Donnerstag, 21. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 54
Ich beeile mich, an seine Seite zu kommen und gemeinsam gehen wir die Treppe wieder hinunter, unten ins Wohnzimmer und dort öffnet er mir die Terrassentür, um sie schließlich angelehnt zu lassen.
Ich wandere nun an der Hecke entlang. Hinter der Hecke gibt es als Begrenzung zum Nachbargrundstück einen Zaun, und dahinter wieder eine Hecke. Die Zäune sind nicht mehr in gutem Zustand! Ich habe eine Latte lösen können und könnte auf diese Art auf das Nachbargrundstück gelangen. Aber im Augenblick habe ich so etwas nicht vor. Irgendwo hebe ich einen Hinterlauf und lasse Wasser. Die Sonne beginnt hier schnell ihre wärmenden Strahlen zu verbreiten. Ich mache noch eine Runde hinunter zum Strand und an der gegenüberliegenden Hecke zurück zur Villa. Dort drücke ich mich durch die geöffnete Terrassentür und finde nun im gefliesten Flur an der Küchentür meine gefüllten Näpfe. Hungrig beginne ich zu frühstücken.
Bald ist mein Napf leer. Die Köchin streckt ihren Kopf aus der Küche und lächelt mich an. Sie fragt, ob ich noch mehr möchte, aber ich schüttele den Kopf. Ich schlabbere noch etwas Wasser aus dem anderen Napf, dann gehe ich wieder auf Entdeckungsreise. Herrchen verabschiedet sich gerade von Frauchen, die inzwischen am Frühstückstisch sitzt.
Als Herrchen die Villa verlassen hat, setze ich mich vor Frauchen und schaue sie mit großen Augen an. Nach ein paar Sekunden lacht sie hell auf und nimmt ein Stück Ziegenkäse von ihrem Teller, das ich nur zu gern hinunterschlucke. Zufrieden trotte ich wieder zu meiner Decke und lege mich dort ab. Das Leben eines Hundes verläuft zumeist ohne Höhepunkte, es sei denn, einer der Beiden geht mit mir zum Dog-Agility-Platz oder zu einem Wettbewerb.
Gelangweilt erhebe ich mich nach einiger Zeit wieder. Frauchen ist noch einmal nach oben ins Bad gegangen und kommt nach vielleicht einer Stunde aufgestylt herunter.
‚Ah,‘ denke ich. Sie besucht einen Club oder irgend so etwas…‘
Nun bin ich mit der Hausangestellten alleine. Sie hat die Küche in Ordnung gebracht und beginnt in den Schlafräumen und Bädern im Obergeschoß. Ich denke, ich verziehe mich nach draußen.
Durch die noch immer offenstehende Terrassentür kehre ich in den Garten zurück. Die Sonne steht inzwischen etwas höher am Himmel. Mit vollem Bauch suche ich mir ein gemütliches Plätzchen im Schatten und lege mich dort ab. Von meinem etwas erhöhten Platz aus, kann ich hinaus aufs große Wasser schauen, da das Grundstück in der Nähe der Spitze der Landzunge liegt.
Von hier aus kann ich das Ende des großen weißen Vaka sehen, mit dem wir hierhergebracht worden sind. Wie ich verstanden habe, gehört es der russischen Gemeinschaft hier auf der Landzunge. In der Ferne fahren immer wieder arabische Segelschiffe vorbei. Auch sie haben dreieckige Segel wie unsere Vaka, nur dass die Spitzen von deren Segel zur Seite zeigen, während die unserer Vaka nach unten zeigen.
Die Sonne hat wohl gerade ihren Scheitelpunkt erreicht, da glaube ich zu träumen! Sind das nun arabische Dhaus oder polynesische Vakas? Ich springe auf und laufe zum Strand hinunter. Dort halte ich meinen Kopf in die leichte Dünung und schaue noch einmal hinaus auf das große Wasser. Nichts zu sehen! Also laufe ich zurück zu dem Platz, von wo ich die Segel gesehen habe.
Tatsächlich! Es sind Vakas! Ein Segel nach dem anderen wird an den Mast gebunden und dieser dann umgelegt. Bald kann ich nichts mehr erkennen. Ich beginne zu dösen. Die Schatten werden länger. In dem Kanal zwischen dieser und der benachbarten Landzunge ist wenig los.
In der Vergangenheit habe ich eine Gruppe geräuschvoller Kanus gesehen, wie die mit denen wir von dem großen weißen Vaka an Land gebracht worden sind. Sie sind geschmückt gewesen und im Vorderen haben ein Mann und eine Frau in schwarzer und weißer Kleidung gestanden. Sonst kommen hier nur Leute vorbei, die auf Brettern stehen und sich paddelnd fortbewegen. Oder kleine Padelboote.
Es ist inzwischen später Nachmittag. Ich überlege schon, in die Villa hinein zu gehen. Aber eigentlich hält mich meine Sichtung von Vakas draußen auf dem großen Wasser davon ab. So viele Segel sind das gewesen!
Plötzlich sehe ich ein Auslegerkanu im Kanal. Sofort springe ich auf und laufe zum Strand hinunter. Ich bleibe an der Wasserlinie stehen und atme mehrfach tief durch. Dann hebe ich den Kopf und strecke den Hals. Jetzt lasse ich einen langgezogenen Ton hören, wie das Tier in dem Film, den Herrchen und Frauchen einmal angeschaut haben.
Die Paddler im Kanu schauen in meine Richtung und nähern sich danach langsam dem Strand. Als es unter dem Kanu knirscht, erhebt sich eine Wahine und springt ins Wasser. Sie watet an Land, während beide Insassen des Kanus ausgestiegen sind, um das Kanu in tieferes Wasser zurück zu schieben. Danach paddeln sie wieder aus dem Kanal.
Die Wahine kommt schnurstracks auf mich zu gelaufen. Ehe ich mich versehe hat sie mich umgeworfen und steht über mir. Dabei zeigt sie einen gefährlichen Gesichtsausdruck, als wolle sie mir gleich in die Kehle beißen. Ich bleibe so auf dem Rücken liegen, wie ich gerade umgestürzt bin. Zusätzlich mache ich den Hals lang und biete ihr damit meine Kehle.
Die Wahine lacht und flüstert:
„Du bist einer der Poki tane aus der Schule. Ich bin LELE. Wir hatten schon oft miteinander zu tun… Sag‘ mir, wo finde ich RAKA’U?“
„Sie wohnt schräg gegenüber. Du musst über das felsige Band und drei Fale nach links. Wenn sie gerade nicht zuhause ist, hat Herrchen oder Frauchen sie auf den Dog-Agility-Platz mitgenommen. Aber wenn es dunkel wird, sind eigentlich alle Wahine und deren Menschen in ihren Fale zurück…“ sage ich, während ich mich aufrappele.
„Kannst du weitergeben, dass sich alle Wahine gegen Mitternacht hier einfinden sollen? Die Tangata kommen in ihren Ausleger-Kanus und nehmen sie auf. Sie bringen alle auf das große Wasser, wo die Reisekatamarane der Kahunas auf uns warten. Das muss alles ohne großes Aufsehen geschehen!“
Nachdem LELE mir hiervon berichtet hat, versuche ich die Wahine auf den Nachbargrundstücken davon zu informieren. Auch sollen sie die gute Nachricht weitergeben, schärfe ich ihnen ein.
LELE ist derweil um die Villa herumgelaufen und hat sich in Richtung der Villa entfernt, die ich ihr als Unterkunft von RAKA’U bezeichnet habe.

*

„Na, meine Kleine, hast du Hunger?“ fragt Frauchen, nachdem sie mich, RAKA’U, oder ‚KIRA‘, bemerkt hat. Hier auf der Landzunge heißen wir alle so, wie man uns auf dem großen weißen Vaka genannt hat.
Ich laufe zu ihr und lege den Kopf weit in den Nacken. Dabei mache ich möglichst große Augen. Mein Frauchen kichert und hält mir etwas vor die Nase.