Donnerstag, 24. September 2020
Lexi -02
„Ja,“ meint sie. „Lieber ein andermal.“
„Okay,“ sage ich. „Versprich mir aber, dass du dir therapeutische Hilfe holst!“
„Ja, mache ich!“
‚Hm,‘ denke ich. ‚Das sagt sich leichter, als man es in die Tat umsetzt.‘
Bald bin ich eingeschlafen.
Am nächsten Morgen mache ich uns ein Frühstück und biete ihr an, sie zu der Klinik zu bringen, damit sie sich dort einen Termin holt. Sie nickt nur dazu. Also packe ich sie nach dem Frühstück ins Auto und fahre mit ihr zu der Klinik. Dort macht sie ein paar Voruntersuchungen. Danach folgt ein Gespräch mit dem Facharzt und sie erhält tatsächlich einen Termin. Demnach sieht auch der Arzt eine medizinische Indikation als gegeben an.
Nun ist es Mittag. Also gehen wir auf der Suche nach einem Restaurant durch die Fußgängerzone. Unterwegs kommt mir ein Gedanke. Ich sage zu Alexandra, die neben mir geht:
„Stell dich mal eben vor mich und schau mich an.“
Sie schaut mich verständnislos an, lässt sich aber in die gewünschte Position schieben.
„So, jetzt gehen wir beide in die Hocke,“ sage ich. „Schau mich dabei ruhig weiter an. Die Passanten interessieren uns nicht! Uns könnte ja etwas herunter gefallen sein…“
Sie ahmt mich nach. Als wir uns beide gegenüber hocken, sage ich:
„Und nun setze deine Hände vor deine Knie auf den Boden! Schau ruhig immer noch genau in meine Augen. Fixiere mich.“
Sie setzt ihre Hände vor sich und ist damit im Vierfüßler-Stand. Eine Sekunde lasse ich sie so. Sie beginnt unsicher zu lächeln. Nun sage ich:
„Okay, komm wieder hoch.“
Ich erhebe mich und helfe auch ihr hoch. Dann gehen wir weiter. Bald darauf haben wir ein Fast-Food-Restaurant gefunden, besetzen einen Tisch und schauen in die Karte. Nachdem ich weiß, was sie mag, gehe ich zur Theke und gebe unsere Bestellung ab. Nachdem ich das Tablett erhalten habe, bringe ich es zu unserem Tisch und serviere ihr ihre Bestellung. Wir beginnen mit unserem Mittagessen.
Dabei frage ich wie nebenbei:
„Wie hast du dich eben auf allen Vieren gefühlt?“
„Unsicher,“ meint sie und schaut mir dabei in die Augen. „Und ich habe mich leicht geschämt! Aber du warst ja bei mir…“
„Also könntest du dir vorstellen, dich öfter auf allen Vieren zu bewegen?“
„Aber möglichst nicht, wenn so viele fremde Leute um mich herum sind! Dazu gehören viel Vertrauen und Akzeptanz!“
Ich nicke und pflichte ihr bei:
„Das stimmt: Vertrauen und Akzeptanz. Draußen in der Fußgängerzone auf allen Vieren herumlaufen brauchst du nicht!“
„Wie bist du überhaupt darauf gekommen?“
„Das war ein spontaner Impuls,“ antworte ich ihr. „Du hast mir ja mal von dem Alptraum erzählt, weswegen du einmal bei mir übernachtet hast: Von dem Braunbären und dem Rudel Wölfe… Von sowas kann wohl nur jemand träumen, der in Kasachstan aufgewachsen ist.“
Beim letzten Satz zwinkere ich ihr lächelnd zu.
„Na, hör mal!“ bricht es aus ihr heraus. „Unsere Toscha hat eines Morgens angeschlagen. Bevor Papa im Hof war, hat es gekracht und Toscha hat aufgeheult vor Schmerz. Papa hat seine Flinte geholt und den Bär verscheucht. Toscha wurde verwundet und ist wenige Tage später daran gestorben. Der Bär hatte es auf den Bienenstock abgesehen, der uns ein paar Nebeneinnahmen gebracht hat. Wir mussten danach auch neue Bienen kaufen…“
„Hm,“ mache ich. „Aber denke nun nicht, weil eure Toscha damals tödlich verletzt worden ist und später dann dein Mann früh verstorben ist, du hättest das Unglück gepachtet! Versinke nicht in Selbstmitleid, sondern schaue zuversichtlich in die Zukunft! Wenn du magst, helfe ich dir auf freundschaftlicher Basis.“

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