Samstag, 6. Juni 2020
Cherie - 06
In den folgenden Wochen entwickelt Lena immer mehr Vertrauen zu mir. Sympathie wächst und unsere Freundschaft verändert sich allmählich hin zu einer zarten Liebe. Wir fühlen uns beide stark zueinander hingezogen. Also beginne ich in den Zeitungsanzeigen nach einer größeren, aber doch erschwinglichen Wohnung zu suchen. Schließlich finde ich eine und schaue sie mir von außen an. Dann erzähle ich Lena davon.
Vier Wochen später ist alles geregelt und wir erleben unser junges Glück in einem gemeinsamen Heim.
Wochen danach komme ich von der Arbeit und versorge Tapsy, die inzwischen ebenfalls an mir hängt. Dann will ich uns das Abendessen machen, als das Telefon klingelt.
„Tiefenbach.“
„Mayer. Hallo Herr Tiefenbach, Sie sind doch der Lebensgefährte von Frau Fischer?“
„Das ist richtig.“
„Frau Fischer ist heute im Marktwagen bewusstlos zusammengebrochen. Die Marktaufsicht sagte mir, Kunden hätten das miterlebt und den Notarzt gerufen. Dieser hätte sie in ein Krankenhaus gebracht. Ihr Fahrrad habe ich hier. Sie können es gerne abholen.“
Mein Herz rast plötzlich. Was ist meiner Lena passiert? Wo ist sie jetzt? Hoffentlich ist sie in guten Händen!
„Wissen Sie in welches Krankenhaus sie eingeliefert wurde?“
„Leider nein, aber soviele Möglichkeiten gibt es hier ja nicht…“ entgegnet mir der Anrufer.
„Haben Sie vielen Dank! Wenn es ihnen nichts ausmacht, setze ich mich gleich ins Auto und hole ihr Rad bei Ihnen ab.“
„Nein, ist schon okay.“
„Also bis gleich.“
„Ja, bis gleich.“
Nachdem ich Lenas Rad bei ihrem Chef abgeholt habe, fahre ich die Krankenhäuser in der näheren Umgebung ab. Beim dritten habe ich schließlich Erfolg. Dort sagt man mir, dass kurz nach Mittag eine Frau eingeliefert wurde, von der gesagt wurde, dass sie Lena Fischer heißen soll. Ich solle am Folgetag doch ihre Papiere und die Krankenkassenkarte vorbei bringen.
Auf meine Frage, ob ich Lena sehen dürfe, heißt es, dass sie Verbrennungen erlitten hätten. Entsprechende Verbände lassen nur wenig von ihr erkennen. Außerdem hätte man sie in Narkose versetzt. Sie schlafe also jetzt. Aber man nennt mir die Zimmernummer.
Ich verabschiede mich also von der Dame am Eingang und irre durch die Gänge. Mein Brustkorb fühlt sich an, als befände er sich in einem Schraubstock. Dann finde ich ihr Zimmer und will die Klinke herunter drücken. In dem Augenblick werde ich von hinten angesprochen.
„Hallo Sie, bitte betreten Sie das Zimmer jetzt nicht!“
Ich drehe mich um und sehe eine Krankenschwester auf mich zu kommen.
„Wer sind Sie?“
„Ich bin Herr Tiefenbach, der Lebensgefährte von Frau Fischer.“
„Ah. Ziehen Sie bitte Handschuhe, Plastik-Überschuhe und diese Haube an, bevor Sie das Zimmer betreten! Aber viel wird es nicht bringen. Frau Fischer schläft gerade.“
Sie hat einen Schrank geöffnet und zeigt mir die Utensilien.
„Ich habe schon gehört, dass sie in Narkose liegen soll. Kann ich nicht wenigstens von der Tür aus ein Blick auf sie werfen?“ frage ich.
„Okay, wenn Sie das Zimmer nicht betreten…“ meint sie und öffnet die Tür.
Viel kann ich nicht erkennen, denn dahinter befindet sich eine Schleuse mittels eines Plastikvorhanges.
„Es wird wohl das Beste sein, wenn ich morgen wiederkomme,“ entscheide ich, zur Krankenschwester gewandt.
„Das denke ich auch,“ antwortet sie mir.
Ich verabschiede mich also und fahre nachhause. Dort versuche ich mich mit dem aktuellen Fernsehprogramm abzulenken. Taps erkennt meine Verfassung, legt sich neben mich und lässt sich streicheln. Allmählich werde ich ruhiger und gehe bald zu Bett.
Am nächsten Morgen suche ich ihren Ausweis und die Krankenkassenkarte heraus und nehme sie mit zur Arbeit. Dort nehme ich mir einen halben Tag frei und fahre gegen Mittag ins Krankenhaus. Die Formalitäten sind schnell geregelt und ich gehe auf die Station. Im Stationszimmer finde ich eine andere Krankenschwester.
„Hallo, ich heiße Tiefenbach und bin der Lebensgefährte von Frau Fischer. Gestern bin ich von ihrem Arbeitsunfall informiert worden und wollte sie besuchen, aber sie lag in Narkose. Wie geht es ihr heute?“
„Das tut mir leid, Herr Tiefenbach. Ihre Lebensgefährtin liegt leider immer noch in Narkose. Außerdem unterliegt jeder der das Zimmer betritt höchsten Hygienevorschriften, damit kein Keim in ihre Brandwunden gerät.“
„Ich weiß, darauf hat mich die Spätschicht gestern schon aufmerksam gemacht… Wann kann man damit rechnen, dass sie aus der Narkose erwacht?“
„Das weiß ich leider auch nicht. Das entscheiden die Ärzte, die sich täglich den Heilungsprozess ansehen.“
„Oh,“ mache ich und weite erschreckt die Augen. „Sie wird dann sicher künstlich ernährt und beatmet?“
„Ja, man hat ihr Schläuche gelegt.“
„Können Sie mir Hoffnung machen?“
„Haben Sie Geduld, Herr Tiefenbach. Sie können sich gerne täglich bei mir über Frau Fischer erkundigen!“
Die Krankenschwester zuckt freundlich lächelnd mit den Schultern. Ich verabschiede mich mit gerunzelter Stirn und sage noch:
„Wie gern wäre ich der Erste, den sie in der Aufwachphase erblickt!“
„Das wird leider nicht möglich sein,“ meint sie noch. „Üblicherweise ist es eher einer der Ärzte, während er die Schläuche zieht…“
Es vergeht insgesamt mehr als eine Woche, in der ich täglich gleich nach der Arbeit nach Lena schaue. Dann endlich darf ich in Hygienekleidung zu ihr hinein. Sie lächelt mich schwach an. Ich mache ihr Mut. Nach zwei weiteren Wochen darf sie die Station verlassen und wird auf ein normales Zimmer verlegt. Jetzt dürfen wir auch schon kleine Spaziergänge unternehmen. Vier Wochen später ist Lena wieder zuhause, allerdings noch drei Monate krankgeschrieben. Ihren Job macht inzwischen eine andere junge Frau. Sie hat die schriftliche Kündigung bekommen.



Cherie - 05
„Gut, dann mach das, Dieter. Möglicherweise habe ich schon bald ein erstes Doggie…“
„Ahhh, du warst ebenfalls aktiv seit unserem letzten Treffen! Das ist schön. Sie mag es, deine Doggie zu sein?“
„Sagen wir so: Sie lässt sich leicht führen, wenn sie mir ihr Vertrauen und ihre Sympathie schenkt. Vielleicht verliebt sie sich sogar? Abwarten, was die Zukunft bringt! Ich werde sie einfühlsam heran führen. Dann schauen wir mal.“
„Okay, schauen wir mal.“

*

Hinter den Kassen schauen wir uns nach den Hinweisschildern zum Rundweg um. Lächelnd zeige ich meine Entdeckung Paul. Er lächelt zurück und wir nehmen diese Richtung. Dabei legt er seinen Arm um meine Schultern. Ich lasse es zu und lehne mich etwas an ihn beim Gehen. Ich möchte ihm so zeigen, dass ich mich bei ihm geborgen fühle.
Jemand fotografiert uns und eine junge Frau drückt mir einen Zettel mit einer Nummer in die Hand. Der Fotograf hat sich schon jemandem hinter uns zugewandt und drückt wieder den Auslöser. Am Ausgang können wir uns ein Erinnerungsfoto aussuchen, erklärt die Frau noch schnell, dann wendet auch sie sich Besuchern hinter uns zu. Ich gebe den Zettel an Paul weiter.
Mit meiner Tapsy an der Hand schlendern wir an den Gehegen entlang. Dann erreichen wir ein Café mit einem Spielplatz auf dem Kinder toben. Wir setzen uns auf die Terrasse und Paul bestellt Cappuccino und Teilchen. Diesmal fragt er nicht, ob ich das mag, was er bestellt. Aber ich sage ichts dazu. Ich mag es, dass er die Führung übernimmt. Wir unterhalten uns und nach einer guten Stunde geht es weiter.
Wieder spazieren wir an Freigehegen vorbei. Zweimal durchqueren wir Hallen. Eine davon ist eine riesige Freiflughalle. Dann erreichen wir ein Gebäude mit der Aufschrift DELFINARIUM. Paul lenkt seine Schritte hinein. Wir steigen eine Treppe hinauf und sehen uns in einem Zuschauerraum stehen. Wie im Kino sind hier bogenförmig Sitzplätze in vielen Rängen angeordnet. Wir finden zwei Plätze nebeneinander und schon beginnt die Vorstellung.
Drei Delfine führen unten im Becken auf Kommando verschiedene Kunststücke vor, die den Zuschauern einen Eindruck davon vermitteln sollen, was diese Tiere in der freien Natur in der Lage sind zu tun. Begleitet wird das Ganze von einem Vortrag eines der Pfleger und Tiertrainer. Nach 25 Minuten ist die Vorstellung zu Ende und die Halle leert sich. Auch die Delfine schwimmen durch einen Kanal in einen Bereich, der nicht von den Zuschauern einsehbar ist.
Während wir an den letzten Gehegen Richtung Ausgang gehen, stellt mir Paul eine Frage:
„Wie fandest du die Vorstellung, Lena?“
„Es ist schon beeindruckend, was die Delfin in der Lage sind zu tun,“ sage ich. „Aber dass man die Tiere in solch kleinen Becken halten kann… Sie sind doch den grenzenlosen Ozean gewohnt – und sie sind intelligent.“
„Sie müssen beschäftigt werden,“ antwortet mir Paul. „Und dabei natürlich geistig gefordert! Stumpf hin und her schwimmen lassen wird man sie nicht. Die Leute sind schon erfahrene Tiertrainer.“
Eine kurze Gedankenpause entsteht, dann spricht Paul weiter:
„Weißt du, es gibt Menschen, die es mögen sich wie Tiere zu verhalten, und auch andere, die diese Leute führen und trainieren, und ihnen so das Gefühl geben ein Tier zu sein. Wie eben das mit den Delfinen.“
Ich schaue Paul schräg von der Seite an. Meint er das ernst, was er da sagt?
„Es gibt zwei Arten von bedingungslosem Vertrauen,“ redet er weiter und schaut mir dabei offen ins Gesicht. „Einmal zwischen Eltern und Kind, wenn die Beziehung in Ordnung ist. Zum Anderen zwischen Tier und Mensch. Als Beispiel schau dir doch dein Verhältnis mit Taps an…“
„Du hast recht,“ sinniere ich. „Aber wenn ein Mensch die Rolle eines Tieres annimmt, das ist doch reichlich schräg!“
Er zuckt kurz mit den Schultern. Dann sind wir auch schon am Stand des Fotografen. Paul steuert darauf zu und wir schauen uns die Bilder an. Zehn Euro bezahlt er für zwei wunderschöne Schnappschüsse.

*

Drei Monate sind vergangen. Wir haben uns regelmäßig besucht und viel unternommen in der Freizeit. Ich habe begonnen zärtliche Gefühle für Paul in meinem Herzen zu entdecken. Er spürt das auch, denke ich, denn er hat mich gefragt, ob wir nicht zusammenziehen sollten.
„Hm,“ antworte ich ihm, „deine Wohnung ist fast genauso klein wie meine. Möchtest du bei mir einziehen?“
Ich weiß nicht, warum ich ihm das Angebot gemacht habe. Selbst meinen Exfreund habe ich nicht bei mir wohnen gelassen.
Paul faltet eine Zeitung auseinander und deutet auf eine Anzeige, die eingekreist ist.
„Was hältst du hiervon?“ fragt er mich.
Ich lese etwas von einer Zweizimmer-Wohnung etwa um die Hälfte größer als sein Appartement, also von der Größe her zwischen seiner und meiner Wohnung angesiedelt. Die Miete werden wir uns gemeinsam leisten können, und sie liegt in der Nähe! Ich lege meinen Arm um ihn und gebe ihm einen Kuss.
„Du bist ein Schatz!“ sage ich. „Aber wer organisiert den Umzug? Ich kann leider keinen Urlaub nehmen. Der Chef findet dann schnell eine andere Verkäuferin…“
„Ich weiß, du bist sehr pflichtbewusst,“ antwortet Paul. „Du könntest deine Sachen in Kartons verpacken, die ich besorge. Ich mache das Gleiche. Und den Rest besorgt ein Umzugsunternehmen! Wo welche Möbel aufgestellt werden, darüber reden wir, wenn wir den Grundriss der Wohnung haben. Also nach Unterzeichnung des Mietvertrages.“
Ein Monat nach diesem Gespräch leben wir zusammen in einer Wohnung. Das ist für mich eine Premiere. Anfängliche Befürchtungen lösen sich aber bald in Luft auf und auch Tapsy hört auf Paul. Letzteres lässt mich manchmal ein wenig eifersüchtig werden.

*