Freitag, 1. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 34
Mateo hat einige Süßigkeiten mitgebracht und nähert sich mit anderen Tangata dem Zaun des Geheges unter dem Fale. Die Wahine sind heute besonders herausgeputzt worden.
Im Gehege entsteht Bewegung. Die Wahine streben dem Zaun entgegen. Dabei kommt es verschiedentlich zu Zusammenstößen. Die Wahine haben wohl nur Augen für die Tangata, die sie in der letzten Phase der Ausbildung kennenlernen konnten. Ich sehe immer wieder Beschwichtigungsgesten, tonlose Entschuldigungen. Aber hier und da wird auch gedroht. Anscheinend haben ein paar der Wahine jeweils den gleichen Tangata gewählt. Auch zu Mateo laufen zwei Wahine, außer IKA noch eine Einheimische.
Beide versuchen sich mit den Schultern abzudrängen. Dabei wird IKA umgeworfen. Zwei Poki tane betreten das Gehege und beginnen hier und da die Kontrahenten zu trennen. IKA helfen sie wieder auf die Beine. Die einheimische Wahine erreicht durch die Aktion als erste Mateo und beginnt ihn anzubetteln, indem sie ihren Rücken aufrichtet, sich auf ihre Fersen setzt und die Hände in Schulterhöhe hebt. Er wartet aber die Minute, bis IKA den Zaun erreicht. Am Zaun angekommen, überreicht Mateo ihr eine der mitgebrachten Süßigkeiten. Damit gehört IKA zu Mateo. Die andere Wahine trollt sich mit enttäuschtem Gesicht und schaut nach den bisher alleinstehenden Männern am Zaun.
Der Poki tane, der auf das Tor achtet, lässt IKA zu Mateo heraus. Dann kommen beide auf uns zu und wir verlassen diesen Ort.

*

Während wir über den Waldweg gehen wechsele ich, IKA, oft zwischen Mateo und LELE. Ich reibe meine Schulter sanft an LELEs Schulter und Mateos Oberschenkel. LELE und ich lächeln uns zu und Mateo streicht mir zart durch mein Haar. Ich fühle mich leicht und beschwingt.
Dann trennen sich die Tangata. Der Hellhäutige biegt auf einen Nebenweg ab, während Mateo geradeaus Richtung Strand weitergeht. Ich bleibe kurz stehen und gebe einen traurigen Laut von mir, denn LELE und RAKA’U folgen dem Hellhäutigen.
Mateo sagt nun:
„IKA, ZU MIR!“
Mit einem hörbaren Seufzen schließe ich zu ihm auf. Er wendet sich zum Gehen und ich folge ihm, nun allerdings weniger engagiert. So wendet er sich auf dem weiteren Weg des Öfteren zu mir um, um „BEI FUSS“ zu sagen.
Als die Vegetation spärlicher wird und ich das Meer schon hören kann, erreichen wir eine ähnliche Lichtung wie die, auf der die Schule steht. Auch hier steht ein Fale, großes Haus mit hochgezogenen Giebeln, um das sich mehrere kleine Hütten gruppieren. Mateo betritt eine der Hütten und zeigt mir ein Kissen im Hintergrund. Dies ist also ab sofort mein neues zuhause.
„Hm, und wie kann man die Wahine dazu bewegen im Haus zu bleiben? Wie kann man sie frei laufen lassen, ohne dass sie sich trennen und ihr Leben im Wald wieder aufnehmen?“
„Versuche sie nicht zu beherrschen! Stattdessen gewinne ihr Vertrauen und Zuneigung. Gib ihr Sicherheit und Geborgenheit, das Gefühl beschützt zu werden. Sie soll nicht das Spielzeug deiner Lust sein, sondern zeige ihr, dass du sie als Lebewesen mit Gefühlen siehst. Achte ihre Gefühle und respektiere ihren Charakter! Ich weiß, das ist nicht einfach, aber es verspricht Erfolg.“
„Aber vieles schleift sich im Alltag ab. Komme ich nur zum Zweck der Fortpflanzung zu ihr und sehe in ihr das Objekt meiner Lust, dann sind Höhenflüge der Gefühle möglich. Wird das Zusammensein zur Normalität, stumpft man ab. Darum entlassen die Tangata die Wahine in den Wald. Der Jagdtrieb wird geweckt und am Ende erfolgt die Vereinigung in Extase.“
„An dieser Einstellung ist auch nichts Falsches! Du siehst aber, dass die Wahine Sicherheit und Geborgenheit ebenso mögen. Extatisches Beisammensein kann man erhalten, wenn man einige Regeln beachtet…“ versuche ich ihn zu überzeugen.
„Und die wären?“ fragt der Kahuna zurück.
„Seid sensibel für eine Reihe negativer Einflüsse auf das Beisammensein im Alltag. Zum Beispiel, wenn Tangata und Wahine sich des Anderen nicht mehr bewusst sind, also wenn dem Einen die Andere egal zu werden beginnt. Auch kann im Alltag ein unstillbares Verlangen nach mehr entstehen, wenn uns die Andere also nicht mehr genug ist. Dann kann das Mitgefühl für die Wahine schwinden und einer gewissen Selbstsucht Raum geben. Auch kann Angst vor der Vergänglichkeit aufkommen, vor dem Ende des Mitgefühls des Anderen. Ein weiterer negativer Einfluss auf die Verbindung zwischen Tangata und Wahine ist es, wenn das Beisammensein nicht mehr vorrangig durch Gefühle bestimmt wird, sondern das Körperliche überhandnimmt.“
„Ah,“ unterbricht der Kahuna meinen Vortrag, „das ist es, was du mit deinen Wahine anders machst als wir bisher. Du meinst, bei uns bestimmt zu sehr das Körperliche unsere Beziehung zu den Wahine.“
„Mach einmal den Versuch, die Gefühle in den Vordergrund zu stellen,“ entgegne ich ihm kopfnickend. „Das Körperliche hat wohl seine Daseinsberechtigung, aber es sollte nicht alles darauf ausgerichtet sein! Es ist die schönste NEBENSACHE der Mittelwelt!“
Mit dem letzten Begriff spiele ich auf ihre Mythologie an und versuche eine Verbindung zu schaffen in ihre Gedankenwelt.
„Aber da ist noch etwas, das sicher mehr für die westliche Kultur gilt: Ein weiterer negativer Einfluss auf das Zusammensein von Tangata und Wahine ist, nur noch zu glauben, was man sieht. Wenn also die Logik mehr Raum bekommt als die Emotionalität. Schließlich noch die Besserwisserei, also die verblendete Selbstüberzeugung, der Fanatismus. Man darf seine Ansichten nicht als alleingültig hinstellen!“
„Hm, aber ist es nicht gerade letzteres, was du hier versuchst?“