Samstag, 16. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 49
Als wir beim Strand des Dorfes ankommen, gibt es ein großes Hallo. Die Jungs unterbrechen ihr Spiel und kommen uns ins Wasser entgegen. Die jungen Männer teilen sich in vier Reihen und wuchten die beiden Katamarane auf den Strand.
Wir springen ins Wasser und helfen mit. Anschließend werden wir nach Südseeart begrüßt:
Poki tane treten bewaffnet mit Stöcken näher, bilden einen Halbkreis und stoßen sie mit erhobenen Armen wie Lanzen in unsere Richtung. Sie schneiden Grimassen und lassen dabei einen dumpfen Gesang hören.
Während sich unsere Besatzungsmitglieder nach rechts und links abgesetzt haben, bleiben nur noch die Kahunas, Mateo und ich, stehen. Jetzt heißt es, nicht mit der Wimper zucken und die Zeremonie über sich ergehen lassen. Anschließend schaue ich kurz in mein Fale, finde alles in Ordnung, und mache mich anschließend auf zum Kahuna der Hundeschule. LELE und RAKA’U arbeiten dort als Instrukteurinnen, seit ich nach Deutschland zurückgekehrt bin.
Dazu muss ich ein paar Minuten in den Urwald hinein gehen. Es gibt einen ausgetretenen Pfad vom Dorf zu der Lichtung, auf der das Fale der Schule steht. Ich gehe bedächtig und achte auf jeden Schritt. Dann habe ich das Fale erreicht. Ich sehe Aktivität unter dem eigentlichen Fale, wo sich die Gehege befinden, und gehe neugierig näher.
Zwei Poki tane sitzen am Rand des Geheges und beobachten die Unterweisungen der Instrukteurinnen. Zwei Schülerinnen ahmen die Instrukteurinnen nach. Ich setze mich dazu und warte ab.
Plötzlich stößt RAKA’U einen hellen Ton aus und deutet in meine Richtung. LELE achtet einen Moment nicht auf ihre Schülerin und schaut in die Richtung, in die ihre Tochter weist. Anschließend ist auch ihr die Unterweisung egal. Beide Wahine sind außer sich vor Freude bei der Begrüßung. Meine Kleine, RAKA’U hätte mich beinahe umgeworfen. Um ein besseres Gleichgewicht zu haben, gehe ich in die Hocke und stütze mich mit einer Hand. Das hätte ich vielleicht nicht tun sollen:
Wenige Sekunden später liege ich flach und sie leckt mir über die Brust. LELE nutzt die Situation und kuschelt sich eng an mich. Sie reibt ihre Wange an meiner Seite, während ich meinen Arm um sie lege und schwache Abwehrbewegungen in Richtung RAKA’U mache.
So vergehen Minuten, die ich genieße. Aber dann rappele ich mich wieder auf und sage:
„LELE, RAKA’U, BEI FUSS!“
Zu den Poki tane sage ich lächelnd:
„Für heute ist der Unterricht zu Ende. Bitte, kümmert euch um die Wahine!“
Wir erklimmen den Baumstamm, der zum Eingang des Fale führt und umgehen die Wand, die verhindern soll, dass böse Geister ins Haus eindringen. Drinnen sehe ich meinen Freund, den Kahuna der Schule im Gespräch mit einem Poki tane. Er schaut auf und beginnt beinahe von Ohrläppchen zu Ohrläppchen zu grinsen. Dann erhebt er sich, um mich zu begrüßen.
Sogleich wird mir ein Sitzplatz und Kawa kawa angeboten. Ich nehme das gerne an. Bevor ich aber lang und breit von meinen Erlebnissen nach meinem Weggang von der Insel erzählen muss, sage ich zu LELE, dass sie zu dem Landepunkt gehen soll, wo neue Wahine die Insel betreten. Dort irgendwo wird sie eine weiße Wahine treffen, die keine Ahnung von den Gefahren des Urwaldes hat. Sie soll ihr den Weg zur Schule weisen.

*

Ich bin hocherfreut, dass unser Herr Karl wieder bei uns ist. Die innere Anspannung der letzten Monate ist wie weggeblasen und hat einem Gefühl der Zufriedenheit Platz gemacht.
Anscheinend haben die Pokitane -Männer- unterwegs eine Wahine -Frau- aufgegriffen und mitgebracht. Der Herr sagt, dass die Wahine keine Ahnung vom Urwald hat. Wir durchqueren die Insel in gerader Linie, um zu dem Punkt an der Küste zu kommen, wo die Wahine an Land gelassen werden, auf der gegenüberliegenden Seite.
Als wir dort eintreffen, ist niemand zu sehen. Wir trennen uns und laufen die Küstenlinie in entgegengesetzter Richtung ab, auf der Suche nach Fußspuren und anderen Zeichen. Kurze Zeit später hat RAKA’U etwas entdeckt und kommt zu mir, um mich darauf aufmerksam zu machen. Ich wende und folge nun RAKA’U.
Der Grasstreifen hinter dem Strand wird hier und da von felsigem Untergrund abgelöst. Kokospalmen haben ihr Wurzelwerk dazwischen verankert. Die fremde Wahine muss sie überklettert haben, denn dahinter finden wir wieder abgeknickte Zweige an Büschen.
Wir durchwaten einen Wasserlauf. Als es dunkel werden will, sehe ich eine dunkle Gestalt im Gras liegen. Ich mache RAKA’U darauf aufmerksam. Wir schleichen uns langsam und vorsichtig näher. Die weiße Wahine scheint zu schlafen. Ich bedeute RAKA’U, sich neben sie zu legen, Rücken an Rücken.
Ich werde die erste Wache übernehmen. RAKA’U wird mich in der zweiten Nachthälfte ablösen. Als der Morgen anbricht und die Tiere des Waldes beginnen den neuen Tag lautstark zu begrüßen, wacht die Wahine auf. Sie setzt sich auf und erkennt nun, dass sie nicht alleine ist.
Sie erhebt sich etwas mühselig und schaut uns mit großen Augen an. Die Wahine ist mit einem Stoff bekleidet, während wir bis auf ein Ledergeschirr mit vielen Taschen nackt sind. Sie sagt etwas, das wir nicht verstehen. Auch geht sie auf ihren Hinterbeinen wie die Poki tane, während wir auf allen Vieren gehen. Na, bald wird sie feststellen, dass der Vierfüssler-Gang im Urwald besser ist!
Wir stellen uns rechts und links von ihr auf und dirigieren sie mit leichten Berührungen auf die Bäume zu. Zuerst will sie sich nicht so recht unserer Führung anvertrauen, dann scheint aber die Neugier zu siegen.
Die Vegetation wird immer dichter. Die Büsche und kleinen Bäume des ‚Unterholzes‘ machen ihr zunehmend zu schaffen. Immer wieder muss sie sich mit den Händen Zweige vom Leib halten. Sie sieht, dass wir uns kaum gegen die Vegetation wehren müssen, und schon bald krabbelt sie auf Händen und Knien zwischen uns.
Aber auch so kommt sie nicht schneller voran. Wir zeigen ihr mehrfach unseren Vierfüssler-Gang auf Händen und Zehenballen. Sie versucht es bald ebenfalls. Nun kommen wir streckenweise gut voran, müssen aber immer wieder anhalten und Pause machen, weil sie unsere Fortbewegungsart anstrengt. Zwischendurch machen wir sie auf giftige Pflanzen und Tiere aufmerksam, um sie unbeschadet in die Schule für Wahine zu bringen, aber auch, um sie unterwegs schon zu unterweisen.