Cherie - 06
In den folgenden Wochen entwickelt Lena immer mehr Vertrauen zu mir. Sympathie wächst und unsere Freundschaft verändert sich allmählich hin zu einer zarten Liebe. Wir fühlen uns beide stark zueinander hingezogen. Also beginne ich in den Zeitungsanzeigen nach einer größeren, aber doch erschwinglichen Wohnung zu suchen. Schließlich finde ich eine und schaue sie mir von außen an. Dann erzähle ich Lena davon.
Vier Wochen später ist alles geregelt und wir erleben unser junges Glück in einem gemeinsamen Heim.
Wochen danach komme ich von der Arbeit und versorge Tapsy, die inzwischen ebenfalls an mir hängt. Dann will ich uns das Abendessen machen, als das Telefon klingelt.
„Tiefenbach.“
„Mayer. Hallo Herr Tiefenbach, Sie sind doch der Lebensgefährte von Frau Fischer?“
„Das ist richtig.“
„Frau Fischer ist heute im Marktwagen bewusstlos zusammengebrochen. Die Marktaufsicht sagte mir, Kunden hätten das miterlebt und den Notarzt gerufen. Dieser hätte sie in ein Krankenhaus gebracht. Ihr Fahrrad habe ich hier. Sie können es gerne abholen.“
Mein Herz rast plötzlich. Was ist meiner Lena passiert? Wo ist sie jetzt? Hoffentlich ist sie in guten Händen!
„Wissen Sie in welches Krankenhaus sie eingeliefert wurde?“
„Leider nein, aber soviele Möglichkeiten gibt es hier ja nicht…“ entgegnet mir der Anrufer.
„Haben Sie vielen Dank! Wenn es ihnen nichts ausmacht, setze ich mich gleich ins Auto und hole ihr Rad bei Ihnen ab.“
„Nein, ist schon okay.“
„Also bis gleich.“
„Ja, bis gleich.“
Nachdem ich Lenas Rad bei ihrem Chef abgeholt habe, fahre ich die Krankenhäuser in der näheren Umgebung ab. Beim dritten habe ich schließlich Erfolg. Dort sagt man mir, dass kurz nach Mittag eine Frau eingeliefert wurde, von der gesagt wurde, dass sie Lena Fischer heißen soll. Ich solle am Folgetag doch ihre Papiere und die Krankenkassenkarte vorbei bringen.
Auf meine Frage, ob ich Lena sehen dürfe, heißt es, dass sie Verbrennungen erlitten hätten. Entsprechende Verbände lassen nur wenig von ihr erkennen. Außerdem hätte man sie in Narkose versetzt. Sie schlafe also jetzt. Aber man nennt mir die Zimmernummer.
Ich verabschiede mich also von der Dame am Eingang und irre durch die Gänge. Mein Brustkorb fühlt sich an, als befände er sich in einem Schraubstock. Dann finde ich ihr Zimmer und will die Klinke herunter drücken. In dem Augenblick werde ich von hinten angesprochen.
„Hallo Sie, bitte betreten Sie das Zimmer jetzt nicht!“
Ich drehe mich um und sehe eine Krankenschwester auf mich zu kommen.
„Wer sind Sie?“
„Ich bin Herr Tiefenbach, der Lebensgefährte von Frau Fischer.“
„Ah. Ziehen Sie bitte Handschuhe, Plastik-Überschuhe und diese Haube an, bevor Sie das Zimmer betreten! Aber viel wird es nicht bringen. Frau Fischer schläft gerade.“
Sie hat einen Schrank geöffnet und zeigt mir die Utensilien.
„Ich habe schon gehört, dass sie in Narkose liegen soll. Kann ich nicht wenigstens von der Tür aus ein Blick auf sie werfen?“ frage ich.
„Okay, wenn Sie das Zimmer nicht betreten…“ meint sie und öffnet die Tür.
Viel kann ich nicht erkennen, denn dahinter befindet sich eine Schleuse mittels eines Plastikvorhanges.
„Es wird wohl das Beste sein, wenn ich morgen wiederkomme,“ entscheide ich, zur Krankenschwester gewandt.
„Das denke ich auch,“ antwortet sie mir.
Ich verabschiede mich also und fahre nachhause. Dort versuche ich mich mit dem aktuellen Fernsehprogramm abzulenken. Taps erkennt meine Verfassung, legt sich neben mich und lässt sich streicheln. Allmählich werde ich ruhiger und gehe bald zu Bett.
Am nächsten Morgen suche ich ihren Ausweis und die Krankenkassenkarte heraus und nehme sie mit zur Arbeit. Dort nehme ich mir einen halben Tag frei und fahre gegen Mittag ins Krankenhaus. Die Formalitäten sind schnell geregelt und ich gehe auf die Station. Im Stationszimmer finde ich eine andere Krankenschwester.
„Hallo, ich heiße Tiefenbach und bin der Lebensgefährte von Frau Fischer. Gestern bin ich von ihrem Arbeitsunfall informiert worden und wollte sie besuchen, aber sie lag in Narkose. Wie geht es ihr heute?“
„Das tut mir leid, Herr Tiefenbach. Ihre Lebensgefährtin liegt leider immer noch in Narkose. Außerdem unterliegt jeder der das Zimmer betritt höchsten Hygienevorschriften, damit kein Keim in ihre Brandwunden gerät.“
„Ich weiß, darauf hat mich die Spätschicht gestern schon aufmerksam gemacht… Wann kann man damit rechnen, dass sie aus der Narkose erwacht?“
„Das weiß ich leider auch nicht. Das entscheiden die Ärzte, die sich täglich den Heilungsprozess ansehen.“
„Oh,“ mache ich und weite erschreckt die Augen. „Sie wird dann sicher künstlich ernährt und beatmet?“
„Ja, man hat ihr Schläuche gelegt.“
„Können Sie mir Hoffnung machen?“
„Haben Sie Geduld, Herr Tiefenbach. Sie können sich gerne täglich bei mir über Frau Fischer erkundigen!“
Die Krankenschwester zuckt freundlich lächelnd mit den Schultern. Ich verabschiede mich mit gerunzelter Stirn und sage noch:
„Wie gern wäre ich der Erste, den sie in der Aufwachphase erblickt!“
„Das wird leider nicht möglich sein,“ meint sie noch. „Üblicherweise ist es eher einer der Ärzte, während er die Schläuche zieht…“
Es vergeht insgesamt mehr als eine Woche, in der ich täglich gleich nach der Arbeit nach Lena schaue. Dann endlich darf ich in Hygienekleidung zu ihr hinein. Sie lächelt mich schwach an. Ich mache ihr Mut. Nach zwei weiteren Wochen darf sie die Station verlassen und wird auf ein normales Zimmer verlegt. Jetzt dürfen wir auch schon kleine Spaziergänge unternehmen. Vier Wochen später ist Lena wieder zuhause, allerdings noch drei Monate krankgeschrieben. Ihren Job macht inzwischen eine andere junge Frau. Sie hat die schriftliche Kündigung bekommen.