Plüschknochen – und sie lässt mich nicht dran, soll ich nun die Zähne zeigen und knurren, oder soll ich mich abwenden und so tun, als beachte ich sie nicht?“
„Hm, hast du den Knochen und willst alleine damit spielen, würde ich sie an deiner Stelle anknurren. Damit signalisierst du MEINS. Willst du sie mitspielen lassen, musst du zwangsläufig den Knochen fallen lassen, damit sie drankommt.
Das alleine würde aber bedeuten DEINS. Um ihr zu signalisieren LASS UNS GEMEINSAM SPIELEN, solltest du einen halben Schritt zurückgehen und deine Ellenbogen beugen. Dadurch kommt dein Oberkörper tiefer. Schau sie dabei an, aber NICHT DIREKT in ihre Augen. Das bedeutet KOMM, SPIEL MIT MIR. Sie kann nun den Knochen aufnehmen und ihn dir mit einer Kopfbewegung zuwerfen oder sich damit ein paar Schritte entfernen und mit einem Schulterblick überzeugen, dass du ihr folgst. So könntet ihr über die Wiese ‚jagen’ bis sie ihn dir zuwirft, um danach dir hinterher zu ‚jagen’.“