Cherie - 44
Anita erklärt ihr, dass wir Petplay bisher nur als Kopfkino betrieben haben, und wir uns hauptsächlich im Storyblog auf der Internetseite der Community aufgehalten haben. Durch die Geschichte des Veranstalters dort wären wir auf ihn aufmerksam geworden und sind dann neugierig seiner Einladung gefolgt.
Lena bückt sich nach den vier Flaschen auf dem Boden und fragt:
„Darf ich euch neue Getränke bringen? Wisst ihr was: Ich mache Dieter, so heißt der Veranstalter real, darauf aufmerksam. Er wird sicher einen Rat für euch haben!“
Anita schaut mich an. Ich nicke ihr zu. Also stimmt Anita Lenas Vorschlag zu. Lena geht zu dem Tisch, an dem der Veranstalter gerade mit einem männlichen Teilnehmer des Events spricht. Um uns herum brechen die anderen Teilnehmer des Events nacheinander auf.
Ich sehe, wie Dieter noch einmal mit dem Gast spricht, der sich daraufhin erhebt und in Lenas Begleitung an unseren Tisch kommt. Er stellt sich höflich vor und fragt, was uns zur Teilnahme bewegt hat.
Zuerst einmal geht Anita voll in Abwehrhaltung und stellt klar, dass wir nicht für ein Sexdate hergekommen sind.
Das Ansinnen wehrt Klaus, wie der Mann heißt, sofort ab. Das sei nicht seine Art beim ersten Kennenlernen.
Anita schiebt etwas versöhnlicher nach, dass wir auch nicht an irgendwelchen SM-Praktiken interessiert sind. Klaus geht darauf ein. Er sagt, dass er sich in der Rolle des Owners ebenfalls erst noch einrichten muss. Er hätte eben mit dem Veranstalter darüber gesprochen und ihm gefällt die Art sehr gut, wie Dieter das Thema angeht.
„Möchten Sie gleichzeitig mit mir bei Dieter in die Lehre gehen?“ fragt er.
Anita, die das Gespräch bisher geführt hat, wirft mir einen vielsagenden Blick zu. Sie möchte das Gespräch sicher hier beenden und aufbrechen. Da treten Dieter und Paul mit der älteren Servicekraft an unseren Tisch.
„Dürfen wir uns setzen?“ fragt Dieter, lächelt uns freundlich an und setzt sich wie selbstverständlich neben Klaus. „Was denken Sie über Petplay allgemein und das Event im Besonderen?“
„Das Event ist ja früh zu Ende,“ stellt ich trocken fest.
Dieter lächelt gequält. Damit müsse man immer rechnen, meint er und sagt, dass er es schön findet, dass sich zumindest sieben Gleichgesinnte zusammengefunden haben. Er bietet uns an, in den Gästezimmern zu übernachten und morgen Vormittag Dogplay live zu erleben an den Beispielen CHERIE und AIKA. Dabei zeigt er erst auf die jüngere, dann auf die ältere Servicekraft. Danach könnten wir überlegen, ob das etwas für uns ist.
Anita stimmt neugierig zu, nachdem wir wieder Blicke getauscht haben. Dann helfen wir beim Aufräumen und lassen den Abend in Dieters Wohnzimmer in gelöster Atmosphäre ausklingen. Dabei erfahren wir, dass Paul und Lena ein Paar sind. Biggi und Dieter sind miteinander befreundet. Das Wort ‚Liebe‘ – Klaus hat es ins Gespräch gebracht – kommt mir im Zusammenhang mit Petplay etwas befremdlich vor.
Paul schaltet sich hier ins Gespräch ein:
„Wenn heute jemand von Liebe spricht wird damit meist Sex assoziiert. Das greift zu kurz! Denkt mal an die Liebe zwischen Mutter und Kind, oder zwischen einem Menschen und seinem geliebten Haustier!
Liebe ist mehr als die sexuelle Harmonie! Genauso wichtig ist die emotionale Hingezogenheit zum Partner.“
Lena präzisiert:
„Ohne die Liebe zum Partner hat der Sex miteinander nicht diese Kraft! Die Liebe verbindet beide auf emotionaler Ebene. Sie macht langmütig, lässt also vieles zu, worüber andere schon längst in Streit geraten wären. Sie lässt einen nicht nach seinem persönlichen Vorteil suchen oder nachtragend werden, sondern versucht das Wohl des Anderen zu vermehren. Sie respektiert den anderen, verurteilt die Lüge, lässt einen ritterlich und ehrenhaft handeln. Die Liebe hält allen Anwürfen von außen stand!“
Anita ruft aus, als sie diese Aussagen hört:
„Das ist doch alles Theorie! Das ist ein hohes Ideal von der Liebe, die im Alltag nicht lange Bestand hat! Wie willst du deine Ideale denn durch den Alltag retten?“
Paul antwortet ihr, während Lena sich an ihn schmiegt:
„Wir sind alle nur Menschen und keine Halbgötter. Aber wir sind intelligent genug frühzeitig Anzeichen zu erkennen, dass man sich auseinanderlebt und darüber offen sprechen. Dann lässt sich gegensteuern. Lena ist das wichtigste Lebewesen auf diesem Planeten für mich! Umgekehrt gilt sicher das Gleiche.“
Während Paul das sagt, schmiegen sich die beiden Pärchen zärtlich aneinander.
„Wie will ich nun gegensteuern?“ redet Paul weiter. „Es gibt eine Reihe negativer Einflüsse, die man kennen muss: einmal, wenn wir uns des anderen nicht mehr bewusst sind, wenn uns der andere egal zu werden beginnt. Dann das unstillbare Verlangen nach mehr. Wenn uns der andere nicht mehr genug ist. Oder, wenn das Mitgefühl schwindet und der Selbstsucht Platz macht. Auch die Angst vor der Vergänglichkeit, vor dem Ende des Mitgefühls. Sowie, wenn die Gefühle nicht mehr unser Handeln bestimmt, sondern das körperliche überhand nimmt. Und letztlich, nur noch zu glauben, was man sieht. Wenn also die Rationalität mehr Gewicht bekommt als die Emotionalität. Schließlich die Besserwisserei, die verblendete Selbstüberzeugung, der Fanatismus.
Das muss alles auf den Tisch und besprochen werden, ohne den Anderen mit Vorwürfen zu überhäufen. Dann müssen Lösungen gesucht werden – Verhaltensänderungen nicht nur beim Anderen, sondern auch bei sich selbst.“
„Das ist ein Riesen-Programm! Ich weiß nicht, ob je ein Mensch dazu fähig ist…“ antwortet ihm Anita nachdenklich.
„Verliere niemals den Mut!“ sagt Paul nun. „Erinnere dich an das, was dich einmal mit deinem Partner zusammengebracht hat und überlege dir, ob du das wirklich über Bord werfen willst. Außerdem, nichts geschieht von jetzt auf gleich. Alles entwickelt sich – von einer Mücke zu einem Elefanten. Die Mücke lässt sich noch leicht bekämpfen!“
„Okay,“ sagt Anita, schaut auf die Uhr und dann mich an. „Seid ihr uns böse, wenn wir schlafen gehen wollen?“
„Aber nein, zieht euch ruhig zu zurück und träumt etwas Schönes!“ wünscht uns Dieter.
Wir stehen auf und gehen die Treppe hoch zum Gästezimmer. Von der Treppe wünschen wir noch einmal eine ‚Gute Nacht‘. Dabei sehen wir, dass auch die Anderen sich erheben und die Gläser in die Küche bringen.
Am nächsten Morgen weckt mich Anita. Sie hat die Vorhänge schon zurückgezogen und die Sonne erhellt das Zimmer. Als wir ins Bad gehen, strömt uns von unten frischer Kaffeeduft entgegen.