Cherie - 10
Wie ich an den Ansagen während der Fahrt höre, lässt sich Paul vom Navi leiten. Ich kann zwar durch die getönten Scheiben nach draußen schauen, aber nach wenigen Kilometern Autobahnfahrt hat die vorbeiflitzende Landschaft meine Augen so ermüdet, dass ich sie schließe und kurze Zeit später muss ich wohl eingeschlafen sein.
Durch das Öffnen der Heckklappe werde ich wach. Ich stemme mich hoch und schaue an Paul vorbei. Hinter ihm steht ein Haus, das aussieht, als hätte man ein Dach gleich auf den Erdboden gebaut. Neben ihm steht ein älterer, freundlich dreinblickender Mann.
Paul öffnet die Gittertür des Käfigs und hält mit eine Trinkflasche hin. Dankbar nehme ich einen Schluck. Während ich ins Freie klettere hat Taps mit einem Sprung den Wagen verlassen. Sie hat die Fahrt zusammengerollt an meiner Seite außerhalb des Käfigs verbracht.
Der Parkplatz ist geteert. Zum Haus führt ein Weg aus Gehweg-Platten. Paul legt mir schnell noch das Equipment an, dann gehe ich neben ihm her auf den Spezial-Ballerinas und Pfotenfäustlingen. Genau wie Taps bin ich dabei mit meinem Kopf auf Höhe seiner Beine. Er hat uns gelehrt, nicht voraus zu laufen, wenn es heißt „BEI FUSS“ zu gehen.
Dieter, wie der ältere Mann heißt, öffnet die Eingangstür in der dreieckigen Front und führt uns zuerst im Haus herum. Gleich hinter dem Eingang liegt der großzügige Empfangsbereich mit Garderobe und Toilette. Rechts daneben zeigt er uns eine zum Wohnbereich offene Küche. Die Bereiche Kochen, Essen und Wohnen gehen unmerklich ineinander über. Die verglaste Rückfront des Hauses öffnet sich zur großen überdachten Terrasse. Dahinter liegt eine Rasenfläche in deren Mitte ein Schwimmbecken in den Boden eingelassen ist. Rund um die Rasenfläche gruppieren sich dicht an dicht mannshohe Koniferen, so dass der Garten kaum einsehbar ist.
Zurück im Haus führt Dieter uns nun die Treppe hinauf. Durch doppelt tiefe Stufen wirkt die Treppe überhaupt nicht steil, was mir auf allen Vieren sehr entgegen kommt. Oben befinden sich zwei Schlafzimmer und direkt über der Küche zur Straßenseite hin eine geräumiges Bad.
„Na, wie gefällt euch das Haus?“ fragt Dieter.
Paul antwortet: „Das ist ein wunderschönes Haus. Hier könnte ich mir vorstellen zu leben!“
Dieter lächelt: „Dann bauen wir bald weitere Häuser, und du bekommst eins davon!“
„Aber, zuerst muss ich hier eine Arbeitsstelle finden, bevor ich an so etwas überhaupt denken kann,“ schränkt Paul ein.
„Darüber wollte ich noch mit dir reden,“ meint Dieter.
Paul schaut interessiert, doch Dieter wiegelt erst einmal ab: „Noch ist nichts spruchreif, aber hier entstehen Arbeitsplätze in der Holzwirtschaft. Ich habe ja darüber schon einmal gesprochen. Kommt erst einmal in die Küche. Ihr müsst doch hungrig sein.“
Ich reibe mich an Pauls Bein und schaue ihn mit verkniffenem Gesicht an, denn in meiner Rolle soll ich mich nur über Gestik und Mimik verständlich machen, ganz so wie Taps auch.
„Du musst mal?“ rät Paul.
Ich nicke kurz und senke den Kopf. Also lässt er mich von der Kette und öffnet mir die Badtür. Ich mache ein fragendes Gesicht und strecke ihm die Hand im Pfotenfäustling entgegen.
Paul lächelt und geht in die Hocke. Er zieht mir die Pfotenfäustlinge aus und sagt:
„Jetzt kannst du sicher alleine auf die Toilette.“
Ich nicke und er ruft:
„Taps!“
Unsere Mops-Hündin läuft auf Paul zu und springt an ihm hoch.
„Aus, Taps! Bei Fuss!“
Während ich mich auf die Toilette im Bad zurückziehe, gehen Dieter und Paul mit Taps die Treppe hinunter.

*

Nachdem wir das Haus besichtigt haben, und Dieter mit uns in die Küche gehen will, um ein Mittagessen zu zaubern, muss Lena zur Toilette. Ich lasse sie sich oben im Bad erleichtern.
Auf der Treppe fragt mich Dieter:
„Du hättest mit deiner Cherie in den Garten gehen können oder sie oben auf die Hundetoilette lassen können. Feuchtes Toilettenpapier für ihre Pflege ist auch vorhanden…“
„Cherie ist erst kurz meine Doggie, und noch nicht 24/7. Ich möchte sie allmählich einfühlsam auf Doggie trainieren, wie du mir ans Herz gelegt hast. Das gemeinsame Gassigehen kommt sicher bald,“ erkläre ich ihm.
Er lächelt und nickt.
„Ich finde es gut, wie du das angehst!“
„Es ist wie eine langsame Metamorphose, allein auf mentaler Basis. Genau wie du mir es ans Herz gelegt hast, wenn ich eine Doggie aufnehme,“ antworte ich.
„Ja, die ‘positive Verstärkung‘ zusammen mit der schrittweisen Hinführung! Ich halte nichts von Zwang und Eile,“ bekräftigt Dieter.
Kurz darauf kommt Lena auf allen Vieren die Treppe hinunter. Sie schaut kurz zur Küchentür herein und ist dann wieder verschwunden. Ich runzele die Stirn, gehe zur Tür und schaue rechts und links. Keine Doggie zu sehen. Da sie nicht vor die Tür gegangen sein kann, gehe ich ins Wohnzimmer und muss grinsen. Sie liegt mit dem Rücken zum Kamin auf der Seite, die Essecke im Blick. Taps hat sich vor ihren Bauch gelegt und lässt sich kraulen.
Ich gehe, immer noch grinsend, in die Küche zurück, um Dieter weiter zu helfen. Er schaut auf und fragt:
„Was ist denn so lustig?“
„Cherie und Taps liegen dösend vor dem Kamin und warten anscheinend auf ihr Essen.“
„Ein Herr hat nun einmal so seine Pflichten. Eine davon ist die Verpflegung seiner Pets,“ gibt er mir zur Antwort, nun ebenfalls grinsend. Dabei kneift er kurz ein Auge zu.
Bald sind wir fertig. Dieter hat drei Lachsfilets im Ofen gebacken und immer wieder mit Olivenöl eingepinselt. Zum Schluss bekommen sie eine Petersilienkruste. Dazu gibt es Salzkartoffeln und Mischgemüse mit einer hellen Soße, für die er das Gemüsewasser weiterverwendet hat.