Freitag, 22. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 55
Es ist eine leckere, kleine Wurst vom Frühstückstisch, den die Hausangestellte vorhin gedeckt hat. Natürlich habe ich auch schon gefrühstückt. Mein Napf ist schon leer, als Frauchen die Treppe herunterkommt.
Herrchen hat die Villa heute schon früh verlassen. Die Wurst in Frauchens Hand lasse ich nicht aus den Augen, während sie sie langsam um meine Nase kreisen lässt. Schließlich hält sie inne und ich schnappe mir die Wurst.
„Kira, du sollst nicht so schlingen!“ tadelt sie mich, zwinkert mir aber zu.
Ich versuche es noch einmal, doch so lieb ich auch schaue, es bleibt bei der einen Wurst. Stattdessen beschließt Frauchen, dass ich wieder einmal ein bisschen Auslauf gebrauchen könnte. Sie verschwindet kurz im Bad und zieht sich anschließend ein paar Schuhe an. Danach befestigt sie eine Lederleine an meinem Halsband.
„Na komm, BEI FUSS!“ befiehlt sie und öffnet die Haustür.
Sie führt mich auf den Weg, der zu den Sportanlagen führt.
Die Spaziergänge empfinde ich eigentlich als recht angenehm, denn Frauchen lässt die Leine recht locker. Die Villen sind alle ungefähr von der gleichen Größe wie die meiner Besitzer, alle Grundstücke verfügten über großzügige Vorgärten. Vermutlich ist es ein Rückzugsort der wohlhabenderen Gesellschaftsschicht.
Nach einigen Minuten treffen wir auf eine andere Frau, die gerade mit ihrer Hündin spazieren geht. Frauchen scheint sie zu kennen und begrüßt sie, doch meine Aufmerksamkeit richtet sich eher auf die Wahine, die die Frau an der Leine führt.
Neugierig nähern wir uns und stellen uns seitlich nebeneinander. Die andere Wahine dreht ihren Kopf zu mir und mustert mich neugierig. Unsere Frauchen haben bald ihren kleinen Plausch beendet, denn ich spüre einen kleinen Ruck an der Leine.
„Komm BEI FUSS, Kira!“ befiehlt sie und ich setze mich rasch in Bewegung.
Einige Zeit später treffen wir auf dem Dog-Agility-Platz ein. Hier sehe ich schon mehrere Wahine mit ihren Frauchen. Nur ein Herrchen kann ich erkennen. Wir nutzen die Geräte spielerisch. Darüber vergeht der Tag. Nach der Mittagszeit sind die meisten Leute hier. Am späten Nachmittag macht sich Frauchen auf den Weg zurück nachhause.
Dort angekommen bricht eine Wahine aus einer Hecke hervor und wirft Frauchen um. Frauchen hat große Angst und liegt zitternd am Boden, während die Wahine über ihr steht und sie mit einem bösartigen Gesichtsausdruck anknurrt. Dann lässt die Wahine aber von ihr ab, nachdem ich die Begrüßungsgeste gemacht hab. Mama LELE steht vor mir! Wir rollen vor Wiedersehensfreude über den Rasen.
Als Frauchen sich aufgerappelt hat, fragt LELE kurz:
„Weißt du, wo der Poki tane wohnt?“
„Ja!“ antworte ich ebenso kurz.
„Komm gegen Mitternacht dorthin! Kahuna Karl ist dann dort!“ sagt sie noch und verschwindet schnell hinter der Hecke.
In diesem Moment ruft Frauchen:
„KIRA, ZU MIR!“
Schnell laufe ich zu Frauchen und reibe meine Seite an ihren Beinen. Frauchen tätschelt mich und sagt mit immer noch vibrierender Stimme:
„Jaa, du bist mein liebes Hündchen! Du hast Frauchen vor dem bösen Hund gerettet! Komm schnell ins Haus!“
Beim Abendessen hat sie gegenüber Herrchen die Situation noch weiter aufgebauscht, so dass er sagt:
„Morgen gehe ich zum Sicherheitsdienst! Die werden einer böswilligen streunenden Hündin schnell Herr werden!“
Ich kann nun leider nicht mehr nach draußen, um andere Wahine aufzufordern, an den Strand zu kommen, auf dem Grundstück, auf dem der Poki tane wohnt.
Als die Herrschaft schläft, versuche ich das Haus zu verlassen. Ich weiß, ich muss dafür in einem Kasten im Flur alle Schalter umlegen, damit der Alarm ausgeschaltet ist. Einer der Schalter ist dafür zuständig. Es ist mehr als ungewohnt, mich auf die Hinterbeine zu stellen, um das zu tun, aber ich habe es schnell geschafft.
Anschließend laufe ich zur Terrassentür, öffne sie, schlüpfe hindurch und ziehe sie wieder zu. Man wird morgen früh das ganze Fale auf der Suche nach mir umkrempeln. Bis man merkt, dass ich das Fale verlassen habe, dürfte es Mittag geworden sein.
Danach laufe ich die kurze Strecke zum Fale, wo der Poki tane wohnt. Über ein Dutzend Wahine liegen dort schon am Strand. Dann kommt ein Auslegerkanu und nimmt drei Wahine auf. Nachdem sie in der Dunkelheit verschwunden sind und immer noch Wahine ankommen, ist wenige Minuten später ein weiteres Auslegerkanu da. Auch das nimmt drei Wahine auf. So geht das bis keine Wahine mehr da sind. Ich habe mitgezählt. Als LELE fragt:
„Lassen wir niemand zurück? Waren das alle?“ kann ich zustimmend nicken. Wir steigen mit dem Poki tane zusammen in das letzte Ausleger-Kanu.
Als wir den Vaka -Reisekatamaran- von Kahuna Karl erreichen, sehe ich auch Tangata aus dem Wasser steigen.
„Habt ihr das Schiff gefesselt?“ fragt Kahuna Karl, und sie nicken mit breitem Grinsen.
„Auch die breiten Kanus überall!“ geben sie zurück.
Nun lächelt auch der Kahuna. Er sagt:
„Okay, wenn die anderen Kahuna der gleichen Meinung sind, starten wir!“
Schnell sprechen sich die Kahunas untereinander ab und es geht los. Als der Morgen anbricht, fahren die Tangata -Männer- in eine Bucht und legen alle Masten um. Sie wollen nur des Nachts segeln.
Am Nachmittag überfliegt uns ein Hubschrauber. Aber die Kahunas sagen:
„Ruhe bewahren! Wir könnten ja auch einheimische Fischerboote sein…“
Dann erreichen wir das große Wasser. Nun steuern die Kahunas mit Hilfe der Sternennavigation einen Zickzack-Kurs, damit uns Suchflugzeuge nicht finden können. Mittlerweile habe ich in Erfahrung gebracht, dass die Tangata mit dem Ausdruck ‚Schiffe fesseln‘ meinen, dass sie zum Antrieb unter Wasser getaucht sind und Seile und Netze drumherum gewickelt haben. Wenn die Leute hier unüberlegt und ungeduldig die lauten Maschinen hochfahren, gehen sie kaputt. Im Extremfall kann sich das Öl erhitzen und zu brennen beginnen. Die Kanus und das weiße Vaka wären zerstört.