Giselle (30)
„Ich schlage einen Kompromiss vor,“ sagt Markus. „Es gibt Ortsteile von ländlichen Kleinstädten und Dörfern, die zwischen einem und zehn Kilometer vom Hauptort entfernt liegen und nie mehr als fünfzig Einwohner hatten – wo jetzt vielleicht nur noch eine Handvoll, meist alte Leute leben.“
„Ja, das wäre der ideale Zielort,“ pflichte ich ihm bei.
Später zeigt uns Markus seine Gästezimmer im Obergeschoß. Dann schlafen wir bald.
Wir verbringen noch ein interessantes Wochenende in Thüringen und sind Sonntagabend wieder zurück im Hunsrück. In den nächsten Wochen frage ich den Waldbesitzer, ob er sich vorstellen könnte, drei bis fünf solcher Blockhäuser beieinander stehen zu haben, wo jetzt nur meins steht. Er schaut mich skeptisch an, also lasse ich die Idee vorerst wieder fallen.

*

Ein Jahr ist inzwischen vergangen. In diesem Jahr waren wir dreimal zu Besuch bei Verwandten. Ich habe ihr dafür ein schönes normales Outfit gekauft, über das sich Gigi sehr gefreut hat, und die Besuche sind sehr harmonisch verlaufen. Niemand hat ihr Benehmen als hündisch klassifiziert. Das wäre meinen Leuten auch ziemlich abwegig erschienen, denke ich mir.
Dennoch geht sie unter vier Augen automatisch auf alle Viere und schmiegt sich an meine Beine oder legt sich zu meinen Füssen. Schließlich spreche ich sie in so einem intimen Moment auf die Anfänge an.
„GIGI, weißt du noch, als du zu mir kamst und ich ein Experiment ins Gespräch brachte?“
Sie hebt den Kopf und lächelt mich in ihrer unnachahmlichen Art an.
„Du weißt es noch,“ bemerke ich, „und es ist inzwischen zu deiner Lebenseinstellung geworden…“
Gigi bewegt den Mund. Ich nicke ihr aufmunternd zu.
„… Selten lernt man so einen Mann kennen. Nirgends könnte ich mich so angenommen und geborgen fühlen, Herr. Du weißt immer, was zu tun ist. Bei dir kann man sich vertrauensvoll fallenlassen…“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit, Gigi. Du weißt mich an der richtigen Stelle zu packen.“
„Aber bei meinem Ex damals und den Liebschaften und kindlichen Schwärmereien davor, gelang mir das nie! Hatten die überhaupt so eine Stelle, wo man sie packen konnte?“
„Tja, Kleines. Heute flüchten viele Männer, wenn sie in die Pflicht genommen werden sollen. Sie verweisen dich auf deine Selbstverantwortung und wollen das ‚süße Leben‘ nicht gegen den harten Alltag tauschen… Diese Leute würden als Gruppenleiter spätestens dann untergehen, wenn sie keine Entscheidung mehr delegieren können. Wenn Aller Augen auf ihnen ruhen und eine einsame Entscheidung gefragt ist…
Hier bewahrheitet sich wieder der alte Spruch von dem Topf und dem Deckel!“
„Wusstest du denn, dass du der Deckel zu meinem Topf bist, Herr?“
„Von Beginn an? Nein, GIGI, so etwas kristallisiert sich mit der Zeit heraus. Vieles spürt das Gefühl aber schon früh, bevor es die Ratio erfasst. DAS aber geht nur im realen Umgang miteinander, nicht mittels der modernen Medien!“
„Was wäre, wenn das Experiment missglückt wäre damals?“
„Du wärst wahrscheinlich aufgestanden, hättest so etwas Ähnliches gesagt, wie ‚Mach doch deinen Scheiß alleine‘ und wärst gegangen. Wir hätten uns aus den Augen verloren und beide weitergesucht.“
GIGI nickt bedächtig.
„Ja, so wäre es wohl gewesen, wenn du dich deiner Verantwortung nicht immer bewusst gewesen wärst oder immer eine Antwort auf egal welches Problem gehabt hättest und immer noch hast. Du bist mein Glück, Herr.“
Sie reibt ihre Wange an mir. Ich beuge mich zu ihr und streichele, wie so oft, über ihr Haar. Sie erhebt sich auf alle Viere und – ich denke sie will auf meine andere Seite – hinter mir steigt sie auf ihre Knie und legt den Arm um mich. Lachend lasse ich mich von ihr stören.
Dann aber drehe ich mich zu ihr um. Erschreckt lässt sie ab von mir und fällt auf alle Viere. Ich frage sie:
„Kannst du dich noch an den Morgen nach der ersten Nacht bei mir erinnern, GIGI? Du warst diejenige, die aufgestanden ist, um das Frühstück zu machen.
Ich werde dich weiter entwickeln! Du bist meine Doggie bisher. Ich habe mich um alles gekümmert. Das soll auch weiterhin so bleiben. Du hast gelernt, auf kurze Kommandos prompt zu reagieren, im Vertrauen darauf, dass alles zu deinem Wohl geschieht. Auch das soll weiterhin so bleiben. Du hast gelernt, deine Gefühle sofort auszuleben, im Jetzt zu leben, nichts aufzuschieben. Alles soll so bleiben wie bisher, auch deine hündischen Verhaltensweisen, soweit sie als Zweibeiner lebbar sind. Jedoch sollst du ab jetzt wieder auf zwei Beinen durch die Welt gehen! Deine Aufgabe für die nächste Zeit wird mit denen von Marilena vergleichbar sein, jedoch bleibt die Hündin in dir weiterhin präsent!“
„Du hilfst mir dabei, Herr?“
„Das ist selbstverständlich, GIGI!“
„Dann schaffe ich auch das.“
„Aber ja, mein Mädchen! Du kannst gar nicht scheitern, denn ich bin bei dir!“