Giselle (25)
„Und all das soll ich also bei dir tunlichst unterlassen?“ fragt Gigi leise mit abgewandtem Blick.
Schmunzelnd antworte ich:
„Ich denke, wenn ich dir das alles jetzt nicht erklärt hätte, hättest du nicht gewusst, warum ich dies oder das nicht als Wohlverhalten mir gegenüber werte. Aber du sollst ja wissen, was die Fremdsprache, die du lernst, bedeutet. Du sollst erkennen, was angemessen ist und was nicht! Es reicht einfach nicht, dich nur einseitig zu lehren – meine Meinung…“
Eine Zeitlang ist Gigi still. An mich gekuschelt arbeitet es in ihrem Kopf. Dann fragt sie:
„Wie erkennt man aber, ob ein Hund sich als Chef, als Alphatier begreift?“
„Da gibt es verschiedenes,“ antworte ich. „Erstens, wenn der Hund an der Leine geht, zieht er dann? Läuft er voraus und hat es den Eindruck, dass er seinen Menschen führt? Oder läuft er brav BEI FUSS oder bleibt gar etwas zurück? Hieraus kannst du schon Schlüsse ziehen.
Ein weiterer Test bei echten Hunden: Er bekommt ein getragenes Kleidungsstück zum Schnüffeln. Die Person, der das gehört, versteckt sich. Der Hund bekommt den Auftrag SUCH. Ein normaler Hund würde beim Aufspüren der Person Laut geben und zurückkommen, das Herrchen hinführen. Ein Hund, der sich als Alphatier begreift, würde sich zu der Person begeben, auch wenn Hindernisse weggeräumt werden müssten – sofern er das schafft. Er würde nicht erst seinen Herrn zu der Stelle führen.“
„Das Zweite kann man aber sicher nicht auf human Doggies anwenden?“
„Nein, GIGI, dazu ist der Geruchssinn des Menschen nicht geeignet! Aber das Erste ist durchaus übertragbar. Ich habe auch schon von mehreren männlichen Doggies, die sich mir anboten, die Bemerkung gehört: ‚Ich ziehe aber an der Leine…’ Sie haben wohl Spaß daran, einen ständigen Kampf um die Vormacht zu führen, wollen ständig wissen, wer ‚der Herr im Haus’ ist. Das artet auf die Dauer aber in Stress aus. Das mag ich nicht, weil der Spaß dann abhanden kommt.“
Wieder entsteht eine Gedankenpause. Dann schaut sie mich unnachahmlich unter den Augenlidern hervor an und sagt:
„Duuu, hast du nicht Hunger bekommen, Herr?“
Ich muss lachen und entgegne ihr:
„Okay, die ‚Vorlesung’ war etwas lang. Das jetzt umzusetzen, wird Wochen oder gar Monate dauern.“
Ich stehe auf und gehe hinüber in die Küche, um uns etwas zu zaubern. Im Stillen denke ich, dass ich nun wohl inkonsequent war, denn nicht ich habe entschieden, dass es nun etwas zu essen gibt. Aber niemand ist perfekt – und manchmal ist es geradezu menschlich, und damit sympathisch, auf seine Devota einzugehen…
Gigi kommt aus der SITZ-Stellung hoch und streicht mir um die Beine, während sie mich in die Küche begleitet. Schnell habe ich etwas zubereitet und auf Teller und Napf verteilt. Wir essen und danach reinige ich ihr, wie üblich, sanft ihre Mund- und Kinnpartie.
In den folgenden Wochen steht das Trainieren des Hundeverhaltens auf dem Programm. Ich lockere das Training auf, indem ich zwischendurch immer wieder Kommandos abfrage und sie für korrekte Ausführung lobe.
Das ist jedoch nicht alles. Entspannung muss genauso sein! So fahren wir zu umliegenden Seen, um dort am Ufer zu liegen und Gigi die Möglichkeit zum sinnfreien Herumtollen zu geben, vier- aber auch zweibeinig, je nachdem ob Passanten zugegen sind oder nicht.
Da lese ich auf der Internetseite für Petplayer, dass der Organisator des Stammtisches in Bad Kreuznach mit einem Bauern vereinbaren konnte, ein Dog-Agility-Wochenende zu veranstalten. Ich mache mich schlau, überweise auch hier einen Unkostenbeitrag und dann fahren wir hin.
Freitags abends kommen wir an und parken im Innenhof eines U-förmigen Gebäudekomplexes zwischen anderen PKWs. Ich steige aus, öffne die Heckklappe und den Transportkäfig und hebe Gigi vorsichtig aus dem Auto. Der Boden des Parkplatzes hat einen Splitbelag. Sie würde möglicherweise kleine Schnittverletzungen oder Hautabschürfungen davontragen. An der Mauer der Wirtschaftsgebäude entlang hat man eine Sisalteppichbahn verlegt. Dort setze ich Gigi ab. Dann gehen wir zum Hauptgebäude im Hintergrund.
Sie schaut mich glücklich lächelnd an und reibt ihre Flanke sanft an meinen Beinen, während sie neben mir her geht.
In der Mitte des Hauptgebäudes ist eine zweiflügelige Eingangstüre, die wir über eine fünfstufige Treppe erreichen. Ein Lederkissen an der Klinke hält den einen Flügel offen. Ich drücke die Tür auf. In dem Moment schaut eine junge Frau von einem Computerarbeitsplatz auf, den man im Entree eingerichtet hat und begrüßt uns.
„Guten Tag. Darf ich nach ihrem Namen fragen?“
Wir gehen auf sie zu. Sie ergänzt:
„Hatten Sie eine gute Anreise?“
Ich bestätige ihr das lächelnd und nenne meinen Namen. Sie schaut auf ihren Bildschirm, nickt und übergibt mir lächelnd einen Zimmerschlüssel mit den Worten:
„Hier die Treppe hinauf geht es zu den Gästezimmern. Schauen Sie sich um und nehmen Sie ihr Zimmer schon mal in Beschlag. Um 20:30 Uhr lädt sie der Chef zu einem kleinen Lichtbildvortag über den Ablauf des Events ein. Es folgt ein Abendessen und danach haben sie Zeit, sich alles anzuschauen. Morgen nach dem Frühstück beginnt unsere Hofolympiade.“
Sie deutet auf eine zweiflügelige Glastüre links von uns, als sie den Vortrag anspricht. Ich nicke ihr zu, nehme den Schlüssel an mich und wende mich zur Treppe ins Obergeschoss. Gigi macht während des kurzen Gesprächs selbständig SITZ neben mir vor dem Schreibtisch und hört aufmerksam zu. Als ich zur Treppe gehe, folgt sie mir und klettert auf allen Vieren die Stufen hoch.
Oben angekommen sehe ich einen langen Gang über der Halle, wo der Vortrag stattfinden soll, mit einem Fenster am Ende und einer Reihe von Zimmertüren rechts und links. Ich schaue auf unseren Schlüssel und gehe zur Tür mit der gleichen Nummer.
Wir treten ein. Das Zimmer ist mit einem Kleiderschrank, einem breiten Bett, einer Couch und – einem Käfig ausgestattet. Auf dem Käfig liegt eine Holzplatte mit Deckchen und Pflanzen. Eine Türe in der Seitenwand erregt meine Neugier. Ich öffne sie und stecke meinen Kopf in den Raum nebenan. Es zeigt sich ein geräumiges Badezimmer mit großer Dusche. Da wir noch eine Dreiviertelstunde Zeit haben, ziehe ich mich geschwinde aus, sage BEI FUSS und gehe zusammen mit Gigi unter die Dusche. Eine halbe Stunde später sind wir wieder unten im Entree. Ich frage die ‚Empfangsdame’, wo wir kurz spazieren gehen könnten. Sie weist zu einer Tür, die der Eingangstür gegenüberliegt.