Freitag, 5. Juni 2020
Cherie - 04
„Paul, ich mag dich wirklich sehr…“
„Keine Angst,“ setze ich sofort nach. „Nur bis zur Haustür!“
„Okay,“ meint sie etwas reserviert. „Aber, wo ist dein Rad?“
„Ich habe mein Auto dahinten stehen,“ sage ich und zeige in die Richtung. „Dein Rad schieben wir in den Kofferraum!“
Sie neigt den Kopf und wir gehen nebeneinander in die angegebene Richtung. Unterwegs spreche ich sie auf mein Anliegen an.
„Sag mal, Lena. Magst du morgen mit mir in den Zoo gehen?“
„Gerne, Paul. Ich bin aber nicht alleine! Hättest du etwas dagegen, wenn Tapsy mitkommt?“
Sie lebt mit einer allerliebsten Mopsdame, mit Namen `Taps‘, zusammen, hat sie mir beim Cappu erzählt. Also schüttele ich energisch den Kopf.
„Natürlich nicht! Dann lerne ich sie auch gleich kennen.“
Beim Auto angekommen, öffne ich die Heckklappe meines Kombis und schiebe das Rad vorsichtig hinein. Das Vorderrad ragt hinaus und ich lasse die Heckklappe vorsichtig herab. Mit einem Gummiband fixiere ich die Klappe und öffne Lena dann die Beifahrertür.
Zwanzig Minuten später erreichen wir ein Mietshaus.
„Hier wohne ich, Paul.“
Ich parke den Wagen am Straßenrand und hole ihr Rad aus dem Kofferraum.
„Ich wünsche dir dann noch einen schönen Abend und eine entspannende Nacht,“ verabschiede ich mich und biete ihr meine Hand.
Lena nimmt meine dargebotene Hand und beugt sich zu mir vor. Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange und sagt:
„Das Gleiche wünsche ich dir auch, Paul. Ich freue mich auf unser Zusammensein morgen!“
Ich nehme sie nun etwas energischer in den Arm und erwidere:
„Ich freue mich ebenso! Bis morgen Mittag dann.“
Von der Fahrertür aus winke ich ihr noch einmal zu, dann schließt sich die Haustür hinter ihr. Ich setze mich hinter das Steuer und starte meinen Wagen
In einer Viertelstunde bin ich im Nachbarort an meiner Adresse. Mein Herz hüpft und ich schelte mich einen Narren, dass ich ihren Kuss nicht erwidert habe. Wie kann Mann nur so schüchtern sein?! Die darauffolgende Nacht wache ich öfters auf, so aufgeregt bin ich.

*

Heute hat Paul mich nachhause gebracht! Er ist ein lieber Kerl. Ich glaube, mit ihm könnte ich glücklich werden. Nachdem ich mein Rad in den Fahrradkeller gebracht habe, gehe ich hoch in den ersten Stock zu meiner Wohnung und werde freudig von Tapsy begrüßt. Sofort schaue ich nach ihrem Wasser und schütte ein paar Brocken Futter in ihren Napf. Dann gehe ich unter die Dusche.
Als ich wieder ins Wohnzimmer komme schaut Tapsy erwartungsvoll zu mir auf. Wie immer um diese Zeit nehme ich sie an die Leine und gehe zu einem Spaziergang mit ihr vor die Tür. Eine Stunde spaziere ich mit ihr zum Ortsrand und wieder zurück. Dann mache ich Taps ihr Essen und lege mich mit der Fernbedienung auf die Couch. Spät am Abend gehe ich zu Bett, gespannt auf den morgigen Tag.
Am nächsten Vormittag sehe ich Pauls Wagen unten vorfahren. Ich gehe mit Taps an der Leine die Treppe hinunter und begrüße Paul herzlich. Zuvorkommend hält er mir wieder die Beifahrertür auf. Meine Tapsy springt an ihm hoch zur Begrüßung, was mir zeigt, dass sie ihn spontan in ihr Herz geschlossen hat. Paul beugt sich zu ihr hinunter und lässt sie an seiner Hand schnuppern. Als sie beginnt ihn abzulecken streichelt er sie.
Nun steige ich ein und lasse Tapsy sich im Fußraum niederlegen. Paul drückt die Tür sanft zu, umrundet den Wagen und setzt sich ans Steuer. Eine dreiviertel Stunde später fahren wir auf den großen Parkplatz vor dem Zoo und erhalten vom Aufsichtspersonal eine Parkmarke. Wenige Minuten danach betreten wir den Zoo.

*

Mein Telefon klingelt. Ich sehe, dass der Anrufer Herr Mattes ist, der mir ein Mentor im Petplay geworden ist. Ich nehme also das Gespräch an.
„Tiefenbach.“
„Hallo Paul, du kannst dich doch sicher noch an unsere Exkursion letztens erinnern, nachdem ich dir die Immobilienanzeige in der Zeitung zeigte?“
„Ihjaaa…“
„Wir brauchen einen Ort, wo wir ungestört unsere Neigung ausleben können. Also hab ich weiter gesucht und gerechnet; und schließlich etwas gefunden!“
„Was?“
„Ein Bauernhof mit maroden Gebäuden. Die Erben leben schon seit Jahren in der Stadt. Achtundzwanzig Hektar groß für 480.000 Euro.“
„Wer soll das bezahlen?“
„Ich habe ein Erbe. Das reicht zwar nicht, aber wir werden sehen. Ich habe vor zwanzig Hektar an die umliegenden Bauern zu verpachten. Bei zweihundert Euro pro Hektar Pacht, die sich dort erzielen lassen, bekommen wir jährlich viertausend Euro Pachtzins. Damit lässt sich der Kredit allein nicht bezahlen. Der erfordert jährlich 16.000Euro.
Ich setze jedoch ein sogenanntes Nur-Dach-Haus an die Straße und vermiete es an Urlauber. Damit lässt sich die dreifache Miete erzielen, wenn auch nur während der Schulferien, und das sind höchstens vier Monate im Jahr. Bei einem normalen Mietzins von sieben Euro pro Quadratmeter und hundert Quadratmeter Wohnfläche ergeben sich daraus 8.400 Euro im Jahr und uns steht das Haus an acht Monaten oder etwa vierunddreißig Wochenenden selbst zur Verfügung. Den 16.000 Euro Abzahlung auf dreißig Jahre stehen also 12.400 Euro Einnahmen gegenüber. Ich muss selbst nur 3.600 Euro bezahlen – oder dreihundert Euro im Monat.
Dann will ich ja, wie du weißt, Bäume pflanzen auf den verbliebenen acht Hektar und diese dann gewinnbringend weiter verkaufen. So können wir später dann davon leben.“
„Das hört sich wunderbar an. Und du nimmst das alles auf deine Kappe?“
„Nach der Berechnung könnte ich das ohne weiteres!“



Cherie - 03
Dann ist Marktschluss. Ich schalte alles aus und putze meinen Wagen. Endlich kann ich die Reklame herein holen und die Klappe schließen. Mich dabei ertappend, dass ich der Umgebung immer wieder einen prüfenden Blick gönne, schließe ich die Tür des Marktwagens ab und setze mich wartend auf die Trittstufe an der Türe. Der Zugwagen meines Arbeitgebers, ein Toyota SUV fährt vor. Er setzt sich gekonnt vor dir Zugdeichsel und steigt aus.
„Hallo, Lena, wie war der Tag heute?“
Ich schürze die Lippen und blinzele ihn an.
„So wie immer.. Prächtig, Herr Mann!“ antworte ich lächelnd.
Er hat den Wagen angehängt, um ihn in den Nachbarort zu fahren, wo morgen der Wochenmarkt stattfindet und dort auf seinem Standplatz aufzustellen. Dann wird er die Tageseinnahmen aus der Kasse nehmen und nachhause fahren.
Ich habe inzwischen mein Rad von der Laterne losgekettet und sehe, dass zu wenig Luft im Hinterrad ist. Also heißt es pumpen. Herr Mann ruft mir einen Abschiedsgruß zu, steigt ein und das Gespann bewegt sich langsam Richtung Straße.
„Hallo, kleine Lady,“ höre ich eine bekannte Stimme in sanftem Tonfall in meinem Rücken.
Ich richte mich auf und drehe mich um. Ja, es ist meine Begegnung von heute Mittag.
„Darf ich helfen?“ fragt er und streckt die Hand nach der Fahrradpumpe aus.
Die Schulter zuckend übergebe ich sie ihm und er beugt sich über mein Rad. Auch den Vorderreifen überprüft er, dann steckt er die Pumpe an ihren Platz zu übergibt mir das Rad. Ihn dankbar anlächelnd, nehme ich den Lenker in die Hand. Er deutet mit einer Handbewegung über den Platz und so gehen wir quer über den inzwischen fast leeren Marktplatz in Richtung Restaurant, zwischen uns mein Fahrrad.
„Magst du draußen sitzen?“ fragt er, und duzt mich damit wie selbstverständlich. „Die Luft ist so schön warm.“
Ich nicke und so sucht er einen Tisch vor der Tür aus. Er zieht einen Stuhl unter dem Tisch hervor und bietet mir mit einer Handbewegung lächelnd den Platz an. Dann setzt er sich mir gegenüber und nimmt die Karte aus dem Ständer. Einige Sekunden vertieft er sich in das Angebot, dann schaut er mich fragend an:
„Was magst du essen?“
„Ich möchte nichts,“ sage ich.
Ich bin zu aufgeregt, um irgendetwas hinunter zu bekommen. Seine Augen schauen traurig, also ergänze ich schnell: „Einen Cappu, bitte.“
Sein Gesichtsausdruck erhellt sich. Zum Kellner gewandt, der inzwischen neben unserem Tisch steht, sagt er:
„Einen Cappuccino für die Dame und für mich ebenfalls… mit einem Schokocroissant!“
Der Kellner nickt und geht. Zwei Minuten später stellt er das Gewünschte vor uns hin.
„Ich heiße Paul,“ beginnt mein Gegenüber.
„Ich bin die Lena,“ stelle ich mich schnell vor.
„Ich finde dich sehr sympathisch, Lena.“
„In deiner Nähe fühle ich mich wohl,“ sage ich nach einem Schluck aus der Tasse und schaue ihm in die Augen.
Es folgt ein Geplänkel, in dessen Verlauf mir mein Gegenüber immer vertrauter wird.
Zum Abschied fragt er mich: „Werden wir uns wiedersehen? Ich meine… in der Freizeit, an Abenden, an den Wochenenden…“
Wir stehen vom Tisch auf. Ich wende mich ihm zu, schaue ihm in die Augen und gebe ihm die Hand.
„Sehr gerne, Paul! Sehr, sehr gerne!“

*

Da ist mir doch gestern etwas ganz besonderes passiert. Ich bin über den Markt in der Ortsmitte gegangen, um mir frisches Gemüse zu kaufen und habe in der Hektik der Mittagspause beim Ausweichen einen Reklameständer umgerissen. Die junge Frau im dazu gehörenden Verkaufswagen ist genauso erschrocken gewesen, wie ich selbst.
Wie es meine Art ist, habe ich das Malheur selbst in Ordnung gebracht. Ich weiß nicht, was das Erlebnis in mir ausgelöst hat. Ich habe gleich das Gefühl gehabt, dass eine höhere Macht mich mit dieser Frau zusammen geführt haben muss. Wie sagt man doch: Der Zufall ist das Pseudonym einer höheren Macht, wenn sie unerkannt bleiben will.
Ich habe sofort die Gunst der Stunde genutzt und sie eingeladen, uns gegenseitig kennen zu lernen. Zum Marktschluss habe ich mich am Rand des Marktplatzes zu einem Cappu mit ihr zusammen gesetzt und wir haben über alles Mögliche geredet. Dabei ist anscheinend ein Funke übergesprungen… Also, ich finde sie süß! Sehr sympathisch! Ich hoffe sehr, dass es ihr umgekehrt mit mir genauso geht. Sie hat mir in groben Zügen ihr nicht gerade leichtes bisheriges Leben beschrieben. Im Augenblick ist sie solo. Das ist meine Chance!
In zwei Tage ist Wochenende. Da gehe ich mit ihr durch den Zoo in der nahen Großstadt – und mal sehen, wie sich die Verbindung weiter entwickelt.

*

Heute ist Samstag, der letzte Markttag der Woche. Lena hat mir ihren Dienstplan gegeben, so weiß ich, wo ich sie treffen kann. Gegen Mittag ist heute Marktschluss. Kurz darauf treffe ich bei ihr ein und sehe noch, wie ihr Chef mit dem Marktstand davon fährt. Bevor sie sich auf ihr Rad schwingt, begrüße ich sie.
„Hallo Lena, schön, dich zu sehen! Wie geht es dir?“
„Hallo Paul. Mir geht es gut!“ antwortet sie mir, lehnt ihr Rad wieder an die Laterne und gibt mir ihre Hand. Ich nehme sie, drücke sie sanft und lege meinen Arm flüchtig um ihre Schultern. Tief berührt erlebe ich, wie sie sich ebenso flüchtig an mich lehnt. Mein Herz bekommt Flügel.
„Darf ich dich nachhause bringen?“ frage ich spontan.
Unwillkürlich geht sie etwas auf Abstand.