Freitag, 25. September 2020
Lexi -03
In den folgenden Wochen bin ich öfter bei Alexandra. Wir machen auch ausgedehnte Spaziergänge durch Feld, Wald und Wiesen am Ortsrand. Dann wird sie zur Ausnüchterung für drei Wochen in der Klinik aufgenommen. Ich bekomme ihren Wohnungsschlüssel und versorge sie in der Zeit mit frischer Wäsche und allem, was eine Frau so braucht.
Im Anschluss an den Klinikaufenthalt wird ihr psychologische Betreuung angeraten und auch ein niedergelassener Facharzt genannt. Ich bestärke Alexandra darin, die fachliche Hilfe anzunehmen. Man spürt förmlich, wie sie wieder auflebt. Auch ihre Mutter nimmt mich einmal beiseite, um mich darauf aufmerksam zu machen und mich zu bitten, mich weiter um ihre Tochter zu kümmern.
Dazwischen beim Nachmittagskaffee in der Wohnung unter mir, zeige ich ihr einmal ein Video zum Work-Out-Programm „Bear Crawl“. Ich erkläre dazu:
„Schau einmal hier… In Japan und Nordamerika hauptsächlich gibt es eine After-Work-Gymnastik, die sich ‚BearCrawl‘ nennt. Damit will man die Leute animieren, sich nach stundenlanger Büroarbeit mehr zu bewegen, einen Ausgleich zu schaffen.
Du hast jahrelang mit einem Hund zusammengelebt, als ihr noch in Kasachstan gewohnt habt. Du dürftest also die Gestik und Mimik von Hunden kennen und dich wie ein Hund verhalten können…“
„Ja… Und?“ fragt sie mich mit verständnisloser Miene.
„Erinnere dich an die Szene, als ich dich vor ein paar Monaten in der Fußgängerzone auf alle Viere geschickt habe. Du warst in der Hocke und hast dann deine Hände auf den Boden aufgestützt. Wegen der anderen Leute habe ich mich vor dich gehockt, damit es so aussieht, als ob wir etwas suchen, was dir zu Boden gefallen wäre.“
„Oh ja, das war krass!“ meint sie. „Du willst also, dass ich mich im ‚Bear Crawl‘ bewege und so tue, als wäre ich Toscha?“
„… so als wärst du ‚Lexi‘“ berichtige ich sie. „Toscha ist Vergangenheit! Lexi könnte Alex‘ Zukunft sein, wenn du magst!“
„Dann musst du aber auch Lexis Hundepapa sein, wie Papa der von Toscha war!“ sagt sie mit fester Stimme und schaut mir dabei in die Augen.
„Das will ich gerne!“ antworte ich, nicke lächelnd und lege meine Hand auf ihre.
Daraufhin rutscht sie von der Couch, geht in die Hocke und stützt sich mit den Händen ab. So macht sie eine kleine Runde im Wohnzimmer und nähert sich danach mir, um sich an mir zu reiben. Ich lächele und streichele ihr über den Rücken.
„Genauso!“ sage ich mit sanfter Stimme. „Gern kannst du auch einmal schauen, welches Fitness-Studio in der Stadt ‚Bear Crawl‘ anbietet oder sich vorstellen kann, es anzubieten. Das lässt dich mit der Zeit sicherer werden, und du hättest eine Beschäftigung, die dich nicht mehr ins Grübeln fallen lässt.“
Alex‘ macht eine Schnute und fragt mit enttäuschter Stimme:
„Ich dachte, du wärst mein Fitnesscoach?“
Ich grinse und meine:
„Gern, aber ich habe keine Fitnessgeräte und einen entsprechenden Raum mit entsprechendem Bodenbelag.“
„Geht das denn nicht überall?“ fragt sie zurück.
„Theoretisch ja… Okay, dann besorge ich Pfotenschuhe XXL im Hundeshop und was es da sonst noch so alles gibt!“

*

Zwei Tage darauf ergibt sich die Gelegenheit und wir gehen zusammen in den Raiffeisen-Shop im Industriegebiet. Ich führe sie zu den Accessoires und wir probieren einiges aus. Nach vielleicht fünf Minuten zwischen den Regalen kommt wie zufällig die Verkäuferin vorbei.
Ich habe gerade das Hundehalsband in der Hand, das mir Alex‘ gezeigt hat. Es ist leider ein paar Zentimeter zu kurz. Spontan spreche ich die Verkäuferin an:
„Entschuldigen Sie bitte! Haben Sie dieses Halsband vielleicht auch eine Nummer größer – also länger?“
Die Verkäuferin schaut erstaunt wechselweise mich, Alexandra und dann wieder mich an.