Giselle (28)
Sie scheint aus einem Traum zu erwachen.
„Das finde ich so gut von dir, Herr!“ sagt sie, irgendwie ohne Zusammenhang.
Ich frage nach:
„Was findest du so gut, GIGI?“
„Deine ‚gedankenverlorene’ Zärtlichkeiten! Hinter deinem Streicheln steckt also keine bestimmte Absicht, deine Bewegungen sind demnach in intimen Momenten schon mal emotions-, nicht intellektgesteuert! Du bist eben NICHT durch und durch rational…“
„Achso, ja, da hast du wohl recht, Gigi,“ bestätige ich. „Ich kann sehr wohl zielgerichtet vorgehen – im rationalen Alltag – und für uns beide das Bestmögliche herausholen. Aber wenn es intim wird, kommt es immer wieder vor, dass meine Gefühle das Steuer übernehmen. Ich sage dir ja AUCH immer wieder: Lass das Tier in dir raus! Sei emotional! Lebe deine Gefühle! Fühle dich frei – befreit, deine Gefühle heraus zu lassen. Ich gebe dir den Raum dazu! Ich lasse dich sein, wie du innerlich bist – und beschütze dich, kümmere mich!“
Eine Weile genießt sie still. Erst dann erhalte ich eine Antwort:
„Du bist so anders!“ Sie lächelt mich an. „Das Wochenende war geil. So etwas möchte ich öfter mitmachen.“
Nachdem ich ihre Erregung über das Streicheln gesteigert habe, komme ich über sie.

*

Tags darauf nehmen wir das Frühstück noch mit. Dann kriecht Gigi in ihren Transportkäfig und wir fahren wieder nachhause in den Hunsrück.
Ich habe mich während des Wochenendes mit der Herrin des Rüden und dem Herrn einer asiatischen Doggie angefreundet, Adressen und Telefonnummern getauscht. Die Frau kommt aus dem Münchener Umland, während das andere Paar aus Thüringen stammt. Dogplayer wohnen schon sehr weit verstreut in Deutschland.
Zwei Monate nach dem Dog-Agility-Wochenende erhalte ich einen Anruf.
„Franck.“
„Hallo Peter, sag mal, hast du irgendwann einmal Zeit uns zu besuchen? Du weißt, wir sprachen darüber…“
„Richtig, ich bin in der glücklichen Lage, spontan an jedem Wochenende losfahren zu können, das du mir nennst!“
„Okay, das ist schön. Wenn du nichts dagegen hast, dann lade ich auch Michelle aus München dazu ein. Danach rufe ich dich zurück und nenne dir den Termin.“
„Genauso kannst du es machen. Ich freue mich!“
„Bis dann.“
„Ja, bis dann,“ lächele ich ins Telefon, dann trennt Markus Rath die Verbindung.
Drei Wochenenden nach dem Telefonat starten wir zu unserer Fahrt nach Thüringen. Michelle Gschwandner wird mit ihrem Chico ebenfalls da sein. Nach anderthalb Stunden Fahrt mache ich die erste Pause. So dauert die Fahrt ganze fünf Stunden bis wir die angegebene Adresse erreichen. Der Navi leitet mich kurz vor dem Ziel auf einen Feldweg an dessen Ende ein einsam gelegenes Haus steht.
Irgendwie wirkt es anachronistisch in der Landschaft, wo man alte Bauernhöfe vermuten würde. Es sieht eher nach einem modernen Stadthaus aus, wie man sie an Stadträndern zwischen Bäumen und Sträuchern sehen kann. Gut, das Haus versteckt sich ebenfalls zwischen zum Teil hoher Vegetation. Es hat große Glasflächen, so dass man sich von drinnen sicher zwischen Bäumen und Sträuchern wähnt.
Ich parke vor dem Haus, klingele dort und warte, was geschieht. Nicht lange danach öffnet Markus die Tür. Im Hintergrund sehe ich seine Doggie TAPS neugierig um die Ecke schauen. Wir begrüßen uns freundlich, dann lasse ich Gigi aus dem Transportkäfig und wir betreten das Haus. Es sieht sehr weitläufig und offen aus.
Im großen Wohnzimmer begrüßt mich Michelle ebenfalls. Dann sagt Markus:
„Deine GIGI braucht bestimmt etwas Bewegung. Komm, wir gehen eben mal vor die Tür.“
Er öffnet die Tür zur großen Veranda. Dahinter schließt sich eine weitläufige Rasenfläche an, die von einer Hecke begrenzt wird.
„Oh,“ sage ich. „Das Grundstück ist ja riesig!“
Markus lächelt.
„Hier stand ein verfallener Bauernhof. Ich habe ihn abreißen lassen und neu gebaut. Den größten Teil der Ländereien habe ich verkauft, aber es bleibt noch genügend übrig, um unserem Faible zu frönen.“
Er wirft einen Kunststoffknochen, den er mit hinausgenommen und GIGI und TAPS unter die Nase gehalten hat mit großem Schwung auf den Rasen.
Beide, GIGI und TAPS, starten einen Sprint auf zwei Beinen und tatsächlich erreicht GIGI den Knochen als Erste. Sie nimmt ihn auf und rennt im Bogen zurück, da TAPS das Rennen abbricht und sich GIGI zu nähern versucht. Auf der Veranda steckt sie sich den ‚Knochen‘ in den Mund und nähert sich mir auf Fäusten und Zehen.
Ich gehe zu ihr hin, strecke meine Hand aus und halte sie unter ihr Kinn. Dann sage ich AUS, und Gigi lässt den ‚Knochen‘ in meine Hand fallen, während sie mich erwartungsvoll, triumphierend anschaut.
Lächelnd und mit der anderen Hand durch ihr seidiges Haar streichelnd, lobe ich sie:
„Bist ein gutes Mädchen, GIGI, gutes Mädchen!“
TAPS sitzt inzwischen wieder an Markus Füßen und schaut Gigi an. Ich gebe den ‚Knochen‘ an Markus weiter. Michelle und ihr Chico haben der Szenerie zugeschaut. Sie beugt sich zu Gigi hinunter und befühlt ihre Oberschenkel.
„Stramme Schenkel,“ sagt sie.
Lächelnd schaue ich Michelle an.
„GIGI ist seit Jahren Joggerin!“
„Ah,“ macht sie.
„Aber kann sie auch Hundeschwimmen?“ fragt Markus.
„Nnnein,“ ziehe ich die Antwort lang.