Yamato Meinu - 10
Nachdem ein dreiviertel Jahr vergangen ist, ziehen wir in unsere neue Hundeschule ein. Wir fahren dazu über einen Highway in die Ausläufer der nahen Rockies. Irgendwann biegen wir auf einen Privatweg ab, bis wir einen großzügigen Parkplatz erreichen, auf dem schon einige SUVs stehen. Wir parken dort ebenfalls und steigen aus. Nachdem auch mein Vater aus dem Wagen geklettert ist, gehen wir auf das Gebäude zu, bzw. auf das, was man zwischen den Bäumen am Rand des Parkplatzes sehen kann.
Es ist ein Satteldach, das etwa fünf Meter hoch ist und aus zwei schrägen Glaswänden besteht, etwa zwei Meter tief. Jason drückt die gläserne Doppeltür auf und wir betreten ein großzügiges Foyer. Eine junge Japanerin erhebt sich hinter einer Theke und kommt hervor. Sie neigt ihren geraden Oberkörper leicht vor Jason und fragt lächelnd:
„Hat der Herr einen besonderen Wunsch?“
Jason neigt den Kopf leicht und antwortet ihr:
„Nein, Masako-Chan. Ich zeige meinem Schwiegervater die Anlage.“
Sie verneigt sich noch einmal und ebenso vor meinem Vater, bevor sie wieder hinter der Theke verschwindet.
„Das geht ja schon gut los!“ meint Dad. „Wenn du für die Pforte schon Gehalt bezahlen musst, was kommt dann noch? Da musst du aber einen hohen Stundensatz nehmen!“
Ich kann es mir nicht verkneifen zu antworten:
„Das kommt noch besser, Daddy!“
Wir gehen weiter und stehen vor einem Lastenaufzug, der aussieht wie ein kleiner Zwinger oder ein großer Käfig.
„Die Hunde der Kundschaft werden hierüber in die untere Etage gebracht,“ erklärt Jason. „Die Kundschaft selbst kann sich dort in der Bar entspannen, wenn sie nur ein oder zwei Stunden gebucht haben und den Hund danach am Aufzug wieder in Empfang nehmen.“
„Und das alles muss in den Stundensatz eingepflegt werden,“ murmelt Daddy vor sich hin.
„Wer gerne japanisch essen oder eine Teezeremonie erleben will, kann natürlich auch ohne Hund kommen!“ meine ich. „Einfach nur zum Essengehen…“
„Ah, ihr habt auch eine Gastronomie!“ merkt Dad auf.
Wir gehen eine Treppe hinunter. Ich zeige nach rechts und sage:
„Dort ist die zentrale Küche für das Restaurant und die Belegschaft. Auch die Hundenäpfe werden dort gefüllt!“
Wir gehen links einen Gang entlang auf dessen rechter Seite ein Zwinger neben dem Anderen steht, die jetzt allerdings noch leer stehen. Links gehen mehrere Türen vom Gang ab. Jason öffnet einige und zeigt verschiedengroße Trainingsräume.
„Trainiert ihr denn nicht in der freien Natur?“ fragt Dad.
„Aber sicher!“ meint Jason und deutet auf Türen in der gegenüberliegenden Wand. „Das sind Außentüren.“
„Unter uns,“ erkläre ich Daddy dann noch, „liegen die Heizungs-, Geräte-, Werkstatträume und Lebensmittellager. Über einen Parallelgang kommen wir zu den Wohnungen der Angestellten, wenn sie nicht in der Stadt wohnen.“
„Ja,“ ergänzt Jason. „Unsere Wohnung liegt hinter der Bar, quasi über den Mitarbeiterwohnungen…“
Ich trete einen Schritt zurück und mache Daddy den Weg zur Treppe frei. Wir klettern die Treppe wieder hoch und betreten die Bar, um sie zu durchqueren. An der Rückseite befindet sich eine unauffällig in Wandfarbe gestrichene Tür ohne Klinke, die Jason nun öffnet. Zuerst stehen wir in einer Garderobe, neben der sich eine Treppe befindet.
„Hierüber kommen wir zu den Hunden hinunter, ohne den Publikumsbereich zu betreten… und natürlich auch in die Kellerräume,“ sagt Jason.
Geradeaus betreten wir den Living-Room, den wir im japanischen Stil eingerichtet haben. Auch haben wir Haikus -japanische Kurzgedichte- an den Wänden aufgehängt. Sie wurden von Künstlern mit dem Pinsel geschrieben. Um sie kanadischen Besuchern nahezubringen, wurden sie darunter durch Übersetzungen in Englisch und Französisch ergänzt. Daddy schaut sich interessiert um und entdeckt schließlich ein Reispapier mit japanischen Schriftzeichen und der Übersetzung:

She is your friend, your partner,
your defender, your dog.
You are her life, her love,
her leader. She will be yours,
faithful and true, to the
last beat of her heart.
You owe it to her to be
Worthy of such devotion.

Er zeigt darauf und nickt anerkennend.
„Das finde ich vorbildlich!“ sagt er.
Wir lächeln wissend und führen ihn weiter herum. Neben dem Living-Room gibt es noch ein Büro, zwei Schlafräume, ein Bad und eine große Terrasse, auf der man sich sofort draußen in der überwältigenden Natur der Rockies wähnt. Im Tal fließt ein Flüsschen über Stromschnellen und rundherum Felsen und Douglasien. Über uns zieht ein Adler vorbei.
Als wir wieder hineingehen, bietet Jason Daddy Platz an unserem Esstisch an. Obwohl Dad erst in den 50ern ist, mault er:
„Habt ihr denn keine normalen Möbel?“
Jason lacht.
„Normale Möbel wären hier ein Anachronismus,“ sagt er.
Mehr kann ich nicht mehr hören, denn ich bin unterwegs zu unserem Koch. Kurze Zeit später bringe ich ein Tablett mit Speisen herein. Jason hat inzwischen Geschirr aus dem Schrank genommen, auf dem niedrigen Tisch verteilt und Besteck dazu gelegt. Eine kleine Kanne mit Wasser steht dort und damit hat er drei Schälchen gefüllt, sowie jedem ein Tuch dazugelegt.