Cherie - 20
Als Taps dann hinzukommt, rappelt Paul sich auf und meint:
„Ich denke, unsere Hundies sind ausgepowert genug. Wir sollten uns auf den Rückweg machen.“
Dieter nickt und sagt mit immer noch grinsendem Gesicht:
„Das denke ich auch.“
Wir machen uns also auf den Rückweg über den Wasserlauf und durch den Wald. Taps und Cherie begleiten uns wieder angeleint. Die Szene auf der Wiese hat mich nachdenklich gemacht. So etwas hätte ich mir bei den Doms nie gewagt – es sei denn, ich hätte Sehnsucht nach der daraus folgenden Konsequenz. Da ich aber nicht masochistisch veranlagt bin, habe ich Bestrafungsszenarien in der Vergangenheit immer zu vermeiden gesucht. Wo es mir manchmal nicht gelungen ist, habe ich eben die ‚Zähne zusammengebissen‘ und die Folgen durchgestanden. Lena dagegen hat in voller Absicht gehandelt.
Wir haben Dieters Haus noch nicht erreicht, als ich nicht mehr an mich halten kann.
„Paul?“
„Ja?“
Er wendet sich im Gehen mir zu und schaut mich fragend an.
„Was hast du gedacht, als Lena dich auf der Wiese umgeworfen hat? Freutest du dich nicht, sie auf der Stelle dafür bestrafen zu können? Oder folgt das gleich noch im Spielzimmer?“
„Im Spielzimmer? Einen Raum mit SM-Gerätschaften gibt es bei Dieter nicht. Wir sind keine SMler, Biggi!“
„Du bestrafst Lena nicht? Sie hat dich absichtlich umgestoßen!“
„Warum sollte ich, Biggi? Ja, sie hat mich absichtlich umgestoßen, um auf Hundeart mit mir zu spielen. Und ich wäre ein schlechter Herr, wenn ich nicht mit meinem Doggie spielen wollte.“
„Ja, aber sie hatte die Initiative an sich gerissen. Der Herr bestimmt doch, was wann und wie lange er mit seiner Doggie ‘spielt‘…“
„Im SM wird die Sub zum Spielzeug der Lust für den Dom. Er nimmt sie sich und schickt sie weg, wann er will. Wird ihm das Spiel mit ihr langweilig, ‘entsorgt‘ er sie – wenn sie sich nicht vorher von ihm trennt. Das ist bei uns anders: Ich bin das ‘Alphatier‘ unseres ‘Kleinrudels‘. Ich bin mir nicht zu schade, mich auf Zeit – im Spiel – auf ihre Stufe zu begeben. Ernst ist Ernst und Spaß ist Spaß!
Ich verlange Gehorsam gegenüber meinen Kommandos, erwarte Hingabe, Treue und Ehrlichkeit. Dafür kümmere ich mich um alles und übernehme die volle Verantwortung für sie. Sie ist mir mental so nahe, wie kein anderes Lebewesen. Ein starkes emotionales Band verbindet uns!“
„Ihr liebt euch? Das hört man eigentlich kaum im BDSM-Bereich. Zwischen Dom und Sub muss es eine gewisse emotionale Distanz geben…“
„… sonst könnte er sie nicht als sein Spielzeug, als Ding/Gegenstand behandeln,“ vervollständigt Paul meinen Satz. „Darum sagte ich ja, wir sind keine SMler. Für mich ist Cherie kein Gegenstand, der meiner Lust dient, sondern ein Lebewesen voller Emotionen – und ich gebe ihr Raum, ihre Gefühle in Echtzeit auszuleben, statt dass sie sie – wie im normalen rationalen Alltag – in ihr Herz einschließt, weil es in vielen Momenten nicht opportun ist, Gefühle zu zeigen.“
Diese Aussage lässt mich wieder nachdenklich werden. Kurz darauf haben wir Dieters Haus erreicht.

*

Wir sind am gestrigen Abend nach dem Essen bei Dieter zu Paul zurück gefahren. Dort habe ich auf der zum Gästebett umfunktionierten Couch im Wohnzimmer übernachtet und nach dem späten Frühstück bringt mich Lena zum Zug. Im Bus beginnen wir, uns über meine Eindrücke zu unterhalten, die ich gestern bei Dieter in der Eifel gewonnen habe.
„Ich muss schon sagen, dass das Wochenende mich sehr beeindruckt hat, Lena.“
„So?“
Lena lächelt mich an.
„Ja, das Verhältnis zwischen Owner und Pet, das ihr mir vorgelebt habt – wenn es denn eurem Alltag entspricht – ist so anders, als ich es bisher mit allen anderen Kerlen kennengelernt habe.“
„Du hast ja erzählt, dass du vom SM zum Petplay gekommen bist – und auch die Männer, mit denen du deine Sessions gespielt hast, waren SMler. Du warst für sie ein Spielzeug ihrer Lust – auch in der Rolle des Pet. Zwischen den Sessions wirst du von den Männern dir selbst überlassen. Sie erklären das mit deiner Selbstverantwortung. Ich nenne das, Angst davor Verantwortung im Alltag zu übernehmen! Deshalb wird auch nie mehr daraus. Deshalb entwickelt sich aus einer Session nie so etwas wie eine Freundschaft, aus der vielleicht eine Beziehung entsteht…
Und noch etwas anderes: Kommst du deinem jeweiligen Herrn mit einer Frage, willst eine Information über den gedanklichen Hintergrund seines Handelns, bekommst du eine ‚dumme‘ Antwort. Er kanzelt dich arrogant ab, und stellt sich so mental über dich. Warum? Hat er keine vernünftige Antwort auf deine Frage? Hält er das für Dominanz? Ich denke eher, es ist Machismo!
Dann kommt so ein Statement, wie ‚Intelligenz ist sexy, dumm bumst gut…‘ Was soll das bedeuten? Hat er gern eine Frau, die nicht dauernd sein Handeln hinterfragt, die selbstbewusst ihren Alltag bestreitet, ohne ihn öfter mal um Rat zu fragen? All das fördert das Single-Dasein. Jeder bleibt für sich. Man trifft sich nur, wenn der Kerl Bock auf die Frau hat – bis sie ihm langweilig wird, und er nach ‚Frischfleisch‘ Ausschau hält. Da läuft doch etwas falsch, oder?“
Lena hat sich in Rage geredet. Ihre Wangen glühen. Ich lasse ihre Worte eine Weile stumm auf mich einwirken, dann frage ich sie:
„Wie läuft es deiner Meinung nach denn richtig?“
„Der Mensch ist ein soziales Wesen. Alleingelassen verkümmert er seelisch. Wenn sich also Mann und Frau treffen, um eine gemeinsame Neigung zu leben, und sie bleiben sich dabei seelisch fremd, sollten sie sich wieder trennen und einen anderen Menschen suchen. Irgendwann taucht – ganz sicher! – ein Mensch auf, der einem sympathisch ist, der offen für alle Fragen ist, die einen beschäftigen und sich dabei nicht für etwas Besseres hält. Zu diesem Menschen entwickelt sich eine mentale Brücke. Das erkennst du darin, indem du dich zu ihm hingezogen fühlst. Fühlt er das Gleiche, kann sich eine Freundschaft entwickeln, aus der vielleicht eine Beziehung wird.