Donnerstag, 12. November 2020
Chico (4)
„Das geht klar, Madam Estelle!“
„Die Hecke muss nach der Wachstumsphase ebenfalls geschnitten werden. Dazu stellst du zwei Klappleitern auf und legst ein Brett von einer Leiter zur anderen! Du hast doch keine Höhenangst?“
„Aber nein, Madam! Außerdem sind das doch nur zwei Meter!“
„Du musst die elektrische Heckenschere bedienen. Die kann ganz schön schwer werden, bis die Hecke fertig ist!“
„Das schaffe ich schon!“
„Sag mal, Chico! Du tust gerade so, als könntest du alles… Ich werde an den kommenden Wochenenden ein Auge darauf haben, das sage ich dir!“
Er legte den Kopf schief und schaute mich so treuherzig an, dass ich lachen musste.
„Okay, Chico, wir werden sehen, wie du dich machst! Ich werde unseren Mechaniker nächsten Samstag her bestellen, damit er dir die Handhabung der Geräte erklärt!“
Wir gingen zum Haus zurück und über die Terrasse wieder zu unseren Sitzplätzen im Wohnzimmer.
„Madam Estelle…“ begann er schüchtern.
„Jaaa?“
„Der Zwinger…“
„… steht einstweilen zur Ansicht hier und wird abends im Chat virtuell von dir benutzt,“ sagte ich.
Er sackte ein wenig in sich zusammen.
„Du wärest gerne auch real mein Doggie, Chico?“
„Dann würde sich eine große Sehnsucht erfüllen!“ Sein Rückgrat ist wieder gerade aufgerichtet und er schaut mir fest in die Augen.
„Hm,“ mache ich. „Während deiner möglichen Ausbildung bei mir, falls du keine andere findest, wäre das nicht gut!“
„Bitteee…“
„Chicooo…“ Ich lache. „Du kannst meinetwegen in kurzen Sessions – hier und da mal einen Abend – in die Rolle schlüpfen.“
„Vielen, vielen Dank, Madam Estelle! Vielen, vielen Dank!“
Er strahlt über sein ganzes Gesicht. Die Augen blitzen und die Mund scheint von Ohrläppchen zu Ohrläppchen zu reichen.
„Hm,“ sage ich mit einen Blick auf die Uhr. „Dein Bus ist eben durch. Wann wolltest du wieder zuhause sein?“
„Ich habe kein Limit,“ antwortet er mit treuherzigem Lächeln.
„Du bist ein Schlingel, Chico! Na gut, du bleibst zum Mittagessen und fährst heute Nachmittag wieder zurück nach Hause!“

*

Mein Name ist Justin Winkler. Ich bin sehr klein und zierlich. In der Schule war ich der Kleinste in meiner Klasse. Aber komischerweise war ich dadurch nicht benachteiligt. Jedesmal wenn ein größerer Junge sich an mir abreagieren wollte, stellten sich zwei Freunde von mir dazwischen und nicht selten spürten die Jungs eine Faust von meinen Freunden. Bald ließ man mich in Ruhe. Aber dann wurde ich hinter der Hand als ‚Schwuli‘ verunglimpft, wohl auch, weil ich mit einem der beiden Großen nach der Schule die Nachmittage verbrachte. Wir zockten am Computer. Bald spielten wir online.
Später, als ich mich für Mädchen zu interessieren begann, erntete ich von den meist Größeren viel Nichtbeachtung. Ich war wohl zu unscheinbar – irgendwie nicht männlich genug. Meine schüchternen Annäherungsversuche waren nie so recht von Erfolg gekrönt.
Als Jugendlicher ging ich jeden Mittwochabend ins Pfarrheim. Dort wurde von der Pfarrjugend eine Diskothek veranstaltet von 19 bis 22Uhr.
Die Schwester meines Freundes hat mich letztes Jahr dort auf der Tanzfläche stehen gelassen, als ein Anderer zur Tür herein kam. Das musste anders werden, dachte ich mir. Ich surfte also im Internet. Die dunkle Seite des Sex‘ im Internet faszinierte mich anfangs. Alles war neu.
Aber ich suchte weiter. Meine Neugier war geweckt. Da fand ich sogenannte Fetisch-Seiten. Mein Gott, was es nicht alles gibt! Was Menschen alles erregen kann, das erstaunte mich sehr und ich las, was die Leute darüber schrieben. Bald entdeckte ich die Pet-Player im Netz. Zusätzlich zu deren Internet-Auftritt treffen sie sich in allen größeren Städten regelmäßig zu Stammtischen. Dorthin zu gehen in unserer Stadt, traute ich mich aber nicht. Ich begann bald den Chat mitzulesen.