Cherie - 47
Als dann wieder ein Termin für das Cantonium in Hamburg bekannt gegeben wird, sind wir soweit, dort mit zwei Teams das Dog-Dancing vorzuführen. Wir fahren mit dem Kleinbus, den ich steuere. Freitagvormittag fahren los und erreichen Hamburg über die Autobahn am Nachmittag, nachdem wir über Mittag in einer Autobahnraststätte Halt gemacht haben. Da mir Paul noch einen Tip gegeben hat, fahre ich durch Hamburg durch und auf eine Autobahn weiter nach Norden. Zwei Stunden später, es dämmert schon, erreichen wir den Ort, den mir Paul genannt hat.
Im Rückspiegel sehe ich lächelnd, wie Lena sich an Paul anschmiegt. Sie zeigt einen gelösten Gesichtsausdruck und küsst ihn auf die Wange. An der Friedhofsmauer neben der Dorfkirche halte ich an.
Lisa fragt, stellvertretend für die anderen: „Wo sind wir hier?“
„Wir wollen Lena eine Freude machen und ihre Mutter besuchen, wenn wir schon hier in der Gegend sind,“ erkläre ich.
Lena führt Tapsy an der Leine und hat sich bei Paul eingehakt, als wir den Friedhof betreten. Wir anderen folgen ihnen mit zwei Schritten Abstand. Dies ist ein Ort, der den Beiden etwas bedeutet.
Wir erreichen das etwas verwilderte Grab. Wir lassen den Beiden ein paar Minuten der Ruhe. Schließlich bückt sich Paul und beginnt damit das Unkraut herauszuziehen. Lena schaut sich um und geht zum Brunnen, um wenig später mit einer Gießkanne zurückzukommen.
Ich sage leise, so dass nur die Leute in meiner Nähe meine Worte verstehen können:
„Was ich immer schonmal sage: Das Wort ‘Liebe‘ verwendet man heutzutage etwas undifferenziert sowohl für die körperliche und für die seelische Liebe. Zwei Arten der seelischen Liebe gleichen sich wie eineiige Zwillinge: Die Liebe zwischen Mutter und Kind, und die Liebe zwischen Mensch und Tier…“
Ich erwarte keine Antwort. Jedoch sehe ich, dass Lisa sich an Paul anlehnt und zu ihm aufschaut. Er legt seine Hand an ihre Wange, dreht ihren Kopf etwas und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen.
Bald darauf verlassen wir den Friedhof wieder und spazieren durch den Ortskern. An einer Gaststätte mit Fremdenzimmer bleiben wir stehen. Wir betreten den Gastraum, gehen zur Theke und ich frage den Wirt, ob er möglicherweise vier Gästezimmer frei hat.
„Da haben Sie aber Glück,“ meint er mit freudigem Gesicht. „Ich habe fünf Gästezimmer im Obergeschoß und im Moment ist keines besetzt.“
„Wieviel kostet eine Übernachtung?“ ist meine nächste Frage.
„Das Zimmer 40Euro, plus 5Euro pro Frühstück,“ gibt er zur Antwort.
„Okay,“ sage ich, „nehmen wir!“
Er greift hinter sich ans Brett und nimmt die Schlüssel, die dort hängen, herunter. Dann sagt er:
„Kommen Sie,“ und deutet auf den schmalen Gang neben der Theke, der an der Küchentür vorbei zu einer Treppe führt. Oben angekommen stehen wir in einem schmalen Gang, von dem Zimmertüren abgehen. Er öffnet eine Tür nach der Anderen und lässt uns die Zimmer begutachten. Wir nicken und ich frage, wann denn morgens das Frühstück fertig ist.
„Wann Sie wünschen,“ gibt er zurück.
Ich schaue in die Runde und frage dann: „Wäre 8Uhr recht?“
„Kein Problem,“ sagt er und verabschiedet sich dann.
Wir verziehen uns auf die Zimmer und ich bin bald eingeschlafen nach dieser langen Fahrt. Am nächsten Morgen frühstücken wir und ich gebe dem Wirt 200Euro für die Nacht. Freundlich hält er uns die Tür auf, als wir aufbrechen. In Hamburg angekommen fahren wir in ein Parkhaus in der Nähe der vom Navi angezeigten Adresse. Im Cantonium kleiden wir uns entsprechend um und sprechen den Veranstalter auf die Vorführung von Dog-Dancing an.
Der Mann schaut etwas ‚dumm aus der Wäsche‘, also frage ich ihn nach einem Raum, wo wir ihm eine exklusive Vorstellung geben können. Paul und Lena machen sich bereit. In einem Nebenraum geben sie ihm eine Vorführung. Lena hat ein Outfit aus Lederriemen an, die von Metallringen gehalten den ganzen Rumpf umspannen. Biggi steckt einen Memory-Stick in das hauseigene Gerät und schon bewegen sich Paul und Lena in der einstudierten Choreografie nach der Musik.
Der Mann ist sichtlich begeistert und sagt, er spricht mit den Programm-Verantwortlichen. Wir würden irgendwo hinein geschoben. In der Zwischenzeit könnten wir uns gerne auf der Veranstaltung umsehen. Tatsächlich bekommen wir am Nachmittag fünf Minuten. Der Mann tritt ans Mikrofon auf der Bühne vor dem Publikum an einzelnen Tischen und kündigt Paul und seine Doggie CHERIE an. Nach Ende der Musik klatschen alle Beifall. Paul tritt nun ans Mikrofon, bedankt sich und sagt laut „CHERIE, APPLAUS!“
Dies ist für Lena das Kommando eine Spielverbeugung vorzuführen, die ja als nonverbale Geste vor einem Spiel unter Hunden, Doggies, oder auch mit ihren Menschen, von Hunden und Doggies gebraucht wird. Hier jedoch steht sie am Ende einer Vorführung, während das Publikum applaudiert.
Nachdem das Publikum wieder still ist, macht Paul auf unser Event in der Eifel aufmerksam und darauf, dass die Termine frühzeitig im Internet bekannt gegeben werden.
Wir fragen den Veranstalter, welches Hotel in der Nähe auf die Besucher der Veranstaltung eingerichtet ist, haben noch einen interessanten Abend und übernachten dann in dem genannten Hotel, von dem wir am nächsten Morgen wieder in die Heimat aufbrechen. Schließlich sind wir am frühen Sonntagabend ziemlich erschöpft wieder in der Heimat zurück.

*

Da ich, Paul, der Kaufmann in unserer kleinen Firma bin, bespricht Dieter mit mir, einen kleinen Teil der Baumschule im nächsten Jahr mit Apfelbäumen zu bepflanzen. Er will versuchen VIEZ herzustellen. So nennt man in dieser Gegend den Apfelwein. Für dieses Experiment soll ich ins Saarland fahren und mich dort schlau machen. Dann soll ich dreißig junge Apfelbäumchen möglichst billig einkaufen.
Also fahre ich los. Lena bleibt für die drei oder vier Tage zuhause. Während der Tage bleibe ich über Smartphone mit Dieter in Verbindung, so dass er sofort über die gleichen Informationen verfügt, die auch ich habe.
Am letzten Tag meiner Geschäftsreise, ich bin vielleicht noch zwanzig Kilometer von zuhause entfernt, rast ein Wagen aus einer der Wirtschaftswege am Rand der Bundesstraße auf die Fahrbahn. Ich denke, ich kann schlimmeres verhindern und reiße das Steuer herum. Mein Wagen gerät ins Schleudern und landet im Straßengraben. Der andere Wagen macht sich aus dem Staub. Ich bin eingeklemmt und das rechte Bein tut höllisch weh.
Es scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein, als ein Gesicht am Seitenfenster auftaucht und mich etwas fragt. Was der Mann genau meint, kann ich nicht erfassen. Ich stöhne schmerzgeplagt auf. Dann verschwindet der Mann aus meinem Blickfeld, um wenig später wieder aufzutauchen und mit beruhigender Stimme auf mich einzureden.