Lexi -01
Ich habe Alexandra kennengelernt, als ich in diesen Wohnblock eingezogen bin. Sie steht Tage darauf plötzlich vor der Wohnungstür, lange braune Haare und rehbraune Augen, und bietet mir an für Kaffee und Kuchen zu ihr in die Wohnung unter mir zu kommen. Die Einladung nehme ich gerne an, bin ich doch selbst neugierig, was mich dort erwartet. Auch sehe ich es als positiv an, auf diese Art damit beginnen zu können neue Kontakte zu knüpfen.
Ich sage zu und folge ihr. Sie führt mich in die Appartementwohnung genau unter meiner. Die ältere Frau, die dort schon am Couchtisch sitzt, stellt mir Alexandra als ihre Mutter vor. Ich darf mich setzen und werde mit einem Stück Kuchen bewirtet.
Während Alexandra mir Kaffee einschenkt, beginnt das Verhör durch ihre Mutter. Ich gebe bereitwillig Auskunft über meine persönlichen Verhältnisse. Irgendwie kommt das Gespräch auch auf Alkohol. Ich erkläre, dass ich aus früheren Verbindungen gelernt habe, dass Alkohol der Beziehungskiller Nummer Eins ist, und dass ich selbst keinen Alkohol trinke.
Die Mutter schaut ihre Tochter bedeutungsvoll an und beginnt nun von einem Schicksalsschlag ihrer Tochter zu berichten. Die Familie ist vor der Jahrtausendwende als Spätaussiedler aus Russland gekommen. Ihr Schwiegersohn ist schon nach zwei Jahren in der neuen Heimat verstorben. Nun hat Alexandra wohl Trost und Vergessen beim russischen Wässerchen gesucht.
Das ist natürlich tragisch, aber muss es mich berühren? Ich bin kein Therapeut, also kann ich ihr nicht helfen. So vergehen einige Monate des Nebeneinanders, des freundlichen Grüßens, der persönlichen Distanz.

*

Als es wieder einmal an meiner Wohnungstür klingelt und Alexandra im Rahmen steht, hat sie ein Amtsschreiben in der Hand und fragt, ob ich es für sie ausfüllen könnte.
Ich bitte sie gerne zu mir herein. Wir setzen uns übereck an meinen Küchentisch und breiten das Formular zwischen uns aus. Frage für Frage lese ich ihr laut vor und sie antwortet mir entsprechend. Die Antworten dokumentiere ich im Formular. Angehängt ist eine Liste von Nachweisen. Die Nachweise bringt sie mir anschließend und ich kopiere sie mit meinem Drucker.
Dabei frage ich sie, sie es ihr gesundheitlich geht. Ich biete ihr an, sie zu einer nahen Entzugsklinik zu bringen und ihr auch weiterhin zu helfen, wenn sie wieder Zuversicht zum Leben fasst – immer aus freundschaftlicher Distanz vorerst.
Sie hört mir zu und bedankt sich für die Hilfe beim Amtsschreiben. Ich verabschiede sie lächelnd.
Ein paar Wochen darauf klingelt es mitten in der Nacht an meiner Tür. Ein kurzer Blick auf meine Uhr sagt mir, dass es kurz nach Mitternacht ist. Ich öffne und runzele die Stirn. Alexandra steht da, ziemlich aufgelöst. Ich bitte sie erst einmal herein.
Sie erzählt, dass sie wach geworden ist, weil sie einen Alptraum hatte, und fragt:
„Kann ich die Nacht bei dir verbringen?“
Ich nicke ergeben. Während ich das Gästebett auseinander klappe, frage ich:
„Gesetzt der Fall, ich würde nicht hier wohnen, was hättest du dann gemacht?“
„Ich wäre wahrscheinlich zu meiner Mutter gegangen und hätte einen Schlaftrunk genommen…“
„Wodka?“ schieße ich wie einen Pfeil auf sie ab.
Sie nickt.
„Hast du…?“
Sie schüttelt vehement den Kopf.
„Hmm…“ brumme ich.
„Wirklich!“ sagt sie mit weinerlicher Stimme.
Inzwischen habe ich das Gästebett bezogen und neben meine Bettcouch platziert, nur die Rückenlehne trennt uns.
Ich lösche das Licht und lege mich ebenfalls schlafen.
„Magst du mir erzählen, was dich so verängstigt hat, oder würde es dich so aufregen, dass du nicht mehr schlafen kannst?“