Yamato Meinu - 06
Ich habe in den vergangenen Wochen nach einer Hundeschule gesucht, um nebenbei ein Seminar für die Nonverbale Kommunikation machen zu können. Das ist allerdings ein schwieriges Unterfangen gewesen:
Eine Meinu-Do, eine Schule für Hündinnen, hat meine Aufmerksamkeit erregt. Einer meiner japanischen Kommilitonen hat das Wort in einem Gespräch benutzt und ich habe zuhause in meinem Studentenzimmer recherchiert. Dann habe ich eine Telefonnummer angerufen:
„Hai -Ja-, ich heiße Ariella St.Albert aus Kanada, und studiere hier an der Uni. Dort hörte ich, dass Sie ein Seminar für die Nonverbale Kommunikation der Meidu anbiete. Das interessiert mich sehr!“
Man erklärt mir, dass man sich bald mit mir in Verbindung setzen wird.
Wenige Tage später betritt ein Okyakusama -Kunde- das Juweliergeschäft. Mein Chef hat mir eingeschärft, die Kunden an der Tür zu begrüßen und sie herum zu führen. Also trete ich näher an ihn heran und verbeuge mich in der hier üblichen Art, um ihn danach zu fragen, welchen besonderen Wunsch er hat.
Er lässt sich von mir verschiedene Schmuckstücke hinter Sicherheitsglas zeigen und die Zusammensetzung der Edelmetalle erklären. Bei den Colliers verbleiben wir längere Zeit. Dann soll ich ein rubinbesetztes Collier herausnehmen. Er befühlt es und fragt, ob ich es für ihn anlegen soll, damit er die Wirkung an einer Frau sieht.
Dabei erzählt er mir, dass er Fotograf ist und für eine große Organisation arbeitet.
„Wenn Sie mögen, kommen Sie doch zu Probeaufnahmen in mein Studio?“ fragt er.
In meinem Kopf drehen sich die Gedanken. Ich bin erregt. Wenn meine Aufnahmen an der richtigen Stelle landen und ich dem gesuchten Typ entspreche, bietet sich mir vielleicht ein Durchbruch, eine Chance. Ich könnte eine Menge Geld verdienen…
Der Mann beobachtet mich und stellt fest:
„Anscheinend sind Sie interessiert.“
„Eigentlich nicht,“ antworte ich achselzuckend, um ihm meine Gedanken nicht gleich zu offenbaren. Vielleicht auch, um im Erfolgsfall meinen Wert steigern zu können?
„Koketterie bei Frauen dulden wir hier nicht!“ sagt der Okyakusama -Kunde- daraufhin in einem Ton, der ein Gefühl erzeugt, als müsse ich sogleich im Boden versinken. Meine Knie werden weich.
Mit flatternden Augenlidern versuche ich mich zu rechtfertigen:
„Ich kenne Sie doch kaum, Okyakusama!“
„Aber Sie werden es tun, nicht wahr?“ fragt er in dem gleichen bestimmenden Tonfall.
Ich komme mir vor, als stehe ich neben mir, und die ‚fremde‘ Frau senkt den Kopf. Sie bestätigt leise: „Ja.“
Der Senpai -Respektperson- kauft einen schmucklosen Metall-Halsreif mit kleinem Stein, händigt mir beim Verlassen des Geschäfts seine Visitenkarte aus und sagt:
„Kommen Sie zu dieser Anschrift! Und zwar am Mittwochvormittag pünktlich um 10 Uhr. Ich erwarte Sie dann!“

*

An einem anderen Vormittag, ich habe wieder einen Termin bei dem Fotografen, soll ich einen gewagten Bikini anziehen, darüber ein dreieckiges Tuch und mich in eine Kiste mit Sand stellen. Eine Strandszene läuft im Hintergrund auf einem großen Monitor. Der Fotograf lässt mich nun in schneller Folge verschiedene Posen einnehmen. Ein Ventilator simuliert den Wind. So kann ich auch die Hitze der Scheinwerfer besser ertragen.
Ich denke bei mir, dass es Männern Freude zu machen scheint, eine Frau derart herumzukommandieren, ganz besonders die japanischen Männer! Tief drinnen fühle ich aber auch Spaß an der Sache. Ohne Zweifel bin ich hübsch.
Zwei Männer sitzen im Hintergrund und unterhalten sich. Fetzen der Unterhaltung dringen hin und wieder zu mir durch:
„Sie ist hübsch!“ sagt einer der Männer gerade.
„Hübsch genug für eine Meido!“ antwortet der Andere.
„Sie wird bald eine sein!“ meint der Erste daraufhin und nickt.
Ich weiß nicht, worüber sie sprechen und messe der Unterhaltung wenig Bedeutung zu.
Die Kamera klickt.
„Jetzt lächeln Sie, Ariella-San!“ sagt der Fotograf gerade. „Gut!“
„Sie ist gut!“ meint einer der anderen Männer.
Die Männer sind mit mir, dem Amateur-Model zufrieden. Das freut mich.
„Sie können sich wieder umziehen, Ariella-San!“ sagt der Fotograf und lächelt mir aufmunternd zu.
„Danke, Ito-Sama,“ erwidere ich und gehe in den Umkleideraum, wo meine Sachen liegen. Auf seiner Visitenkarte habe ich seinen Familiennamen Ito gelesen. Als ich herauskomme, zieht der Wortführer der Männer eine Augenbraue hoch. Er scheint mit meiner Aufmachung nicht einverstanden zu sein. Irgendwie erregt es mich, wenn ich in der Nähe solcher Männer bin. Sie gehören einem Typ Mann an, der in mir den unerklärlichen Drang auslöst, meine Selbständigkeit aufzugeben.
Ich habe hier in Japan oft Frauen kennengelernt, die tun was der Mann sagt. Das hat in mir die Frage aufgeworfen, ob an den japanischen Frauen die Emanzipation vorbeigegangen ist. Treffe ich die gleiche Frau aber alleine, dann kann sie sich durchaus durchsetzen. Diese Diskrepanz hat mich hier schon oft verwirrt.
Anschließend verlasse ich das Studio und gehe etwas essen, bevor ich mich auf den Heimweg mache.
Eine Woche später erhalte ich einen Anruf auf meinem Handy, dummerweise genau in einer Vorlesung. Daher reagiere ich zunächst etwas gereizt.
„Aisatsu -hallo-?“ flüstere ich ins Handy.
„Sie sind ausgewählt worden, Ariella-San,“ sagt der Anrufer. „Kommen Sie am nächsten Dienstag wieder um 10 Uhr zum Studio!“
Wozu bin ich ausgewählt worden, frage ich mich. Hat ein großer Modekonzern Interesse an mir? Fast zwei Wochen nach meinem letzten Fotoshooting stehe ich am Dienstagvormittag wieder an der Tür des Studios und klingele.