Giselle (9)
Ein Monat vergeht, bis sie sich wieder ein langes Wochenende frei nehmen kann. Wieder hole ich sie am Bahnhof in Koblenz ab und bringe sie zu mir. Diesmal fällt die Begrüßung am Bahnhof herzlicher aus. Sie hat eine kleine Reisetasche in der einen und den bekannten Karton mit BOOMERS Urne in der anderen Hand.
Ich nehme ihr die Urne ab und gehe mit ihr zum Auto. Zuhause umrunde ich mein Haus zur Hälfte und erreiche den Platz an der Hauswand, wo ich schon ein kleines Loch ausgehoben habe. Das erweitere ich passend zur Größe der Urne. Gigi beugt sich nach unten und legt die Urne in das Loch. Ich sage ein paar Worte, bei denen es um die Hingabe der Katze zum Menschen geht und von seiner Pflicht für ihr Wohl zu sorgen. Dadurch entstände ein Band über den Tod hinaus.
Gigi sinkt aus der Hocke in eine sitzende Stellung zu meinen Füßen und umfasst meine Beine. Nach meinen Worten greife ich nach unten und helfe ihr aufzustehen. Ich sehe eine Träne auf ihrer Wange und streiche sie mit dem Daumen trocken.
Sie hakt sich bei mir ein und wir gehen ins Haus. Drinnen nehme ich ein Spankästchen in die Hand, das ich vor der Abfahrt auf das Garderobenschränkchen gelegt hatte und öffne es. Gigi schaut interessiert zu.
Darinnen befinden sich ein silberfarbener Halsreif mit Ring und eine feine Kette mit Karabinerhaken und Lederschlaufe.
„Das ist mein Halsreif?“ fragt sie und schaut mich lächelnd an.
Ich lege ihn ihr lächelnd in die Hand und sie betrachtet ihn interessiert von allen Seiten, dann gibt sie ihn mir wieder zurück.
Ihr offen in die Augen schauend biege ich den Reif auseinander. Sie hebt die Haare an und macht mit gesenktem Blick den Hals frei. Jetzt lege ich ihr den Halsreif um und verschließe ihn mit einem kleinen Schräubchen, das ich mit einem dünnen Inbusschlüssel fest anziehe.
„Jetzt bin ich deine Hündin!“ stellt sie fest und fühlt nach dem Metallring. Sie macht einen langen Hals dabei und schaut in den Garderobenspiegel.
„Noch nicht ganz,“ sage ich lächelnd. „Erst musst du dich ausziehen.“
Sie beugt sich nach unten und zieht ihre Schuhe aus. Es folgen Top und Hose. Und nach kurzem Zögern auch BH und Slip. Ich lege alles in ihre Reisetasche.
Dann schaut sie mich an.
„Ein menschlicher Hund kann zweibeinig herum gehen – wenn ich das will,“ sage ich sanft. „Seine normale Gangart ist aber vierbeinig.“
Sie lässt sich auf Hände und Knie hinunter und ich öffne eine Schublade am Garderobenschränkchen. Dort nehme ich zwei Knieschoner und zwei Pfotenhandschuhe heraus und gehe nun selbst in die Hocke, um sie ihr anzulegen.
„Das ist für den Anfang, GIGI. Auf Händen und Knien bist du gehandicapt, kommst du kaum vorwärts. Aber alles andere ist ungewohnt und daher noch zu anstrengend für dich. Mache deshalb ruhig immer wieder eine Pause, indem du dich auf die Knie niederlässt!“
„Ah, und wie läuft ein Hund dann?“
„Komm einfach mit deinem Hintern so hoch, dass du Arme und Beine durchstreckst – so gut das eben jetzt geht mit den Knieschonern.“
Sie macht das und ich ziehe eine Augenbraue hoch.
„Spreize ruhig die Beine ab, dann stehst du sicherer – und hebe auch die Fersen vom Boden ab.“
Dann sage ich: „Und jetzt komm soweit wieder runter, bis der Rücken ungefähr waagerecht ist. Die Fersen bleiben oben! Du siehst, deine Knie sind jetzt etwa eine Fußlänge über dem Boden. Du gehst also quasi auf Fäusten und Zehen.“
Sie macht einen Schritt und lässt sich wieder auf die Knie sinken. Dabei schaut sie zweifelnd zu mir hoch.
„Ich weiß, das ist nicht einfach. Die Muskulatur muss sich daran gewöhnen, also musst du diese Gangart trainieren. – Schau mal hier…“ sage ich und nehme mein Handy.
Ich rufe Youtube auf und suche nach einem bestimmten Filmchen. Dort wird eine junge Rumänin vorgestellt, die auf dem Hof ihrer alkoholkranken Eltern unter Hunden aufgewachsen ist. Ich zeige ihr, wie sich die junge Frau im Video bewegt, damit Gigi sieht, dass ich nichts Unmögliches verlange.
Sie schaut sich das Video interessiert an und versucht dann bis zum Schreibtisch und wieder zurück zu mir an der Garderobe im Vierfüßlergang zu laufen. Zurück bei mir schaut sie schüchtern lächelnd zu mir hoch.
Ich beuge mich zu ihr herunter und fahre zart durch ihr Haar.
„Gutes Mädchen,“ lobe ich sie. „Gutes Mädchen.“
Dann richte ich mich wieder auf und sage:
„Eine Hündin kann eigentlich nicht sprechen. Wir sind nicht bei Doktor Doolittle. Trotzdem kann dir jetzt zu Beginn einiges auf der Seele brennen, das raus muss. Dann frag einfach, wenn wir unter vier Augen sind, ‚Darf ich etwas sagen, oder fragen’ und ich erlaube dir, kurzfristig aus deiner Rolle zu gehen! Im Normalfall sprichst du nonverbal mit mir, wie eine Hündin das so tut, durch Gestik und Mimik. – Das heißt nicht, dass du mit den Händen herum fuchteln sollst.“ Ich grinse. „Sondern dein ganzer Körper spricht und drückt deine Gefühle aus! Du reibst deine Wange an meinem Bein, streichst mir um die Beine, bringst mir etwas… Es gibt so viel, was eine Bedeutung bekommt, in dem Augenblick, in dem du es tust!“
Sie senkt zustimmend den Kopf und ich gehe zur Sitzgruppe. Dorthin folgt sie mir und legt sich an meine Füße, als ich mich setze und ein Buch vom Couchtisch nehme. Diesen kleinen Test hat sie bestanden. Nun hat sie heute aber lange im Zug gesessen und etwas Bewegung tut ihr sicherlich gut. Also stehe ich nach etwa einer Viertelstunde wieder auf und gehe zur Verandatür. Ich ziehe die Schiebetür zur Seite und trete nach draußen.
Von dort schaue ich zurück. Gigi hat sich auf die Hände aufgestützt und schaut aufmerksam zu mir herüber. Also sage ich:
„GIGI, ZU MIR!“
Sie steht auf, kommt zu mir und berührt mit ihrer Flanke meinen Oberschenkel. Dabei schaut sie schüchtern lächelnd zu mir auf.
„Als Hündin, musst du sogenannte Hundetricks beherrschen. Das heißt, ich bringe dir bei, auf Kommandos prompt zu reagieren. Das bedeutet, dass du mir voll vertraust und nicht vorher überlegst, ob die Ausführung des Kommandos einen Sinn macht. Zwei kennst du ja nun schon: GIGI bedeutet, ‚ich muss aufmerksam sein, ich bin gemeint.’ Und ZU MIR bedeutet ‚komm her’ und wird gebraucht, wenn ich irgendwo stehe, liege oder sitze, also in Ruhe bin. Ein ähnlich gelagertes Kommando ist BEI FUSS. Das bedeutet ebenfalls ‚komm zu mir’, wenn ich in Bewegung bin. Es beinhaltet also auch ‚Bleib an meiner Seite’.“