IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 01
Diese Geschichte wirft einen Spiegel auf die heutige Kultur bei der es wenig romantisch zwischen den Geschlechtern zugeht. Aus dem früheren VERLIEBT, VERLOBT, VERHEIRATET ist verbreitet ein GEKÜSST, GEFICKT, GEFEUERT geworden. Als Spiegel dient mir eine Steinzeitkultur von Jäger und Sammlern, die dazu ein wenig Gartenbau betreiben.
Grob zusammengefasst erleidet ein europäischer Einhandsegler mitten auf dem Südpazifik Schiffbruch und kommt auf eine Insel, auf der zuvor noch nie ein Europäer seinen Fuß gesetzt hat. Er findet dort eine Männergesellschaft vor mit dem Krokodil-Totem, das er schon bei Eingeborenen in Neuguinea kennengelernt hat. Also muss es wohl eine historische Verbindung geben. Frauen scheint es keine zu geben, aber wie haben sich die Leute sonst auf der Insel etablieren können?
Ihm wird verboten, den Wald im Inneren der Insel zu betreten, was ihm einleuchtet: In den Tropen gibt es manch giftiges Getier.
Beim Übertreten des Tabus entdeckt er eine Frau, die in Begleitung eines Mädchens wild durch den Wald streift. Beim Zusammentreffen verletzt sich die Frau. Sie hat durch den Schreck eine Unachtsamkeit begangen. Der Europäer hilft dieser Frau trotz des Tabus.
Nun steht er vor der Wahl, auf der Insel zu bleiben oder irgendwann davon zu segeln und alles beim Alten zu lassen. Klar, die Missionare haben in der Vergangenheit viele ursprüngliche Kulturen zerstört. Sich einzumischen, um das Los der Frauen zu verbessern, erfordert Zeit und Fingerspitzengefühl. Die fremde Kultur mag er nicht zerstören. Also entscheidet er sich fürs Bleiben.
Er macht die Initiation mit und wird dadurch einer von ihnen. Dann versucht er in der Hierarchie der Männergesellschaft aufzusteigen, damit seine Stimme allmählich mehr Gewicht bekommt. Er schmiedet Allianzen und erreicht so, dass die Treibjagden im Wald auf Frauen aufhören, durch die die Männer bisher ihre Triebe befriedigt hatten und dabei die nächste Generation gezeugt wurde…

* * *

1
Jetzt treibe ich schon einen Tag im Meer, nur gehalten von der Schwimmweste, die ich als Einhandsegler ständig am Körper trage. Den letzten Schluck Trinkwasser habe ich vor einer halben Stunde aus der Flasche getrunken.
Ich bin – oder sollte ich vielleicht eher sagen ‚war‘ – Karl Emmerich, ein Abenteurer, der sich vorgenommen hat, den Pazifik auf der Route der alten Siedler zu überqueren. In Vietnam bin ich gestartet. In Südamerika werde ich nun wohl nicht mehr ankommen. Einen Moment habe ich nicht aufgepasst. Meine Aufmerksamkeit ist von einer Schule Delphine abgelenkt worden. So hat eine Quersee daraufhin mein Boot umwerfen können. Ich hätte die Welle aufmerksam abreiten sollen…
Dann habe ich eine Begegnung mit einem Hochseehai gehabt. Die Rückenflosse hat auf einmal die Meeresoberfläche durchstoßen. Er umkreist mich, unschlüssig, was er von mir halten soll. Jetzt nur nicht in Panik geraten und zu zappeln anfangen. Bewege ich mich zu hektisch, assoziiert er das mit Fluchtverhalten. Damit falle ich sofort in sein Beuteschema. Also drehe ich mich ruhig um mich selbst, um ihn im Auge zu behalten. Sollte seine Neugier ihn dazu treiben, einen Probehappen von mir zu nehmen, will ich ihn ankommen sehen und ihm vielleicht möglichst elegant ausweichen. Aber nach einer Weile verliert er das Interesse an mir und schwimmt schnell davon.
Was ist das? Ein regelmäßiges Dreieck ist an der Sichtlinie zu sehen, sobald ich aus einem Wellental herausgehoben werde. Hoffnung keimt auf. Ich ziehe die Pfeife aus ihrer Schlaufe an der Schwimmweste und stoße Luft hinein. Drei lange Töne, drei kurze Töne und wieder drei lange Töne. Dann mache ich eine kurze Pause und wiederhole das Signal. Immer und immer wieder. Tatsächlich! Das Dreieck wird größer! Inzwischen kann ich es als Segel identifizieren.
Nach einer Dreiviertelstunde erreicht mich ein Vaka, ein traditionelles Auslegerkanu mit dunkelhäutigen Insassen. Die drei Männer tragen nur das traditionelle Lavalava, den Wickelrock der Südsee-Insulaner. Sie steuern ihr Vaka so, dass ich zwischen Kanu und Ausleger die niedrige Bordwand zu fassen bekommen. Dann helfen sie mir aus dem Wasser.
„Aloha,“ begrüßt mich der dunkelhäutige weißhaarige Mann mit einer Art Halsschmuck aus einem geknickten Palmwedelzweig. Ich weiß, dass er der Kahuna ist, der Kapitän oder Navigator.
„Hello,“ antworte ich ihm, “thank you so much! I had had an accident yesterday…“
Der Mann macht große Augen. Er redet in ihrer Sprache mit dem jüngsten Bootsinsassen, der nun die Holzschaufel aus der Hand legt, mit der er unentwegt Wasser aus dem Boot schaufelt. Dann schlägt der junge Mann eine Kokosnuss auf und reicht sie mir. Mit einem dankbaren Blick setze ich die Nuss an und trinke sie aus. Dann reicht er mir ein Tuch, in dem Kopra eingewickelt ist, das Fleisch der Kokosnuss. Ich beginne zu essen, während der junge Mann eine Leine einholt, an der in gleichmäßigen Abständen ein Hei matau, ein aus Knochen geschnitzter Angelhaken, befestigt ist. An den meisten dieser Angelhaken hängt ein Fisch.
In der Zwischenzeit hat der Kahuna und der andere Mann, der am Steuerruder gesessen hat, das Segel an das andere Ende des Vaka versetzt. Der Steuermann wechselt dann ebenfalls seinen Platz und es geht weiter. Nach drei Stunden sehe ich einen dunklen Strich am Horizont, der sich beim Näherkommen als Insel herausstellt. Sie ist das Ziel meiner Retter.
Am Strand kann ich eine Gruppe junger Männer erkennen, von denen ein halbes Dutzend uns ins Wasser entgegenkommt, als wir auf den Strand auflaufen. Unser Steuermann und der ‚Schiffsjunge‘ springen ebenfalls ins Wasser und gemeinsam ziehen sie das Vaka auf den Strand. Dann machen sich die jungen Männer über den Fang her und schleppen die Fische zu einer großen Hütte am Saum der Vegetation. Der Kahuna legt den gabelförmigen Mast um und bindet das Segel fest. Ich helfe ihm dabei. Dann schultern zwei junge Männer die Takelage und bringen sie ebenfalls zu der Hütte mit dem hoch aufragenden Giebel.
Schließlich hilft mir der Kahuna von Bord und klettert ebenfalls auf den Strand. Er lädt mich ein ihm zu folgen und wir gehen auf die große Hütte zu. Sie steht auf Pfählen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute hier dadurch auch bei Tsunamies trockene Füße behalten. Zwischen den Pfählen sehe ich ein Vaka und Platz für ein Zweites. Anscheinend verstauen sie das Vaka, mit dem wir angekommen sind später auch hier. Ein schräg gestellter Baumstamm, in den Kerben als Tritte geschlagen wurden, dient als Treppe nach oben.
Der Kahuna bedeutet mir mit einer Geste, dort hinauf zu gehen und sagt dazu: „You’re welcome.“