Cherie - 36
„Ich arbeite seit Jahren in einer großen Fabrik in Köln am Band,“ berichtet Klaus. „Zuhause hatte meine Ex das Regiment. Allerdings ging die Beziehung vor drei Jahren in die Brüche. Seitdem versuche ich, mich neu aufzustellen. Über das BDSM bin ich zum Petplay gekommen. Bin also noch ganz neu und fand das Angebot hier so interessant, dass ich es mir einmal anschauen wollte.“
„Das tut mir dann leid, dass du auf Anhieb nicht die Richtige für dich gefunden hast. Aber das kann ja noch kommen,“ versuche ich ihn zu trösten. „Aber sag, in einer großen Fabrik in Köln am Band… Das erinnert mich an etwas.“
„Ja?“
„Ich habe bei Ford Köln meine Ausbildung gemacht und bin danach ins Hauptwerk ans Band gekommen. Nicht direkt ans Band,“ präzisiere ich, „sondern in eine Werkstatt neben dem Band. Dort sollte ich Kleinserien von Ersatzteilen für das Band herstellen unter Zeitvorgabe. Zusätzlich saß mir der Meister ständig im Nacken. Ich habe es nur ein halbes Jahr dort ausgehalten. Gebuckelt habe ich im Elternhaus genug. Das brauche ich nicht auch noch auf der Arbeit! Heute habe ich verstanden, dass der Meister wohl Druck von oben auszuhalten hatte, und diesen nach unten weitergegeben hat… Ich bin allerdings anders gestrickt: Aufgrund meiner kindlichen Erfahrungen war ich nun nicht mehr bereit zu buckeln. Lieber steh ich mit geradem Rücken da und biete den Meinen eine Stütze, Schutz und Sicherheit. Auch ich habe ins BDSM hineingerochen und festgestellt, dass das nichts für mich ist.
Etwas anderes - stell dir mal vor, du stehst einem Rudel Doggies vor, wärst der Rudelführer. Wie würdest du mit den Doggies deines Rudels umgehen?“
„Nun,“ beginnt Klaus bedächtig, “als Rudelführer läge mir einerseits auch das Wohl des Rudels am Herzen, andererseits müsste ich aber auch darauf achten, stets Rudelführer zu bleiben. Es wird sicher öfter zu Rangkämpfen kommen…“
„Und du wirst das Rudel führen, wie der Name schon sagt…“
„Natürlich, aber Führen ist dann nicht Selbstzweck, sondern die Verantwortung für das Wohl des Rudels steht im Vordergrund.“
„Richtig, Klaus. Kannst du dir denken, warum ich dich gefragt hab?“
„Hast du eine Rudel Doggies?“ fragt er mit einem lauernden Gesichtsausdruck.
„Nein,“ antworte ich mit vielleicht etwas zuviel Schärfe in der Stimme. „Im Übrigen halte ich Sex für die schönste NEBENSACHE der Welt. Männer, deren Gehirn vorne in der Hose sitzt, kann ich nicht gebrauchen!“
Etwas versöhnlicher ergänze ich: „Du sprachst eben von verantwortungsbewusstem Führen mit Blick auf das Wohl der Doggie. Wie wäre es, wenn du die Seite wechselst? Werde Owner, jedoch nicht sexorientiert, sondern gefühlvoll und einfühlsam. Sieh in deiner Doggie kein Spielzeug deiner Lust, sondern ein Lebewesen mit Gefühlen, das sich dir anvertraut. Vertrauen ist ein hohes Gut! Und Verantwortung ist eine große Aufgabe!“
„Hmmm,“ brummt er. „Du meinst?“
„Ja,“ sage ich. „Setz dich erst einmal her.“
Ich weise auf einen freigewordenen Tisch in der Nähe und stelle zwei Gläser darauf. Dann setze ich mich über Eck und rufe:
„AIKA, ZU MIR!“
Biggi hat den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen und kommt nun heran. Zwischen mir und Klaus geht sie auf alle Viere und schaut zu mir auf. Ich nehme mein Glas, setze es ihr an den Mund und lasse sie einen Schluck trinken. Dann lege ich ihr meine Hand auf die Schultern und sage zu Klaus:
„Verstehe dich als Owner nicht als Domsad, sondern kümmere dich, sorge, pflege, trage die Verantwortung, so dass dein mögliches späteres Doggie sich bei dir sicher und geborgen fühlt.“
Klaus nickt.
„Das hat was,“ meint er dazu.
„Vertrete nicht bloß deine Interessen gegenüber der Umwelt. Mach dir auch ihre Interessen zu eigen und vertrete auch sie! Das nennt man ‚Verantwortung übernehmen‘.“
„Ich…“ beginnt Klaus, als Lena hinzutritt.
„Dieter, darf ich kurz unterbrechen?“
„Ja, was hast du denn?“
„Ich habe mich dahinten mit zwei Frauen unterhalten –Pets-. Sie sind ziemlich desillusioniert…“
„Probleme mit dem Event? Ideen, es zu verbessern beim nächsten Mal?“
„Nein, es geht um die Owner, die sie hier kennengelernt haben. Sie haben hier andere Charaktere erwartet als die üblichen, weil sie von deinem Roman fasziniert waren.“
„Hm, ein Roman ist ein Roman. Er beschreibt ein idealisiertes Leben. Klar, ich stehe voll dahinter. Aber es müssen sich auch noch andere finden, denen der Roman Denkanstöße gibt, um sie ins reale Leben zu überführen wie bei uns.“
Ich drehe mich zu Klaus um.
„Wäre das nicht etwas für dich?“
„Ich kenne deinen Roman nicht! Wie soll ich mich ihnen gegenüber denn verhalten? Was erwarten sie von mir? Eigentlich wollte ich zuhause eine Weile darüber nachdenken! Wenn wir in Kontakt bleiben könnten für die vielen Fragen, fände ich das gut.“
„Denk einfach daran: Du bist kein Domsad, aber du bist der Rudelführer, du sagst wo es lang geht, aber nicht mit Blick auf deinen persönlichen Lustgewinn, sondern mit Blick auf ihr Wohl, auf das Wohl des Rudels! Damit dürftest du punkten. Denk einfach an das, was ich dir gesagt hab.“
Ich nicke ihm aufmunternd zu. Klaus steht mit zweifelndem Gesicht auf. Er lässt sich von Lena zu den beiden Frauen führen. Gespannt schaue ich hinter ihm her.
In diesem Moment treten die beiden Pärchen an mich heran, die als Sieger aus dem Parcours-Lauf hervor gegangen sind. Einer der ‚Owner‘ spricht mich an.
„Hey, habt ihr hier auch ein Spielzimmer?“
Ich schaue ihn groß an und schüttele nach einer Gedankenpause den Kopf.
„Nein, der Herr. Wir praktizieren hier Petplay und kein Sadomaso…“
Der Mann dreht sich schulterzuckend zu dem Anderen um, dann wendet er sich wieder mir zu.
„Dann verzichten wir gerne auf die Übernachtung. Kennen Sie einen Club in der Nähe?“