Dienstag, 19. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 52
Im Dorf angekommen, halte ich mich zurück und lasse den Kuia und die Tangata die Totenzeremonie durchführen. Dazu gehört, dass die Poki tane ein Festessen in den Umu -Erdöfen- zubereiten, zu dem auch die Toten symbolisch eingeladen sind.
Nach dem Festessen, es ist schon wieder später Nachmittag, fragt mich der Kuia nach dem Ergebnis meiner Recherche. Ich kläre ihn auf und frage, ob ich und Mateo mit den beiden großen Reisekanus hinter den Aggressoren herfahren dürfen, um unsere Wahine und den einen Poki tane aus der Schule auf die Insel zurückzubringen.
Der Kuia schaut mich groß an und fragt, ob ich denn weiß, wo das Schiff hingefahren ist. Ich schüttele bedauernd den Kopf und antworte:
„Aber das werde ich herausfinden!“
Der Kuia sagt nun in einem väterlichen Ton:
„Ich weiß, dir fehlt deine junge Wahine, aber das große Wasser ist weit! Mache nichts Unüberlegtes!“
Ich lächele und antworte dem Kuia:
„Bald wird es Nacht und Hina -Mond- wacht über uns. Morgenfrüh möchte ich dir etwas zeigen, mein väterlicher Freund!“
Damit ist die Versammlung aufgehoben und die Männer gehen alle in ihre eigenen Fale zum Schlafen. In der Nacht kuschelt sich LELE ganz besonders an mich.

*

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück gehen drei Männer in den traditionellen Lavalavas -Wickelröcken- gekleidet, vom Fale Pa’enga zu meinem Fale. Die Drei mit nacktem Oberkörper und verschieden vielen Narben des Krokodil-Tattoos auf dem Rücken, sind der Kuia -Stammesälteste-, der Kahuna -Kapitän-, der mich vor Jahren aus dem Pazifik gefischt hat und ich, der Kahuna -Experte für die Schrift-.
Wir betreten den Katamaran, der mit umgelegten Masten unter meinem Fale liegt, und gehen zur Kajüte des Kahuna -Kapitäns-. Er ist gleichzeitig der Funk- und Navigationsraum. Ich starte den Laptop und rufe Google-Maps auf. Dabei erkläre ich, dass die Wahine mit Namen Kai-ma -weißes Fleisch- ein kleines Gerät mit sich führt, das man ihr nicht abnehmen kann.
Über uns, im weiten Himmel, gibt es etwas, das mir sagt, wo sich die Wahine gerade befindet. Ich tippe eine Buchstaben-Zahlen-Kombination ein und warte. Plötzlich zeigt die Karte des südwestlichen Pazifiks einen roten und einen blauen Punkt. Ich erkläre:
„Der blaue Punkt ist dieses Vaka. Es liegt jetzt noch hier auf unserer Insel. Der rote Punkt ist die Wahine Kai-ma. Zwischen uns befinden sich inzwischen 720 Seemeilen. Der Motor des Schiffes ist stark! Sie fahren in westlicher Richtung, Westnordwest zu West, um genau zu sein… Wir werden sie verfolgen!“
„Gut,“ meint der Kuia. „Wir werden ein Hui -Stammesversammlung- abhalten. Du wirst dich danach richten, was dort beschlossen wird!“
Ich nicke lächelnd und wir verlassen mein Vaka, um zum Fale Pa’enga zurück zu gehen. Dort entsteht schnell eine hitzige Diskussion. Der Kuia wirgt Fragen nach dem ‚Warum‘ und Schuldzuweisungen schon im Keim ab und bewährt sich in der nicht leichten Gesprächsführung hin zu einem gemeinsamen Ziel.
Das Ergebnis des Hui ist schließlich, dass die Insel aufgegeben wird. Alle verfügbaren Ausleger-Kanus und Doppelrumpf-Reisekanus werden zu Wasser gelassen. Wir fahren unter der Führung des Kahuna -Kapitäns- zu einer ähnlichen Insel in der unübersichtlichen Inselwelt Melanesiens. Dort laden wir unseren Hausrat und Werkzeuge aus. Auch die Hälfte der Poki tane -jungen Männer-, der Tangata -Männer- bleiben mit dem Kahuna der Schule für Wahine zurück, um eine neue Siedlung zu errichten. Fast alle Wahine bleiben ebenfalls in der neuen Heimat zurück.
Unsere Armada fährt nun mit den Stoffen der Europäer und viel haltbarem Proviant nach Tahiti. Nur mein Katamaran läuft in Papeete ein. Wir entladen die Stoffe und verkaufen sie in den Markthallen. Mit dem Erlös kaufen wir haltbare Lebensmittel. Danach umfahren wir Tahiti auf der Suche nach unserer Flotte, die sich in der Zwischenzeit auf die Suche nach Süßwasser begeben hat.
Einen Tag später haben wir sie an einem Wasserlauf entdeckt. Es dauert einen weiteren Tag, bis wir die erstandenen Lebensmittel auf alle Boote verteilt und unseren Frischwassertank gefüllt haben. Dann geht es los. Wir stimmen uns ab und umfahren Australien auf der nördlichen Route. Anschließend fahren wir westwärts quer über den Indischen Ozean. Wir haben Indiens Südspitze im Blick. Leider verlieren wir unterwegs zwei Ausleger-Kanus.
Da der Kahuna -Exterte/Navigator/Kapitän- vorausfährt und die Richtung angibt, habe ich mich entschlossen, mit meinem Reisekatamaran das Schlußlicht zu bilden. Seit Papeete besitzt der Kahuna nun auch ein Handy, so dass ich mit ihm über Internet mit meinem Laptop in Verbindung bleiben kann. Mateo und acht weitere Tangata führen mein Vaka.
Durch diese Flottenaufstellung entdecken wir die Havarien einiger Auslegerkanus frühzeitig, so dass unsere Leute aus dem Meer gefischt werden können. Schließlich erreichen wir die Südspitze Indiens. Die Ausleger-Kanus scharen sich um das Vaka des Kahuna. Alle Boote haben die Masten umgelegt und sich mit Tauen untereinander verbunden.
Wir verlassen diese schwimmende Insel und fahren die nächste menschliche Ansiedlung an, um Frischwasser aufzunehmen und Lebensmittel einzukaufen. Als der Katamaran fast ein Meter tiefer im Wasser liegt und innen bis unter die Decke vollgestopft ist, verabschieden wir uns herzlich von den Menschen, die uns für leicht verrückte Weltumsegler halten.
An den Koordinaten, an denen wir unsere Flotte zurückgelassen haben, finden wir sie naturgemäß nicht wieder. Die Meeresströmung hat sie versetzt. Aber über das Handy haben wir Internetkontakt mit dem Kahuna und bald sichten wir die Boote backbord voraus.
-Ein großer Dank an den Chef von SpaceX, der ein Netz von Internet-Satelliten in den erdnahen Weltraum geschossen hat.-
Wieder verteilen wir Wasser und Lebensmittel an die anderen Boote. Danach setzt sich der Kahuna wieder an die Spitze, die Masten werden aufgestellt und weiter geht’s.
Google-Maps führt uns in den Persischen Golf. Unser Ziel ist die ‚Palme‘ an der Küste der arabischen Halbinsel. Die Palme ist eine Sanddüne mit vielen Kanälen, in denen kleinere Yachten und Motorboote fahren können. Das Ganze sieht aus der Vogelperspektive aus, wie eine Palme. In der Mittel dieser „Palmwedel“ verlaufen geteerte Wege und an den Stränden reiht sich eine Millionärsvilla neben der Anderen.