Freitag, 12. Juni 2020
Cherie - 20
Als Taps dann hinzukommt, rappelt Paul sich auf und meint:
„Ich denke, unsere Hundies sind ausgepowert genug. Wir sollten uns auf den Rückweg machen.“
Dieter nickt und sagt mit immer noch grinsendem Gesicht:
„Das denke ich auch.“
Wir machen uns also auf den Rückweg über den Wasserlauf und durch den Wald. Taps und Cherie begleiten uns wieder angeleint. Die Szene auf der Wiese hat mich nachdenklich gemacht. So etwas hätte ich mir bei den Doms nie gewagt – es sei denn, ich hätte Sehnsucht nach der daraus folgenden Konsequenz. Da ich aber nicht masochistisch veranlagt bin, habe ich Bestrafungsszenarien in der Vergangenheit immer zu vermeiden gesucht. Wo es mir manchmal nicht gelungen ist, habe ich eben die ‚Zähne zusammengebissen‘ und die Folgen durchgestanden. Lena dagegen hat in voller Absicht gehandelt.
Wir haben Dieters Haus noch nicht erreicht, als ich nicht mehr an mich halten kann.
„Paul?“
„Ja?“
Er wendet sich im Gehen mir zu und schaut mich fragend an.
„Was hast du gedacht, als Lena dich auf der Wiese umgeworfen hat? Freutest du dich nicht, sie auf der Stelle dafür bestrafen zu können? Oder folgt das gleich noch im Spielzimmer?“
„Im Spielzimmer? Einen Raum mit SM-Gerätschaften gibt es bei Dieter nicht. Wir sind keine SMler, Biggi!“
„Du bestrafst Lena nicht? Sie hat dich absichtlich umgestoßen!“
„Warum sollte ich, Biggi? Ja, sie hat mich absichtlich umgestoßen, um auf Hundeart mit mir zu spielen. Und ich wäre ein schlechter Herr, wenn ich nicht mit meinem Doggie spielen wollte.“
„Ja, aber sie hatte die Initiative an sich gerissen. Der Herr bestimmt doch, was wann und wie lange er mit seiner Doggie ‘spielt‘…“
„Im SM wird die Sub zum Spielzeug der Lust für den Dom. Er nimmt sie sich und schickt sie weg, wann er will. Wird ihm das Spiel mit ihr langweilig, ‘entsorgt‘ er sie – wenn sie sich nicht vorher von ihm trennt. Das ist bei uns anders: Ich bin das ‘Alphatier‘ unseres ‘Kleinrudels‘. Ich bin mir nicht zu schade, mich auf Zeit – im Spiel – auf ihre Stufe zu begeben. Ernst ist Ernst und Spaß ist Spaß!
Ich verlange Gehorsam gegenüber meinen Kommandos, erwarte Hingabe, Treue und Ehrlichkeit. Dafür kümmere ich mich um alles und übernehme die volle Verantwortung für sie. Sie ist mir mental so nahe, wie kein anderes Lebewesen. Ein starkes emotionales Band verbindet uns!“
„Ihr liebt euch? Das hört man eigentlich kaum im BDSM-Bereich. Zwischen Dom und Sub muss es eine gewisse emotionale Distanz geben…“
„… sonst könnte er sie nicht als sein Spielzeug, als Ding/Gegenstand behandeln,“ vervollständigt Paul meinen Satz. „Darum sagte ich ja, wir sind keine SMler. Für mich ist Cherie kein Gegenstand, der meiner Lust dient, sondern ein Lebewesen voller Emotionen – und ich gebe ihr Raum, ihre Gefühle in Echtzeit auszuleben, statt dass sie sie – wie im normalen rationalen Alltag – in ihr Herz einschließt, weil es in vielen Momenten nicht opportun ist, Gefühle zu zeigen.“
Diese Aussage lässt mich wieder nachdenklich werden. Kurz darauf haben wir Dieters Haus erreicht.

*

Wir sind am gestrigen Abend nach dem Essen bei Dieter zu Paul zurück gefahren. Dort habe ich auf der zum Gästebett umfunktionierten Couch im Wohnzimmer übernachtet und nach dem späten Frühstück bringt mich Lena zum Zug. Im Bus beginnen wir, uns über meine Eindrücke zu unterhalten, die ich gestern bei Dieter in der Eifel gewonnen habe.
„Ich muss schon sagen, dass das Wochenende mich sehr beeindruckt hat, Lena.“
„So?“
Lena lächelt mich an.
„Ja, das Verhältnis zwischen Owner und Pet, das ihr mir vorgelebt habt – wenn es denn eurem Alltag entspricht – ist so anders, als ich es bisher mit allen anderen Kerlen kennengelernt habe.“
„Du hast ja erzählt, dass du vom SM zum Petplay gekommen bist – und auch die Männer, mit denen du deine Sessions gespielt hast, waren SMler. Du warst für sie ein Spielzeug ihrer Lust – auch in der Rolle des Pet. Zwischen den Sessions wirst du von den Männern dir selbst überlassen. Sie erklären das mit deiner Selbstverantwortung. Ich nenne das, Angst davor Verantwortung im Alltag zu übernehmen! Deshalb wird auch nie mehr daraus. Deshalb entwickelt sich aus einer Session nie so etwas wie eine Freundschaft, aus der vielleicht eine Beziehung entsteht…
Und noch etwas anderes: Kommst du deinem jeweiligen Herrn mit einer Frage, willst eine Information über den gedanklichen Hintergrund seines Handelns, bekommst du eine ‚dumme‘ Antwort. Er kanzelt dich arrogant ab, und stellt sich so mental über dich. Warum? Hat er keine vernünftige Antwort auf deine Frage? Hält er das für Dominanz? Ich denke eher, es ist Machismo!
Dann kommt so ein Statement, wie ‚Intelligenz ist sexy, dumm bumst gut…‘ Was soll das bedeuten? Hat er gern eine Frau, die nicht dauernd sein Handeln hinterfragt, die selbstbewusst ihren Alltag bestreitet, ohne ihn öfter mal um Rat zu fragen? All das fördert das Single-Dasein. Jeder bleibt für sich. Man trifft sich nur, wenn der Kerl Bock auf die Frau hat – bis sie ihm langweilig wird, und er nach ‚Frischfleisch‘ Ausschau hält. Da läuft doch etwas falsch, oder?“
Lena hat sich in Rage geredet. Ihre Wangen glühen. Ich lasse ihre Worte eine Weile stumm auf mich einwirken, dann frage ich sie:
„Wie läuft es deiner Meinung nach denn richtig?“
„Der Mensch ist ein soziales Wesen. Alleingelassen verkümmert er seelisch. Wenn sich also Mann und Frau treffen, um eine gemeinsame Neigung zu leben, und sie bleiben sich dabei seelisch fremd, sollten sie sich wieder trennen und einen anderen Menschen suchen. Irgendwann taucht – ganz sicher! – ein Mensch auf, der einem sympathisch ist, der offen für alle Fragen ist, die einen beschäftigen und sich dabei nicht für etwas Besseres hält. Zu diesem Menschen entwickelt sich eine mentale Brücke. Das erkennst du darin, indem du dich zu ihm hingezogen fühlst. Fühlt er das Gleiche, kann sich eine Freundschaft entwickeln, aus der vielleicht eine Beziehung wird.



Cherie - 19
Ich mache „Ah“, ob des langen Vortrags. Paul leint Tapsy und seine Cherie an und dann gehen wir auch schon los. Taps‘ Leine übergibt er mir. Er nimmt einen Walking-Stock in die freie Hand. Zuerst durchqueren wir eine Baumschule mit jungen Nadelbäumen. Paul lächelt Dieter an.
„Dein Weihnachtsbaumgeschäft macht Fortschritte, wie ich sehe.“
„Ja, ist aber auch eine ziemliche Schinderei – alleine…“ lächelt Dieter zurück. „Ich wäre wirklich froh, wenn du dich dazu überreden ließest, hier mitzumachen. Gerne als Teilhaber… ‘Holzhandel Mattes und Tiefenbach‘, oder so.“
„Ich kann aber kein Kapital in die Firma einbringen,“ meint Paul nachdenklich.
„Brauchst du auch nicht! Du bringst deine Arbeitskraft ein und in der Freizeit leben wir unsere Neigungen!“ bekräftigt Dieter.
„Das hat wirklich etwas für sich,“ sagt Paul. „Warten wir das nächste Jahr noch ab.“
„Okay,“ meint Dieter. „Man kann niemand zu seinem Glück zwingen.“
In der Zwischenzeit haben wir den angrenzenden Wald erreicht. Es geht über einen Sandweg. Rechts und links daneben haben wir die typische Waldlandschaft aus Bäumen, durchsetzt mit Moosen, Gräsern und Büschen. An einer Abzweigung biegen wir ab. Hier geht es in leichtem Gefälle abwärts, während der rechte Wegrand immer steiler wird. Unterwegs sehe ich, warum Paul den Walking-Stock mitgenommen hat: Ab und zu stoppt er damit Lenas Geschwindigkeit und hält sie so auf gleicher Höhe mit sich, indem er ihr den Stock vor die ‘Vorderbeine‘ hält.
Dann treten die Bäume zurück. Der Wald öffnet sich zu einer Lichtung hin, die rechts und im Hintergrund von einer himmelhohen roten Felswand begrenzt zu sein scheint.
„Hier ist die Stelle,“ sagt Dieter.
Er wendet sich einem schmalen Pfad zu, der links vom Weg abgeht. Es geht steil abwärts. Die Wurzeln umstehender Bäume können wir wie Treppenstufen benutzen, müssen aber darauf achten, nicht darüber zu stolpern. Langsam und vorsichtig gehe ich hinter den Anderen her bis vor uns eine mannshohe Schilfwand steht.
„Das Schilf regeneriert sich schnell,“ meint Paul.
„Das ist wahr,“ gibt Dieter zurück und beginnt das Schilf vor sich nieder zu treten. Das leise Gluckern eines Wasserlaufes erfüllt die Luft.
Paul wendet sich zu mir:
„Nimm, Taps ruhig auf den Arm, während du hinter uns durch das Schilf brichst und achte darauf, wohin du trittst. Dies hier ist eine kleine Furt zu einer Wiese inmitten der Kyllschleife. Daher die Stiefel.“
Ich tue wie Paul mir geraten hat und nehme die Mopsdame auf den Arm. Dann gehe ich durch die Bresche im Schilf hinter Lena und den Männern her. Kurz darauf umspülen kleine Wellen meine Füße. Nach zwei Metern erreiche ich ein sandiges Ufer und setze Tapsy auf dem Gras dahinter wieder auf ihre Füße.
Paul sagt zu mir:
„Lass Taps ruhig von der Leine. Hier kann sie laufen.“
Also bücke ich mich zu Tapsy‘s Halsband hinunter, als ich Paul höre:
„Cherie, AUF! FREI!“
Ich schaue auf. Taps ist nun frei und stürmt los. Während ich mich aufrichte, richtet sich auch Lena auf. Sie reckt sich und läuft zum Strand hinunter, der in der Kehre des Baches gut zwanzig Meter breit ist. Tapsy dreht um und läuft freudig bellend auf sie zu. Lena beginnt einige gymnastische Übungen, die mich schmunzeln lassen. Aber wer weiß, wie ich mich in ihrer Situation verhalten würde… Dann spielen Taps und Cherie ausgelassen miteinander.
Wir gehen in der Zwischenzeit langsam spazierend über die Wiese. Dabei kann ich beobachten, wie Paul seine Cherie nie aus den Augen lässt. Plötzlich bückt sich Paul nach einem Zweig, den der Wind bestimmt hierher geweht hat. Er entfernt alle Nebentriebe und bricht ihn auf etwa Unterarmlänge durch.
„Cherie, ZU MIR!“ ruft er jetzt.
Lena hebt den Kopf, unterbricht ihr Spiel und kommt schnell auf zwei Beinen zu uns gelaufen. Bei Paul angekommen setzt sie sich ohne Aufforderung auf ihre Fersen und schaut zu Paul hoch. Er zeigt ihr den zurechtgemachten Stock, holt aus und wirft ihn fort.
Dazu sagt er: „HOL!“
Lena ist der Bewegung mit den Augen gefolgt, springt nun auf und läuft – wieder auf zwei Beinen – dem Stock hinterher. In einiger Entfernung bückt sie sich, hebt etwas auf und kommt auf die gleiche Weise zurückgelaufen. Bei Paul angekommen lässt sie den Stock aus ihrer ‘Vorderpfote‘ fallen und geht wieder in ‘SITZ-Position‘.
Taps hat die Aktion mitbekommen, ist hinter Cherie hergelaufen und sitzt nun auffordernd bellend neben Cherie.
„Klar, Tapsy, du darfst auch mal,“ sagt Paul lächelnd, wirft den Stock ein zweites Mal und ruft: „Taps, HOL!“
Während Taps hinter dem Stock herläuft, streicht Paul seiner Cherie zärtlich über Wange und Oberkopf. Dann angelt er aus einer Gürteltasche einen kleinen schokoladenbraunen Brocken und schiebt ihn ihr zwischen die Lippen. Cherie reibt ihren Kopf an seiner Hand und schon ist Taps mit dem Stock zurück. Auch die Mops-Dame erntet sein Lob und bekommt einen anderen Brocken als Leckerlie.
„Auch Schokolade?“ frage ich erstaunt.
Paul antwortet lächelnd: „Nein, für Taps habe ich Hunde-Leckerlies.“
Zu Cherie gewandt sagt er dann: „Cherie, FREI!“
Lena entfernt sich nun wieder in Richtung Bachlauf. Taps springt dagegen mehrfach an Paul hoch. Er zieht seine Stirn kraus und bückt sich nach dem Stock. Er wirft ihn in der Folge noch mehrfach und Taps apportiert ihn freudig.
Lena hat das Spiel aus einiger Entfernung eine Zeitlang beobachtet. Jetzt läuft sie in einem Bogen heran, so dass sie in Pauls Rücken kommt. Dabei sucht sie meinen Blick und legt lächelnd den Finger auf ihren Mund. Sie wartet einen Moment ab, in dem Paul durch Taps abgelenkt ist und läuft auf allen Vieren so nah an Paul vorbei, dass sie ihn mit der Schulter rammt. Paul macht ein überraschtes Gesicht und kippt hintenüber.
Als er im Gras liegt, beginnt Lena ihn abzulecken. Paul macht halbherzige Abwehrbewegungen. Er lässt Lena also im Großen und Ganzen gewähren. Ich schaue erstaunt von der Szene am Boden zu Dieter. Der Mann steht breit grinsend da und sagt seinerseits auch nichts, also beobachte auch ich stumm, was sich mir da bietet.