Samstag, 30. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 63
Wieder nickt Frau Mailänder. Nach einer Gedankenpause merkt sie auf:
„Ihre Doggies laufen nicht auf Händen und Knien…“
„Jaa,“ meint Herr Emmerich. „Sie sehen, wie leichtfüßig und schnell die Doggies in dieser Gangart sind? Sie sind nicht ganz so schnell wie echte Tiere… Googlen Sie bei Gelegenheit einmal den Begriff ‚BearCrawl‘. Dort wird diese Gangart als WorkOut-Gymnastik propagiert, damit sich die Büromenschen zum Ausgleich mehr bewegen.
Wenn Ihnen die Gangart eher zusagt, lassen Sie ihren Wuffel üben… Aber erwarten Sie keine schnellen Ergebnisse! Haben Sie Geduld! Meine Doggies nutzen diese Gangart schließlich auch schon Jahrzehnte…“
„Okay,“ meint sie. „Haben Sie vielen Dank erstmal. Ich denke, wir schauen uns noch etwas um und gehen dann schlafen.“
Sie erhebt sich und hält ihrem Wuffel die Tür des Restaurants auf. Dann gehen sie in den kleinen Park im Innenhof der INSULA.

*

Etwa anderthalb Jahre, oder drei Semester später erhalte ich eine Email, die mich etwas aus der Bahn wirft. In den vergangenen achtzehn Monaten habe ich die INSULA fast vergessen. Mein Petplay hat sich auf das Virtuelle beschränkt. Ich habe die Internetseiten besucht und mit den Leuten dort diskutiert. Nebenbei habe ich den BearCrawl geübt, den mir Herr Emmerich und seine Doggies gezeigt haben. Auch denke ich, dass ich inzwischen die Hunde, denen ich auf Spaziergängen begegne, sehr gut ‚lesen‘ kann.
Herr Emmerich hat mir am Ende meines Aufenthaltes in der neuerbauten INSULA versprochen, sich bei mir zu melden, wenn ihm ein Mann begegnet, den für würdig hält, Halter eines Doggies wie mich zu sein.
Der Absender der Email ist nun auch Herr Emmerich persönlich, nicht das ‚Freizeitresort Insula GmbH‘. Genau das macht mich so kribbelig, dass ich mich beinahe neben meinen Stuhl gesetzt habe, bevor ich sie öffne.
Ich schreibe zurück, dass ich zum nächsten Wochenende kommen kann. Dann besorge ich mir ein Zugticket und wenige Tage später stehe ich auf dem Bahnhof der Kleinstadt in der Nähe des Resorts. Dort gehe ich auf den Bahnhofsvorplatz, wo die Busse abfahren. Ich erinnere mich noch, welchen Bus ich bei meinem ersten Aufenthalt genommen habe. Dorthin wende ich mich jetzt und kaufe ein Ticket beim Busfahrer. Anschließend muss ich noch zwanzig Minuten auf den Start warten. Weitere Menschen steigen zu.
Schließlich fährt der Bus los und hält an der Einmündung mit dem großen Wohnblock im Hintergrund. Darauf wandere ich nun zu. Im Gegensatz zu früher geht der Weg nicht mehr durch endlose Wiesen. Rechts und links der Straße stehen nun Büsche und kleine Bäume.
Alles andere ist jedoch wie gewohnt. Ich erklimme eine Treppe, die an der Außenwand der INSULA emporführt und gehe in etwa sechs Metern Höhe durch eine Tür in ein Foyer. Eine Frau lächelt mir von einem seitlichen Tresen entgegen.
Ich zeige ihr einen Ausdruck der Email von Herr Emmerich, da ich diesmal keine Anrechtskarte, keine Reisedokumente, bekommen habe. Die Dame telefoniert kurz und sagt dann lächelnd:
„Setzen Sie sich kurz. Herr Emmerich wird gleich hier sein.“
Sie weist auf die Sitzgruppe gegenüber ihrem Tresen. Ich wende mich dorthin und warte vielleicht zehn Minuten. In dieser Zeit lese ich mich durch die ausliegenden Prospekte.
Herr Emmerich kommt die Treppe herunter. In seiner Begleitung befindet sich ein junger Mann, nur wenige Jahre älter als ich. Er muss wohl von weit her kommen. Ich bin mir nicht schlüssig, ob er aus Afrika, Madagaskar oder Australien kommt, denn er hat dunkle Haut und krauses Haar.
Der Mann redet mit Herrn Emmerich englisch und nennt ihn immer wieder Kahuna Karl. Wir gehen gemeinsam den Gang entlang, der uns in die Hundeschule führt. Da auch Herr Emmerich nun englisch spricht, verständige ich mich ebenfalls in dieser Sprache mit den beiden Männern.
Noch an der Sitzgruppe stellt er uns einander vor:
„Hallo Sabine, dies hier ist Faipa. Der Name bedeutet ‚Köder am Haken‘. Der Tangata arbeitet als Abdecker, das heißt, er übernimmt vom Metzger die Tierhäute und verarbeitet sie weiter. Ein Endprodukt ist zum Beispiel ein Schaffell-Teppich. Aber natürlich macht er noch viel mehr aus Tierhäuten.
Faipa, dies hier ist Sabine. Sie möchte als Wahine bei uns leben. Dafür war sie schon einmal hier und hat viel gelernt. Dabei hat sie den Name Bella, die Schöne, angenommen.“
Als wir die Hundeschule erreicht haben, finde ich dort wieder LELE und RAKA’U vor. Sie haben wie immer nichts an, außer dem Gurtgeflecht mit angefügten Taschen. Herr Emmerich fragt mich nun:
„Du weißt, dass unsere Wahine unbekleidet sind. Ich habe LELE UND RAKA’U, die du ja kennst, hinzugeholt. Vielleicht fällt dir das Ausziehen so leichter. Oder möchtest du als Zwischenstufe, bis du genug Vertrauen hast, noch ein T-Shirt tragen?“
„Das wäre mir lieber, Herr Emmerich!“ antworte ich ihm.
„Okay,“ meint er. „Dann zieh‘ dich schonmal bis dahin aus.“