Dienstag, 17. November 2020
Chico (9)
Damit ich dabei nicht verkrampfte, führte sie zum Arbeitsbeginn, zur Mittagspause und zum Feierabend hin eine 15-minütige Gymnastik ein. Kleine Aufmüpfigkeiten, zu viele Rückfragen oder Fehler bei der Ausführung der mir übertragenen Arbeiten brachten mir noch am gleichen Tag weitere Überstunden ein.
Jedoch war mir das alles egal. Hauptsache, ich konnte in Ihrer Nähe sein, ihr gefallen, sie durch Gehorsam erfreuen und stolz auf mich machen. Diese Spirale drehte sich immer weiter, da es mir Spaß machte. Ich hatte in ihrer Nähe Schmetterlinge im Bauch.
Ich erlebte ein Zuckerbrot-und-Peitsche-Dasein. Sie bestrafte mich für Versäumnisse und offensichtliche Faulheit, und belohnte mich für meinen Fleiß, wobei das erste sicherlich wesentlich häufiger eintrat.
Am Ende meiner Ausbildung und bestandener Prüfung sagte Madam Estelle dann überraschenderweise, das müsse gefeiert werden. Ich fiel total aus den Wolken und war bereits Tage vorher hypernervös und aufgeregt.
Am folgenden Wochenende kamen in kurzen Zeitabständen gegen Abend vier Kleintransporter an. Aus ihnen entstiegen drei Paare und eine einzelne Frau in festlicher Kleidung, Anzug und Abendkleid. Alle gingen sie zuerst an die Hecktüre oder an eine seitliche Schiebetür und dort verließ je ein Doggie den Wagen.
Ich zitterte vor Aufregung. War das heute der Einstand als Madams Doggie für mich? Der offizielle Aufhänger des heutigen Abends war ja wohl meine bestandene Prüfung!
Madam Estelle begrüßte die Gäste und die Doggies, drei männliche und ein weibliches, schauten interessiert.
Die drei Angestellten von Madam hatten heute frei. Männerbesuche waren abgesagt worden. Stattdessen hatten sie Dienstmädchen-Kleidung an und bedienten die Gäste.
Wir Doggies hielten uns während des Essens neben unseren Herren und Herrinnen auf und hatten stilecht Näpfe an unseren Plätzen stehen.
Plötzlich regte sich bei mir die Blase. Ich sah zu Madam hoch und rieb mich an ihrem Bein. Sie unterbrach ihr Gespräch jedoch nicht, sondern tastete nach mir und begann mir den Nacken sanft zu massieren. Ich kräuselte die Stirn und überlegte. Was würde ein echter Hund in dieser Situation machen?
Ein Gedanke zuckte auf und ich lächelte. ‚Ja, so mache ich es!‘
Ich stand auf, drehte mich zur Garderobe und fasste dort meine Leine mit dem Mund. Sie lag auf dem niedrigen Schränkchen, leicht auf allen Vieren zu erreichen, wie ich vorhin gesehen hatte. Mit der Leine lief ich zurück zu Madam und stupste sie treuherzig schauend an. Sie sah zu mir herunter, lachte kurz auf und sagte zu einem ihrer Angestellten:
„Marina, geh mit Chico Gassi!“
Die junge Frau, nicht wesentlich älter als ich, setzte ihr Tablett ab, nahm mir die Leine aus der Hand und machte wie selbstverständlich den Karabinerhaken an meinem Halsband fest. Dann ging sie mit mir zur Terrassentür und öffnete sie. Draußen steuerte sie gleich den Busch inmitten des Rasens an. Das Ganze war mir etwas peinlich, auch weil sich alle Gäste zu mir umwandten. Die Geräuschkulisse des Gesprächs war erstorben. Jeder achtete auf mich.
Draußen goss ich den Busch mit dem Hinterteil zur Terrasse. Zuviel sollten die fremden Leute nicht sehen! Als wir wieder zurück im Wohnzimmer waren, durfte ich mich auf meine Decke in der Zimmerecke zurückziehen. Mit halb geschlossenen Augen beobachtete ich die Szene weiter und sah, dass nun ein Doggie nach dem Anderen auf die Wiese geführt wurde.
Dann war das Essen fertig. Die Herren und Herrinnen standen auf und gingen mit ihren Doggies im Garten spazieren, während Madam ihre Angestellten dirigierte. Während eine in der Küche verschwand, holte Madam mit den beiden Anderen verschiedene Geräte aus einem Schuppen, was ich an den Geräuschen mutmaßte. Sehen konnte ich das von meinem Platz aus nicht.
Dann aber rief mich Madam „Chico, zu mir!“ und ich sah, dass sie einen kleinen Parcours auf die Wiese gestellt hatte. Nun wartete sie, bis alle Gäste von ihrem Spaziergang zurück waren.
Als alle wieder auf der Terrasse standen, rief sie mich wieder zu sich und sagte: „Bei Fuss!“ Das bedeutete, dass ich im Abstand von etwa dreißig Zentimetern neben ihr her gehen sollte.
Sie steuerte den Parcours an. Als erstes war dort eine Stange locker auf zwei Böcke gelegt worden. Während Madam darüber stieg, musste ich mich flach machen, um ihr ‚bei Fuss‘ zu folgen. Denn die Stange durfte nicht herunterfallen, hatte mir Madam erklärt. Sie wollte wohl den Gästen zeigen, was ich an den vergangenen Wochenenden gelernt hatte.