Samstag, 13. Juni 2020
Cherie - 22
„Was ist das?“ fragt sie. „Das war beim letzten Mal noch nicht da!“
„Das ist eine Bodenplatte,“ erkläre ich ihr die Betonplatte neben meinem Haus. „Darauf soll vor dem Winter noch ein zweites Nur-Dach-Haus stehen.“
Biggi schaut mich erstaunt an.
„Paul und Lena?“ fragt sie.
„Nein,“ antworte ich ihr. „Oder vielleicht doch? – Das Haus soll als zweites Ferienhaus dienen. Wenn der Winter kommt habe ich dann zwei Häuser bereit für zahlende Winterferiengäste. Auch in den anderen Schulferien will ich wieder beide Häuser vermieten und so zu Zusatzeinnahmen kommen. In der Zeit der Leerstände bewohnen wir das Haus – und vielleicht Paul und Lena das Andere?“
„Du wohnt nicht dauerhaft hier?“ fragt sie interessiert.
„Noch nicht. Wenn mehr Häuser hier stehen, will ich meine Wohnung in Kyllburg aufgeben und dauerhaft hierherziehen.“
„Aber wenn Feriengäste hier wohnen, können wir unser Faible ja nicht wirklich ausleben…“
Ihre Stimme klingt enttäuscht.
„Nun, vielleicht mieten ja Petplayer ein Ferienhaus.. Wir müssen diese Möglichkeit auf den entsprechenden Internetseiten nur bekanntmachen. Es ist halt ein zweites Standbein für mein Geschäft. Hier in der Eifel bringt der Tourismus viele gute Nebeneinnahmen.“
„Ahso,“ macht sie.
Inzwischen habe ich die Haustür aufgeschlossen und lasse sie eintreten. Dann wende ich mich der Treppe zu.
„Komm mit nach oben. Dort kannst du dich einrichten. Möchtest du das Gästezimmer haben, schließlich ist es unser erstes Zusammentreffen und Vertrauen aufbauen braucht eben seine Zeit.“
„Ich hatte ja gesagt, dass ich gerne eine Dogplay-Session bei dir machen wollte…“ gibt sie zu Bedenken.
„Du weißt aber auch, dass ich keiner aus der ‚Ohne Anlauf‘-Fraktion bin,“ erkläre ich ihr noch einmal. „Du bist mir kein Roboter, kein Ding oder Spielzeug. Du sollst nicht den Schalter umlegen und sofort Doggie sein, so sehe ich in dir ein Lebewesen mit Gefühlen. Ich will dich kennenlernen in einem Vorgespräch. Dabei erkennen wir beide schnell, ob wir uns sympathisch sind. Danach kannst du gerne allmählich ins ‚Dogspace‘ gleiten und deine Gefühle gegenwärtlich ausleben.“
„Okay,“ antwortet Biggi. „Dann stelle ich meine Tasche unausgepackt ins Gästezimmer und wir werden sehen.“
„Gut,“ kommentiere ich ihre Entscheidung und öffne die Tür zum Gästezimmer.
Sie legt ihre Tasche kurzerhand auf das Gästebett und kommt wieder zu mir an die Tür. Ich lasse sie hindurch und schließe die Tür hinter ihr.
„Was steht nun auf dem Programm?“ fragt sie.
„Zuerst einmal wollte ich uns ein Essen machen,“ sage ich. „Du wirst sicher hungrig sein nach der langen Fahrt. – Und beim Essen lässt sich schon einmal einiges bereden.“
„Gut, aber ich helfe dir in der Küche!“ sagt sie bestimmt.
„Okay,“ gebe ich zur Antwort und wir gehen hinunter ins Erdgeschoß.
Ich nehme eine Dose Erbsen aus dem Schrank und schütte den Inhalt in eine Schüssel. Daneben lege ich einen Pürierstab und fordere Biggi auf die Erbsen zu pürieren. Sie beginnt sofort damit. In der Zwischenzeit hole ich eine Schale mit Kartoffelpürree aus dem Kühlschrank und Paniermehl aus dem Vorratsschrank. Mit dem Paniermehl binde ich die Feuchtigkeit des Pürrees. Biggi schaut erstaunt.
„Ich bin alleine,“ sage ich einfach. „Daher bleibt viel übrig. Ich werfe aber nichts weg, was nicht schlecht ist. Außerdem ist es doch kreativ, immer wieder etwas Neues aus den Sachen zu machen.“
Ich lächele sie an. Als das Kartoffelpürree knetbar geworden ist, bedecke ich einen flachen Teller mit einer dünnen Schicht Paniermehl, forme aus dem Teig Kartoffelkroketten und wälze sie in dem Paniermehl. Biggi hat ihre Erbsen inzwischen püriert.
Nun stelle ich zwei Pfannen auf den Ofen, lege zwei Stücke Seelachs in eine und die Kroketten in die Andere. Ihr Erbsenpüree verdünne ich mit einem Glas Wasser und krümmele einen Brühwürfel hinein. Biggi fordere ich auf, einen halben Blumenkohl zu putzen und die Röschen in einen zweiten Topf zu Salzwasser zu geben. Auch die beiden Töpfe kommen auf den Herd. Biggi darf die Speisen abschmecken und nachwürzen.
Dann verteile ich die Suppe auf zwei Teller und gebe je einen Schuss Sahne hinzu, dekorativ geschwungen. Ich stelle die Herdplatten kleiner und bringe die Teller zum Esstisch. Biggi bringt das Besteck hinterher und wir essen die ‚Creme Ninon‘.
Zurück am Herd koche ich schnell noch eine helle Soße aus dem Gemüsewasser und Instantpulver auf, dann serviere ich uns den Hauptgang. Danach hole ich zwei Schalen Creme brullée aus dem Kühlschrank und bringe sie zum Tisch. Ich setze ihr eine Schale vor und setze mich dann an meinen Platz.
Ich will gerade einen Löffel davon in meinen Mund führen, als Biggi spontan aufsteht, neben mich kommt und sagt:
„Hm, das sieht aber lecker aus.“
Ich schaue zu ihr auf und lächele sie an.
„Soll ich dich füttern? Dann solltest du dich neben mich auf den Boden setzen.“
Sie tut es, und ich strecke mich nach ihrer Schale. Dann stecke ich ihr Löffel für Löffel von dem Nachtisch in den Mund.
„Ein Herr hat gegenüber seiner Doggie ein paar Pflichten,“ sage ich, nachdem die Schale leer ist. „Pflege und Ernährung obliegt dem Herrn. Er trägt die Verantwortung für ihr Wohl.“
„Das ist das, was mich an eurem Petplay fasziniert,“ antwortet Biggi. „Ich kann mich fallenlassen und die Verantwortung mehr und mehr abgeben. Ich muss nicht ständig selbst darauf achten, wie es mir geht.“
„Nun, zwischen den Sessions bist du so weit weg von mir, dass ich nicht auf dich achten kann. Das geht nur während du hier bist. Oder du müsstest dich dazu entschließen zu mir zu ziehen…“



Cherie - 21
Wenn nicht, hat man einen Freund fürs Leben, der einem vielleicht hilft, einen Partner fürs Leben zu finden – entweder aktiv oder passiv, indem er einen mit anderen Freunden bekannt macht. In diesem Freundeskreis findet sich dann vielleicht einer, zu dem man sich hingezogen fühlt.
Jedenfalls ist der Mensch erst vollständig in einer Beziehung mit einem Anderen: Der Andere ergänzt einen an Stellen, wo man bei sich ein Defizit feststellt. Wenn ich es nun liebe, Verantwortung an jemand abzugeben, dem ich voll vertrauen kann – wieso bin ich dann zu faul Selbstverantwortung zu übernehmen? Vielleicht mag es mein Partner ja, Verantwortung für Andere mitzutragen! Vielleicht ist das gerade für ihn eine Steigerung seiner Lebensqualität! So ergänzen wir uns und wirken von außen als ein Ganzes, als ein glückliches Paar! Mich als zu faul hinzustellen, Selbstverantwortung zu tragen, heißt einerseits nur, dass derjenige der das sagt, Angst hat Verantwortung abzugeben, oder für Andere zu tragen. Andererseits guckt derjenige dem Anderen nur vor die Stirn, will nichts anderes von seinen Mitmenschen wissen, als das was seine Vorurteile ihm einflüstern.“
Da habe ich nun aber ein Thema angeschnitten… Lenas Wangen glühen. Sie scheint sich aufgestauten Frust von der Seele zu reden. Na, wenn es sie erleichtert, soll sie es ruhig tun. Gleichzeitig machen mich ihre Worte sehr nachdenklich. Mein bisheriges Leben lief wohl auf einem falschen Gleis. Wie gut, dass ich sie auf dem letzten Event kennenlernen durfte und mich mit ihr austauschen konnte. Bestimmt lässt sich aus ihren Worten etwas Positives für mich entnehmen. Ich muss nur einige Tage oder Wochen warten und die richtigen Assoziationen dazu finden.
„Zurück zum Wochenende,“ versuche ich das Thema zu wechseln. „Dieser Dieter hat die Möglichkeit unsere Neigung real auszuleben – und dabei nicht bloß innerhalb der Wohnung zu bleiben. Nebenbei scheint er sehr sympathisch als Mensch zu sein, und auch seine Ansichten gefallen mir. Es sind die Gleichen wie die von Paul.“
„Ich sage Paul öfter, dass wir in die Eifel ziehen sollten. Vielleicht kann man ein zweites Haus auf das Grundstück setzen. Ich glaube das ist es, was ihn bisher so zurückhaltend reagieren lässt. Und, ja – auch altersmäßig würde Dieter zu dir passen.“
Lena zwinkert mir lächelnd zu.
„Stimmt schon, das Haus hat keine zwei separaten Wohnungen. Ein zweites Haus wäre die Lösung für ein dauerhaftes Leben dort. – Und was das Andere angeht: Ich lasse es mir durch den Kopf gehen!“
Nun zwinkere ich zurück und wir lachen kurz gemeinsam. Ich fühle mich, als hätten wir eine Verschwörung verabredet.
Der Bus hält. Wir sind am Bahnhof angekommen. Da der Zug erst in 35 Minuten abfährt, gehen wir noch auf einen Cappuccino in das Bahnhofscafé.

*

Vier Wochen sind seit dem Wochenende bei Paul und Lena vergangen. Eine gewisse Unruhe hat mich durch meine Tagesabläufe begleitet. Endlich treffe ich eine Entscheidung.
„Mattes!“
Ich habe Dieters Telefonnummer von Lena erfragt und eben gewählt.
„Hallo Dieter, ich bin Biggi. Ich war vorigen Monat zusammen mit Paul und Lena bei dir.“
„Okay, grüß dich, Biggi. Kann ich etwas für dich tun?“
„Ich wollte dich einmal etwas Persönliches fragen.“
„Nur zu, Biggi. Frag mir ruhig Löcher in den Bauch, dass ich danach aussehe wie ein schweizer Käse! Ich bin offen für alles, was dich beschäftigt.“
„Siehst du, das ist es was ich so an euch mag…“
„Was?“
„Dass man Paul und dir gegenüber keine Scheu haben braucht! Hast du an einem der kommenden Wochenenden Zeit, dass man sich mal unter vier Augen treffen kann?“
„Klar! Wann magst du kommen? Nächstes Wochenende schon, oder das darauf? Und wie kommst du?“
„Ich könnte morgen das Ticket im Bahnhof kaufen und am nächsten Wochenende kommen, wenn dir das nicht zu sehr nach Überfall aussieht. Welchen Zielbahnhof müsste ich dann angeben?“
„Nein, komm ruhig schon am nächsten Wochenende. Ich bin solo, also allein, und freue mich sehr über Gesellschaft! Du kannst Gerolstein oder Kyllburg als Zielbahnhof angeben. Sag mir dann Bescheid, damit ich weiß wo ich dich auflesen soll.“
Ich muss lächeln. Eins liegt mir noch auf dem Herzen:
„Wäre es dir recht, wenn ich zu einer Session zu dir komme? Magst du eine Doggie für ein Wochenende bei dir beherbergen? Sagen wir von Freitagnachmittag bis Sonntagvormittag…“
Ich höre geradezu, wie Dieter wohl ein breites Lächeln zeigt, als er zusagt. Wir verabschieden uns und am nächsten Tag fahre ich nach der Arbeit zum Bahnhof. Ich wähle Gerolstein als Zielpunkt, weil das Ticket dorthin ein paar Euro billiger ist. Am Abend informiere ich Dieter und am Freitag nach der Arbeit fahre ich mit Herzklopfen los.

*

Ich fahre am Freitagnachmittag mit meinem Wagen zum Bahnhof in Gerolstein und parke auf dem Platz neben den Gleisen. Biggi hat mir gesagt, wann der D-Zug Köln-Trier hier hält. Zehn Minuten ist noch Zeit, also bleibe ich noch ein wenig im Auto sitzen.
Zwei Minuten vor der Ankunft gehe ich zum Bahnsteig und pünktlich hält der Zug neben dem kleinen weißen Bahnhofsgebäude. Nur wenige Fahrgäste verirren sich in das Eifelstädtchen. Schnell habe ich Biggi gesehen und gehe auf sie zu, um sie zu begrüßen.
„Hallo Biggi,“ sage ich lächelnd und biete ihr meine Hand. „Wie war die Fahrt?“
„Och, es ging. Ich musste in Köln eine dreiviertel Stunde auf den Anschluss warten, aber jetzt bin ich ja hier.“
„Das freut mich,“ antworte ich. „Mein Auto steht gleich dahinten. Wir fahren dann noch bei einem Supermarkt vorbei und dann zu mir.“
Ich führe sie an den Gleisen vorbei zum Auto, lege ihre Tasche in den Fußraum hinter ihrem Sitz und fahre los, nachdem sie sich angeschnallt hat. Im Supermarkt kaufe ich einen Fisch und Croissants, dann fädele ich mich in den stadtauswärts fahrenden Verkehr ein, vorbei an einem Industriegebiet. Nach einer halben Stunde fahre ich auf den Weg zu meinem Haus und helfe Biggi beim Aussteigen.