Mittwoch, 27. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 60
Als ich die nach unten spitz zulaufenden Segel sehe, gebe ich sofort das ‚OKAY‘ für die Einfahrt. Die Concierge drückt den Knopf für die Elektromotoren und das Hochwasser-Schutztor fährt in eine Nische der Betonwand. Nach etwa fünf Minuten hat sich das Niveau des Wassers im Kanal dem Meeresspiegel angepasst und das Vaka wird mit zwölf Stechpaddel hineingerudert. Hinter dem Vaka fährt das Schutztor wieder zu.
Ich gehe hinaus auf die Kanalmauer, um meine Freunde zu begrüßen, die zum Paddeln einen rhythmischen Gesang angestimmt haben. So führen alle Paddler die gleiche Bewegung zur gleichen Zeit aus. Vorne, am Ende des Kanals angekommen, werden Netze aus Palmblättern, dick mit Stroh gefüllt, als Fender neben das Vaka gehängt und es an Schwimmpollern festgemacht.
Anschließend hebe ich einen Arm und die Concierge drückt einen weiteren Knopf an ihrem Steuerpult. Nun wird Wasser in den Kanal gepumpt. Nach einer Stunde haben die Schwimmpoller ihre höchste Stellung erreicht. Das Pumpen hört auf und die Leute aus der Südsee springen von Bord.
Sogleich muss ich einen Haka über mich ergehen lassen. In Ermangelung von Lanzen stoßen die Tangata mit den Stielen ihrer Paddel nach mir, schneiden gefährliche Grimassen und stimmen einen dumpfen Gesang an. Ich bleibe unbewegt, obwohl mein Herz vor Freude zu zerspringen droht.
Danach tritt Mateo vor und wenig später liegen wir uns in den Armen. Er hat zehn Tangata, acht Poki tane und siebzehn Wahine mitgebracht, sich und seine Wahine IKA -Fisch- eingerechnet. Wir gehen nun auf die Doppeltür am Eingang zum seeseitigen Foyer zu.

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Als ich den Start des Vaka unter Kahuna Mateo im Internet miterlebe, werde ich aktiv. Ein ganzer Gang mit Wohnungen in der seeseitigen ‚Flucht‘ der Insula muss umgebaut werden auf die Bedürfnisse seiner neuen Bewohner, die ihre Kultur gerne weiterleben sollen.
Die Küchen werden entfernt und gleich hinter der Eingangstür eine Wand eingezogen, die den Eintretenden zwingt, einen Bogen zu machen, statt geradewegs in die Wohnung zu gelangen. Die Zwischenwände zwischen Wohn- und Schlafzimmer werden mit dekorativen Bögen durchlöchert, um alles zu einem einzigen großen Raum zu machen. Wir ordern ein Dutzend Bambustische in Couchtischhöhe und ein halbes Hundert offene Regale aus Bambus. Die Böden in den Wohnungen werden mit Bambusparkett belegt, während wir draußen im Verbindungsgang Strandsand streuen.
Die Position der Stahlanker in den Wänden, zum Aufhängen der Hängematten, müssen wir die Tangata zeigen. Zum Kochen statten wir ein leeres Geschäft im Erdgeschoß mit alten militärischen „Kanonenöfen“ aus, mit riesigen Töpfen über denen große Kellen hängen. Das kommt ihren gewohnten Umu, den Erdöfen sehr nahe.
Ich muss ihnen dann nur erklären, dass sie in den Töpfen kein Feuer machen sollen, um sie zu erwärmen und dann in den so erhitzten Töpfen zu kochen. Aber das ist nur ein kleines Problem. Schwieriger sehe ich schon, dass die IWIPAPA auf der INSULA anders wohnen, als sie es von zuhause gewohnt sind. Wir werden sehen…

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Die Concierge macht große Augen, als ich mit den gut drei Dutzend Leuten an ihr vorbeigehe. Alle Männer sind in Röcken gekleidet, den Lavalava. Die Frauen laufen nackt auf allen Vieren um sie herum. Sie tragen nur ein Geflecht aus Lederschnüren, an dem einige Taschen befestigt sind.
Wir gehen zum Treppenhaus und darüber in eine höhere Etage. Dort wende ich mich in Richtung einer Glastüre, die beim Näherkommen automatisch zur Seite fährt. Ich zeige Mateo das „Auge“ an der Decke, das dafür verantwortlich ist. Er gibt es an seine Leute weiter.
Danach ernte ich lächelnde Gesichter, als die Leute über Sand gehen können. Ich sage dann aber auch, dass sie trotzdem Zehensandalen tragen sollen, damit sie sich nicht an achtlos herumliegenden Schräubchen und ähnlichem verletzen.
Anschließend öffne ich die erste Wohnungstür und sage, dass sie das Bildnis eines Gottes schnitzen und um die Türzargen herum befestigen dürfen, um sich dessen Schutz zu vergewissern. Sie schauen sich die Wohnung an und fragen nach dem Material der Fenster. Hier gebe ich ihnen Vorsichtsmaßregeln, damit das Glas nicht unabsichtlich zerbricht und sie sich an den Splittern verletzen.
Damit sie ihr Geschirr erweitern können, rege ich an, dass einer der Ihren unten auf Paterre eine Werkstatt eröffnet für Schnitzereien und Möblierung ihrer ‚Fale‘, sowie die Reparatur der Sachen. Wenn ein Anderer sich auf das Schneidern versteht… Auch für ihn wäre unten eine Arbeitsmöglichkeit vorhanden, rege ich an.
Mateo sagt, dass die Tangata sich auf alles verstehen, was man zum Funktionieren einer kleinen Gemeinschaft braucht.
„Also, dann!“ antworte ich und führe die Leute hinunter in den Innenhof und zu den leerstehenden Geschäften dort. Ich erkläre Mateo, dass er hier ungefähr ein Synonym zu den Markthallen von Papeete vor sich hat. Auch dort gibt es in der oberen Etage die kleinen Handwerkerläden. Er erklärt das seinen Leuten in deren Worten und sie scheinen es zu verstehen.
Durch die IWIPAPA lebt die INSULA so richtig auf in den nächsten Wochen. Die Wahine -Frauen- haben in ihrer Heimat ein großes Wissen über Heilkräuter gehabt und ihre Stammesgemeinschaft bei kleineren Unpässlichkeiten helfen können. So etwas will ich hier auch aufziehen. Dazu erstehe ich einen halben Hektar Weide direkt neben der Insula und lasse sie bepflanzen. Der entstehende Wald soll zumeist sich selbst überlassen werden.
Anschließend hole ich das Heilkräuter-Buch der Heiligen Hildegard und zeige den Wahine, wie die Pflanzen aussehen, sowie wie man sie verwendet, damit sie ihre heilende Wirkung entfalten können.