Cherie - 08
„Was ist eigentlich, wenn das enge Verhältnis erlahmt, das zwischen Mutter und Kind oder Mensch und Tier besteht?“ platzt es plötzlich aus ihr heraus.
„Wir müssen frühzeitig die Anzeichen erkennen und gegensteuern, Cherie! Du bist das wichtigste Lebewesen auf diesem Planeten für mich! Ich hoffe, ich für dich auch?“
Sie beugt sich zu mir herüber und haucht mir einen Kuss auf die Wange.
„Du für mich auch! Ich hoffe, dass wir meine Mama jetzt öfter besuchen. Vielleicht einmal im Jahr? Wie willst du gegensteuern?“
„Die Entfernung ist groß von zuhause. Einmal im Jahr muss aber machbar sein! Darauf achte ich! – Wie will ich unsere Beziehung so innig erhalten?
Es gibt eine Reihe negativer Einflüsse, die man kennen muss: erstens, wenn wir uns des anderen nicht mehr bewusst sind, wenn uns der andere egal zu werden beginnt. Zweitens das unstillbare Verlangen nach mehr. Wenn uns der andere nicht mehr genug ist. Drittens, wenn das Mitgefühl schwindet und der Selbstsucht Platz macht. Viertens die Angst vor der Vergänglichkeit, vor dem Ende des Mitgefühls. Fünftens, wenn die Gefühle nicht mehr bestimmen, sondern das körperliche überhand nimmt. Sechstens, nur noch zu glauben, was man sieht. Wenn also die Rationalität mehr Gewicht bekommt als die Emotionalität. Und siebtens die Besserwisserei, die verblendete Selbstüberzeugung, der Fanatismus.“
„Das ist ein großes Programm! Ich weiß nicht, ob je ein Mensch dagegen gefeit ist…“
„Wir sind zu zweit. Siehst du Anzeichen bei mir, mache mich darauf aufmerksam, Cherie! Genauso will auch ich auf Anzeichen bei dir achten!“
Die restliche Fahrt ist Lena still geworden und hängt ihren Gedanken nach. Ich lasse sie gerne in Ruhe den heutigen Tag verarbeiten. Wir übernachten in einem Gasthof mit Fremdenzimmer, um anderentags den Rest des Events mitmachen zu können und am Nachmittag nachhause zu fahren. Ich denke, das reicht für’s Kennenlernen des Petplay.

*

Paul hat mir eine Riesenfreude gemacht, dass er mit mir meine Heimat und damit Mamas Grab besucht hat. Ich kann ihm nicht genug danken dafür. Er will jetzt sogar regelmäßig mit mir dorthin fahren!
Statt der zwei Tage, die das Petplayer-Event bei Hamburg eigentlich dauert, schnuppern wir nun nur kurz hinein, damit ich einen Eindruck von seinem Faible bekomme.
Der Navi leitet uns zu einem Bauernhof. Der Hamburger Stammtisch der Petplayer hat den Hof und die Fremdenzimmer dort für ein Wochenende angemietet. Hätten wir uns für eins der Zimmer angemeldet, hätten wir einen Beitrag zahlen müssen.
Als wir am Ziel ankommen, sehen wir eine Reihe von Fahrzeugen am Wegrand stehen. Paul parkt unseren Wagen dazu. Dann gehen wir auf die Gebäude zu.
„Hallo, darf ich fragen, was sie wünschen?“ werden wir angesprochen.
„Hallo,“ antwortet Paul. „Ich habe in der Petplay-Community von dem Event gelesen, und wollte meiner Lebensgefährtin ermöglichen sich einmal anzuschauen, was da so abgeht.“
„Ah, Sie sind also Petplayer. Welches Tier?“
„Ich bin Besitzer und meine Lebensgefährtin wäre die Doggie, wenn es ihr zusagt.“
„Kommen Sie erst einmal herein,“ meint der Mann.
Er macht Platz und wir betreten das Gebäude.
„Die Pets, die schon seit gestern hier sind, haben sich oben auf den Zimmern umgezogen. Brauchen Sie eine ruhige Ecke, um sich zurecht zu machen?“ fragt er.
„Nein,“ lehnt Paul höflich ab. „Wir bleiben nicht lange. Es ist ihr erstes Mal. Sie möchte sicher nur schauen. Vielleicht ergibt sich ein kurzes Gespräch mit einem anderen Teilnehmer, dann fahren wir wieder. Beim nächsten Mal sind wir dann sicher länger da.“
Der Mann nickt, lächelt freundlich und weist uns zum Hinterausgang. Wir verlassen das Bauernhaus dort wieder und befinden uns in einem Hof, der rechts und links von Schuppen und Vorratsgebäuden begrenzt wird. Hier stehen einige Tische. Von der angrenzenden Wiese ertönen Lachen und Anfeuerungsrufe. Wir nähern uns den Geräuschen und sehen, dass auf der Wiese ein Parcours abgesteckt ist. Eine Person auf zwei Beinen und eine Person auf vier Beinen bewegen sich schnell über den Parcours, wobei die Person auf vier Beinen von der anderen Person an einer Leine geführt wird. Beide Personen haben Lederkleidung an. Die Person auf vier Beinen dazu noch eine Maske, die einen Hundekopf darstellt. Andere Personen in Leder oder Latex stehen am Rand. Etwa die Hälfte davon trägt verschiedene Masken und einigen hängt ein Schweif hinten herunter.
Erstaunt und stumm schaue ich dem Treiben zu.
Dann gehen die Anwesenden Paar für Paar zu den Tischen im Hof und bestellen etwas zu trinken. Paul geht mit mir zu den Leuten und er fragt ein Paar, ob wir uns dazu setzen dürfen. Der Mann macht eine einladende Handbewegung und die Frau lächelt uns an. Sie hat gerade ihre Maske abgelegt.
„Sind Sie neu hier?“ beginnt der Mann kurz darauf ein Gespräch.
Paul geht höflich darauf ein und sagt:
„Ja, wir waren noch nicht hier. Ich heiße übrigens Paul Tiefenbach und das ist meine Lebensgefährtin Lena Fischer. Ich bin als „Peterle“ seit Jahren in der Petplay-Community aktiv. Lena ist das alles noch ziemlich neu. Darum habe ich sie eingeladen, einmal zuzusehen und sich eine eigene Meinung zu bilden.“
„Ah, ich bin Peter Balder und das ist meine Doggie Biggi,“ antwortet der Mann.
Wir wechseln noch ein paar Worte Smalltalk miteinander, dann stehen die Beiden wieder auf und gehen zur Wiese zurück. Die Frage, ob wir sie begleiten mögen, bejaht Paul und so folgen wir den Beiden.
Herr Balder verändert mit anderen Anwesenden den Parcours, während Biggi abwartend am Rand stehenbleibt.
„Dein Freund oder Mann kennt sich hier ja ziemlich au,“ sage ich, an Biggi gerichtet.
„Wir sind nicht zusammen,“ korrigiert Biggi. „Ich treffe mich mit Peter nur hin und wieder zu solchen Sessions, wie diese hier. Wir verbringen ein Wochenende als Hündin und Herr, dann geht jeder wieder seinem eigenen Tagesablauf nach.“
„Oh, also wohnt ihr noch nicht einmal zusammen?“