Cherie - 19
Ich mache „Ah“, ob des langen Vortrags. Paul leint Tapsy und seine Cherie an und dann gehen wir auch schon los. Taps‘ Leine übergibt er mir. Er nimmt einen Walking-Stock in die freie Hand. Zuerst durchqueren wir eine Baumschule mit jungen Nadelbäumen. Paul lächelt Dieter an.
„Dein Weihnachtsbaumgeschäft macht Fortschritte, wie ich sehe.“
„Ja, ist aber auch eine ziemliche Schinderei – alleine…“ lächelt Dieter zurück. „Ich wäre wirklich froh, wenn du dich dazu überreden ließest, hier mitzumachen. Gerne als Teilhaber… ‘Holzhandel Mattes und Tiefenbach‘, oder so.“
„Ich kann aber kein Kapital in die Firma einbringen,“ meint Paul nachdenklich.
„Brauchst du auch nicht! Du bringst deine Arbeitskraft ein und in der Freizeit leben wir unsere Neigungen!“ bekräftigt Dieter.
„Das hat wirklich etwas für sich,“ sagt Paul. „Warten wir das nächste Jahr noch ab.“
„Okay,“ meint Dieter. „Man kann niemand zu seinem Glück zwingen.“
In der Zwischenzeit haben wir den angrenzenden Wald erreicht. Es geht über einen Sandweg. Rechts und links daneben haben wir die typische Waldlandschaft aus Bäumen, durchsetzt mit Moosen, Gräsern und Büschen. An einer Abzweigung biegen wir ab. Hier geht es in leichtem Gefälle abwärts, während der rechte Wegrand immer steiler wird. Unterwegs sehe ich, warum Paul den Walking-Stock mitgenommen hat: Ab und zu stoppt er damit Lenas Geschwindigkeit und hält sie so auf gleicher Höhe mit sich, indem er ihr den Stock vor die ‘Vorderbeine‘ hält.
Dann treten die Bäume zurück. Der Wald öffnet sich zu einer Lichtung hin, die rechts und im Hintergrund von einer himmelhohen roten Felswand begrenzt zu sein scheint.
„Hier ist die Stelle,“ sagt Dieter.
Er wendet sich einem schmalen Pfad zu, der links vom Weg abgeht. Es geht steil abwärts. Die Wurzeln umstehender Bäume können wir wie Treppenstufen benutzen, müssen aber darauf achten, nicht darüber zu stolpern. Langsam und vorsichtig gehe ich hinter den Anderen her bis vor uns eine mannshohe Schilfwand steht.
„Das Schilf regeneriert sich schnell,“ meint Paul.
„Das ist wahr,“ gibt Dieter zurück und beginnt das Schilf vor sich nieder zu treten. Das leise Gluckern eines Wasserlaufes erfüllt die Luft.
Paul wendet sich zu mir:
„Nimm, Taps ruhig auf den Arm, während du hinter uns durch das Schilf brichst und achte darauf, wohin du trittst. Dies hier ist eine kleine Furt zu einer Wiese inmitten der Kyllschleife. Daher die Stiefel.“
Ich tue wie Paul mir geraten hat und nehme die Mopsdame auf den Arm. Dann gehe ich durch die Bresche im Schilf hinter Lena und den Männern her. Kurz darauf umspülen kleine Wellen meine Füße. Nach zwei Metern erreiche ich ein sandiges Ufer und setze Tapsy auf dem Gras dahinter wieder auf ihre Füße.
Paul sagt zu mir:
„Lass Taps ruhig von der Leine. Hier kann sie laufen.“
Also bücke ich mich zu Tapsy‘s Halsband hinunter, als ich Paul höre:
„Cherie, AUF! FREI!“
Ich schaue auf. Taps ist nun frei und stürmt los. Während ich mich aufrichte, richtet sich auch Lena auf. Sie reckt sich und läuft zum Strand hinunter, der in der Kehre des Baches gut zwanzig Meter breit ist. Tapsy dreht um und läuft freudig bellend auf sie zu. Lena beginnt einige gymnastische Übungen, die mich schmunzeln lassen. Aber wer weiß, wie ich mich in ihrer Situation verhalten würde… Dann spielen Taps und Cherie ausgelassen miteinander.
Wir gehen in der Zwischenzeit langsam spazierend über die Wiese. Dabei kann ich beobachten, wie Paul seine Cherie nie aus den Augen lässt. Plötzlich bückt sich Paul nach einem Zweig, den der Wind bestimmt hierher geweht hat. Er entfernt alle Nebentriebe und bricht ihn auf etwa Unterarmlänge durch.
„Cherie, ZU MIR!“ ruft er jetzt.
Lena hebt den Kopf, unterbricht ihr Spiel und kommt schnell auf zwei Beinen zu uns gelaufen. Bei Paul angekommen setzt sie sich ohne Aufforderung auf ihre Fersen und schaut zu Paul hoch. Er zeigt ihr den zurechtgemachten Stock, holt aus und wirft ihn fort.
Dazu sagt er: „HOL!“
Lena ist der Bewegung mit den Augen gefolgt, springt nun auf und läuft – wieder auf zwei Beinen – dem Stock hinterher. In einiger Entfernung bückt sie sich, hebt etwas auf und kommt auf die gleiche Weise zurückgelaufen. Bei Paul angekommen lässt sie den Stock aus ihrer ‘Vorderpfote‘ fallen und geht wieder in ‘SITZ-Position‘.
Taps hat die Aktion mitbekommen, ist hinter Cherie hergelaufen und sitzt nun auffordernd bellend neben Cherie.
„Klar, Tapsy, du darfst auch mal,“ sagt Paul lächelnd, wirft den Stock ein zweites Mal und ruft: „Taps, HOL!“
Während Taps hinter dem Stock herläuft, streicht Paul seiner Cherie zärtlich über Wange und Oberkopf. Dann angelt er aus einer Gürteltasche einen kleinen schokoladenbraunen Brocken und schiebt ihn ihr zwischen die Lippen. Cherie reibt ihren Kopf an seiner Hand und schon ist Taps mit dem Stock zurück. Auch die Mops-Dame erntet sein Lob und bekommt einen anderen Brocken als Leckerlie.
„Auch Schokolade?“ frage ich erstaunt.
Paul antwortet lächelnd: „Nein, für Taps habe ich Hunde-Leckerlies.“
Zu Cherie gewandt sagt er dann: „Cherie, FREI!“
Lena entfernt sich nun wieder in Richtung Bachlauf. Taps springt dagegen mehrfach an Paul hoch. Er zieht seine Stirn kraus und bückt sich nach dem Stock. Er wirft ihn in der Folge noch mehrfach und Taps apportiert ihn freudig.
Lena hat das Spiel aus einiger Entfernung eine Zeitlang beobachtet. Jetzt läuft sie in einem Bogen heran, so dass sie in Pauls Rücken kommt. Dabei sucht sie meinen Blick und legt lächelnd den Finger auf ihren Mund. Sie wartet einen Moment ab, in dem Paul durch Taps abgelenkt ist und läuft auf allen Vieren so nah an Paul vorbei, dass sie ihn mit der Schulter rammt. Paul macht ein überraschtes Gesicht und kippt hintenüber.
Als er im Gras liegt, beginnt Lena ihn abzulecken. Paul macht halbherzige Abwehrbewegungen. Er lässt Lena also im Großen und Ganzen gewähren. Ich schaue erstaunt von der Szene am Boden zu Dieter. Der Mann steht breit grinsend da und sagt seinerseits auch nichts, also beobachte auch ich stumm, was sich mir da bietet.