Sonntag, 21. Juni 2020
Cherie - 38
„Das Event ist ja früh zu Ende,“ stellt Lisa fest.
Dieter lächelt gequält.
„Was heißt ‚früh‘,“ sagt er. „Dass die Kennenlern-Gespräche bei Essen und Trinken nicht immer den gewünschten Erfolg haben, ist bei der Unterschiedlichkeit der Charaktere und Vielzahl der Neigungsvarianten eigentlich normal. Umso schöner finde ich, dass wir hier nun zu Siebt zusammensitzen, wo wir vorher zu Viert waren.“
„Klaus sagte gerade, dass er von Ihrer Art Petplay zu leben fasziniert ist und Sie ihm versprochen haben, ihm das WIE zu zeigen…“
Dieter schaut Klaus vielsagend an und schaut mir dann gewinnend lächelnd in die Augen.
„Damit wären wir dann schon drei ‚Owner‘. Ich habe auch Paul ‚meine Art Petplay zu leben‘, wie du es nennst, beigebracht. Paul und Lena sind inzwischen ein Paar und Biggi hier ist mit mir befreundet.“
Er weist auf die ältere Servicekraft, die auf der anderen Seite neben Dieter Platz genommen hat.
„Ich mache euch Dreien einen Vorschlag,“ sagt er dann. „Da unsere beiden Gästezimmer frei sind, die Gewinner haben dankend verzichtet, biete ich sie euch an. - Paul ist sicher einverstanden. – Und morgen Vormittag erlebt ihr Lena und Biggi als Doggies. Ihr könnt dabei zuschauen, wie wir mit unseren Doggies umgehen und danach überlegt ihr euch in den nächsten Wochen, was ihr wollt.“
Paul hat freundlich lächelnd genickt, als das Gespräch auf sein Gästezimmer gekommen ist.
„Ich nehme mit Lisa eins und Klaus kann das Andere haben!“ stimme ich neugierig zu.
„Selbstverständlich,“ bestätigt Dieter. „Helft ihr uns beim Aufräumen?“
„Gern,“ bestätige ich lächelnd.
Es dauert fast zwei Stunden, bis alle Gerätschaften und Partymöbel in einem Baucontainer verstaut sind. Die Dämmerung ist hereingebrochen. Wir versammeln uns in Dieters Wohnzimmer, wo wir ihn mit Fragen löchern können. Ich finde es wohltuend, wie er selbst für das scheinbar Unsinnigste offen ist. So wird es spät an diesem Samstag, als wir uns alle in unsere Zimmer zurückziehen.
Bemerkenswert ist mir Lenas Bekenntnis zu ihrer Partnerschaft mit Paul erschienen. Es hat damit begonnen, dass einer aus der Runde – ich glaube, Klaus hat es fallen gelassen – das Wort ‚Liebe‘ ins Gespräch gebracht hat. Paul hat sich eingeschaltet und präzisiert:
„Liebe ist übrigens mehr als die sexuelle Harmonie, für die das Wort heute oft gebraucht wird! Genauso wichtig ist die emotionale Hingezogenheit zum Partner.“
Lena hat sich daraufhin eingeschaltet:
„Ohne die Liebe zum Partner hat der Sex miteinander nicht diese Kraft! Die Liebe verbindet beide auf emotionaler Ebene. Sie macht langmütig, lässt also vieles zu, worüber andere schon längst in Streit geraten wären. Sie lässt einen nicht nach seinem persönlichen Vorteil suchen oder nachtragend werden, sondern versucht das Wohl des Anderen zu vermehren. Sie respektiert den anderen, verurteilt die Lüge, lässt einen ritterlich und ehrenhaft handeln. Die Liebe hält allen Anwürfen von außen stand!“
Während Lena redet, werden meine Augen immer größer. Dann platzt es aus mir heraus:
„Das ist doch alles Theorie! Das ist ein hohes Ideal von der Liebe, die im Alltag nicht lange Bestand hat! Wie willst du deine Ideale denn durch den Alltag retten?“
Paul antwortet für Lena, während sie sich an ihn schmiegt:
„Wir sind alle nur Menschen und keine Halbgötter. Aber wir sind intelligent genug frühzeitig Anzeichen zu erkennen, dass man sich auseinanderlebt und darüber offen zu sprechen. Dann lässt sich gegensteuern. Lena ist das wichtigste Lebewesen auf diesem Planeten für mich! Umgekehrt gilt sicher das Gleiche.“
Er lächelt, während sie sich etwas streckt und ihm einen Kuss auf die Wange drückt. Auch Biggi schaut Paul an und dann zu Dieter.
„Wie will ich nun gegensteuern?“ nimmt er den Faden wieder auf. „Es gibt eine Reihe negativer Einflüsse, die man kennen muss: einmal, wenn wir uns des anderen nicht mehr bewusst sind, wenn uns der andere egal zu werden beginnt. Dann das unstillbare Verlangen nach mehr. Wenn uns der andere nicht mehr genug ist. Oder, wenn das Mitgefühl schwindet und der Selbstsucht Platz macht. Auch die Angst vor der Vergänglichkeit, vor dem Ende des Mitgefühls. Sowie, wenn die Gefühle nicht mehr unser Handeln bestimmt, sondern das körperliche überhandnimmt. Und letztlich, nur noch zu glauben, was man sieht. Wenn also die Rationalität mehr Gewicht bekommt als die Emotionalität. Schließlich die Besserwisserei, die verblendete Selbstüberzeugung, der Fanatismus.
Das muss alles auf den Tisch und besprochen werden, ohne den Anderen mit Vorwürfen zu überhäufen. Dann müssen Lösungen gesucht werden – Verhaltensänderungen nicht nur beim Anderen, sondern auch bei sich selbst.“
„Das ist ein Riesen-Programm! Ich weiß nicht, ob je ein Mensch dazu fähig wäre…“ sage ich.
Wahrscheinlich klingt meine Stimme entmutigt, denn nun sagt Dieter:
„Verliere niemals den Mut! Erinnere dich an das, was dich einmal mit deinem Partner zusammengebracht hat und überlege dir, ob du das wirklich über Bord werfen willst. Außerdem, nichts geschieht von jetzt auf gleich. Alles entwickelt sich – von einer Mücke zu einem Elefanten. Die Mücke lässt sich noch leicht bekämpfen!“
„Okay,“ sage ich und spüre, wie mir die Lider schwer werden.
Ich schaue Lisa an und sage dann:
„Seid ihr uns böse, wenn wir jetzt schlafen gehen wollen?“
„Aber nein, zieht euch ruhig zu zurück und träumt etwas Schönes!“
Ich stehe auf und auch Lisa erhebt sich. Wir gehen die Treppe hoch zum Gästezimmer und wünschen noch einmal eine ‚Gute Nacht‘. Dabei sehen wir, dass auch die Anderen sich erheben und die Gläser in die Küche bringen.

*

Am nächsten Morgen werde ich von Geschirrgeklimper wach. Die Sonne schaut über die hohen Bäume des nahen Waldes und taucht das Gästezimmer durch die Vorhänge in ein Dämmerlicht. Ich stehe auf, ziehe die Vorhänge zur Seite und öffne einen Fensterflügel. Schlagartig wird es hell im Zimmer. Nadelholzduft und Vogelstimmen erfüllen die Luft. Lisa regt sich nun auch, setzt sich auf und kneift die Augen zusammen.



Cherie - 37
„Leider nein. Aber das lässt sich leicht googlen,“ antworte ich ihm.
Daraufhin entfernen sich die Vier in Richtung Parkplatz. Ich schaue Biggi vielsagend an. Nach einer Weile schaue ich mich um und erkenne, dass nur noch wir Vier und das Grüppchen, das Lena zusammengebracht hat, anwesend sind. Die anderen haben sich geräuschlos davon gemacht, als das Angebot an Speisen und Getränken allmählich zur Neige gegangen ist.

*

„Hey, ich bin die Lena. Darf ich fragen, ob euch das Event gefallen hat?“ fragt die Servicekraft und setzt sich zu uns.
„Hallo, ich heiße Anita und das ist meine Freundin Lisa. Ehrlich gesagt, wir haben uns etwas anderes versprochen von diesem Nachmittag,“ antworte ich ihr.
Lena schaut interessiert.
„Ward ihr schon einmal irgendwo anders auf einem Event? Wo liegt der Unterschied? Was könnten wir beim nächsten Mal anders, besser machen?“ hakt sie nach.
„Ich weiß es auch nicht,“ bekenne ich. „Nein, wir waren noch auf keinem anderen Event. Wir sind Mitglied auf der Petplay-Community-Seite und praktizierten Petplay bisher mehr als Kopfkino. Aus diesem Grund war der Storyblog unser liebster Aufenthalt.“
„Darf ich fragen, wo für euch die mentale Hürde liegt, Petplay real zu praktizieren?“
„Aus den Beiträgen im Forum und den meisten Stories geht hervor, dass die Leute das Petplay als Ableger des BDSM betrachten – und das liegt uns nun ganz und gar nicht! Sicher, davon lesen kann man. Hier und da läuft einem beim Lesen ein Schauer den Rücken hinunter. Aber eines fehlte lange Zeit völlig: Es ist zu sehr körperbetont! Die Gefühle werden kaum angesprochen. Man schielt zu sehr auf die eigene Lusterfüllung und geht davon aus, dass der Mitspieler dann ebenfalls Lust empfindet. Das mag ja sein, aber die Gefühle werden davon nicht angesprochen. Die Zärtlichkeit bleibt auf der Strecke. Geborgenheit will sich nicht einstellen.
Da fiel mir die Geschichte von Veranstalter dieses Events in die Hände und plötzlich erkannte ich, dass Petplay und BDSM nicht zwingend zusammengehören müssen. Als er dann zu diesem Event eingeladen hat, wollte ich unbedingt hier hin, um das einmal real zu erleben.“

„Und jetzt bist du enttäuscht. Dazu kann ich nur sagen, ob ein Event Spaß macht oder nicht, hängt von den Teilnehmern ab. Der Veranstalter kann nur moderieren und den Service in Gang halten. Die Teilnehmer dagegen geben das wieder, was du auch auf der Seite der Community im Internet festgestellt hast.
Ich mache dir einen Vorschlag: Ich gehe zu Dieter, so heißt der Veranstalter real, und erzähle ihm von euch. Er hat sicher einen Rat parat.“
„Ja, okay,“ stimme ich zu und schaue Lisa dabei an. Sie nickt kaum merklich.
Lena erhebt sich und geht zu dem Tisch in der Nähe der Theke, an dem der Veranstalter gerade mit einem männlichen Teilnehmer des Events spricht. Um uns herum brechen die anderen Teilnehmer des Events nacheinander auf.
Lena spricht kurz mit Dieter, der zu uns herüberschaut und kurz lächelt. Dann spricht er noch einmal mit dem Gast, der sich erhebt und in Lenas Begleitung an unseren Tisch kommt.
„Hallo, ich bin der Klaus. Darf ich fragen, welche Wünsche und Phantasien, Träume und Sehnsüchte Sie antreiben? Was hat Sie zur Teilnahme an diesem Event bewegt?“
„Um es gleich klarzustellen,“ antworte ich bestimmt, „für ein Sexdate sind wir nicht hierhergekommen!“
Der Mann hebt abwehrend die Hände.
„Danach steht mir beim ersten Kennenlernen überhaupt nicht der Sinn! Ich will einzig reden, kennenlernen, spüren, ob Sympathie rüberkommt, oder nicht. Ich bin keiner von der ‚Ohne-Anlauf-Fraktion‘!“
„Okay,“ sage ich. „Das wollte ich nur mal vorausgeschickt haben. Wir zählen uns zu den Katzen, das heißt wir sind eigenständig. Unser Vertrauen zu gewinnen braucht seine Zeit. Dann mögen wir gerne kuscheln und dass sich unser eventueller Owner gefühlvoll mit uns beschäftigt. Schmerzen und unhygienisches mögen wir gar nicht!“
„Ich denke mal, ich stelle mich kurz vor: ich bin 51 und seit drei Jahren geschieden. Ob ich mich nun mit Hündinnen oder Katzen beschäftige, muss ich noch selbst herausfinden. Aber gleich mit zweien? Ich bin nicht sadistisch veranlagt, möchte Sie also nicht als mein Spielzeug benutzen, sondern Ihnen Gelegenheit geben Ihre Gefühle auszuleben. Der Halter eines echten Tieres kümmert sich um das Wohl und die Pflege, dafür ist das Tier ihm gegenüber hingebungsvoll und treu. Beide Seiten tragen also zum Gelingen bei. Genauso verstehe ich eine Pet-Owner-Verbindung.
Genau wie gegenüber einem Tier, übernehme ich auch gegenüber einem Pet Verantwortung. Mir ist bewusst, dass Sie als Frau ihre Selbstverantwortung kaum aufgeben wollen! Aber in der Zeit, in der Ihr Vertrauen wächst – was durchaus Wochen bis Monate dauern kann, das ist mir bewusst – können sie Teile ihrer Verantwortung auf mich übertragen und auch wieder entziehen!“
„Das ist in etwa das, was ich in der Geschichte des Event-Veranstalters gelesen habe. Plappern Sie da etwa etwas nach, oder ist das ihre echte Überzeugung?“ hakt Lisa jetzt nach, bevor ich selbst etwas sagen kann. Das Ganze kommt auch mir etwas seltsam vor.
„Dieter hat auch meinen Herrn, Paul, von seiner Sicht auf das Petplay überzeugt,“ wirft Lena dazwischen.
„Ich muss gestehen,“ antwortet Klaus, „dass das Gesagte eher meinem Gefühl entspricht. Ich selbst habe noch wenig Erfahrung darin ein Pet verantwortungsbewusst zu führen. Ich habe eben mit Dieter gesprochen und er hat mir versprochen, mir zu zeigen wie das unterbewusste Gefühl in bewusstes Tun überführt werden kann. Möchten Sie gleichzeitig mit mir bei Dieter in die Lehre gehen?“
Ich werfe Lisa einen vielsagenden Blick zu. Eigentlich würde ich das Gespräch hier abbrechen wollen. Aber nachdem die letzten vier Eventteilnehmer den Grillplatz verlassen haben, kommen Dieter und Paul mit der älteren Servicekraft auf uns zu.
„Dürfen wir uns setzen?“ fragt Dieter und setzt sich wie selbstverständlich neben Klaus.
Neugierig bleibe ich sitzen. Die Anderen setzen sich ebenfalls.
„Was denken Sie über Petplay allgemein und das Event im Besonderen?“ richtet Dieter seine Frage an mich und Lisa.