Sonntag, 24. Januar 2021
IWIPAPA - Stamm der Mutter Erde - 57
Ich heiße Sabine und bin nun schon zwei Stunden auf dieser langweiligen Party. Warum habe ich mich bloß von Anita überreden lassen? Gut, sie ist meine beste Freundin und hat mich beinahe angebettelt, um nicht alleine zu gehen.
Während ich einen Schluck aus meinem Glas trinke, lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Außer mir befinden sich noch drei weitere Mädels und vier Kerle im Raum. Einige andere halten sich derweil nebenan auf. Aus zwei kleinen Boxen dröhnt Musik, leere Flaschen und halbvolle Gläser stehen auf dem Tisch. Ich habe es mir auf einer kleinen Couch am Rand bequem gemacht.
Die Musik ist nicht nach meinem Geschmack und die Ausstattung hier ist mir zu billig. Die Leute sind mir irgendwie zu jung, obwohl annähernd gleichaltrig und nicht annähernd hübsch genug. Leise seufzend stelle ich fest, dass einer der Kerle sich zu mir setzt.
„Hey Bine,“ grüßt er und lächelt mich an.
„Hi Noah,“ erwidere ich mit kühler Stimme und schaue gezielt an dem jungen Mann vorbei.
Es dauert ein paar Sekunden, bis er erneut etwas sagt: „Coole Party, findest du nicht?“
Ich verdrehe die Augen. Für diese Kerle ist jede Party cool, solange sie nur genug zu saufen hatten.
„Nja, ist nicht so mein Ding,“ umschreibe ich höflich mein Gefühl und hoffe, dass Noah mich in Ruhe lassen würde. Doch ich habe seine Hartnäckigkeit unterschätzt.
„Och, warum denn nicht?“ hakt er nach und mustert mich mit einem Stirnrunzeln.
Ich seufze nochmal und erwidere: „Ist einfach nicht mein Stil, okay?“
Noah hebt eine Augenbraue und steht von der Couch auf.
„Kein Grund, gleich schnippisch zu werden,“ murrt er und spaziert langsam wieder davon.
Ich schaue kurz auf meine Armbanduhr. Der Abend ist eigentlich noch jung, aber um noch etwas anderes zu unternehmen, habe ich eigentlich keine Lust. So hoffe ich, dass sich bald eine Gelegenheit ergibt, hier zu verschwinden.
„Hey, alles klar bei dir?“ fragt Anita, die sich in diesem Moment neben mich auf die Couch setzt.
Ich mache einen Schmollmund und zeige gleichzeitig Lachfältchen neben den Augen.
„Mir ist bloß langweilig,“ erwidere ich.
„Aber warum denn?“ fragt sie. „Feier doch einfach mit uns, hier ist doch gute Stimmung!“ Sie stupst mich dabei mit dem Ellenbogen an.
„Hey Anita, komm mal rüber!“ ruft einer der Kerle und zwinkert meiner Freundin zu. Sie schaut mich noch kurz an, zuckt mit den Schultern und erhebt sich.
Eine halbe Stunde später entscheide ich, dass ich nun lange genug geblieben bin, um nicht zu unhöflich zu erscheinen. Ich trinke mein Glas leer, stelle es auf den Tisch, erhebe mich und mache mich auf den Weg nach draußen.
Etwas später erreiche meine Studentenbude. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und gehe erst einmal ins Wohnzimmer. Im Vorbeigehen schalte ich den großen Bildschirm ein und öffne die Vitrine meines Schranks. Nach all dem billigen Zeug bin ich froh, vor dem Schlafengehen noch einmal etwas Anständiges zu trinken.
Noch einmal werde ich mich bestimmt nicht mehr von Anita überreden lassen, auf eine der Klassenpartys mit den Langweilern von früher zu gehen.

*

Erst am nächsten Vormittag quäle ich mich aus dem Bett. Mir fehlt heute irgendwie jeglicher Antrieb. Ich habe noch drei Wochen Ferien. Zwar haben meine Eltern angefragt, ob ich über die Semesterferien nicht nach Hause kommen würde, aber ich habe höflich abgelehnt.
In der letzten Semesterwoche habe ich eine Email an eine Organisation oder Firma geschickt, die sich ‚Die INSULA‘ nennt. Diesen Begriff habe ich in einem Forum aufgeschnappt und ich bin gleich wie elektrisiert gewesen. Ich habe mich informiert und mit den Leuten getextet. Daraufhin hat man mir ein Formular zum ausfüllen zugesandt, das ich am gleichen Abend noch zurückgeschickt habe. Nun muss ich mich ein paar Wochen gedulden, hat es geheißen.
Nachdem ich mich im Badezimmer frisch gemacht habe und in der Küche eine Kleinigkeit gegessen habe, gehe ich an meinen Laptop, verbinde ihn mit dem Internet und warte einen Herzschlag lang. Plötzlich ploppt eine Benachrichtigung auf. Mit zitternden Fingern öffne ich mein Postfach.
Endlich! Die erwartete Email von ‚Die INSULA‘ ist eingetroffen. Ich lasse mich in den Bürostuhl fallen und öffne die Email. Sie enthält die Vertragsunterlagen für einen Aufenthalt in der dortigen Hundeschule für menschliche Hunde, Doggies.
Kurz überfliege ich sie und drucke die Anrechtskarte aus. Ich unterschreibe sie und scanne sie wieder ein. Diesen Scan schicke ich nun per Email zurück. Den Ausdruck werde ich im Foyer als Legitimation brauchen, habe ich gelesen. Auch ein Terminvorschlag ist mir unterbreitet worden. In der Rück-Email gehe ich darauf ein und merke, wie ich zunehmend unruhiger werde. Gleichzeitig fühle ich eine tiefe Genugtuung.
Die folgenden zwei Tage verbringe ich zum großen Teil vor dem Laptop. Meine anfängliche Unsicherheit verfliegt vollständig. Niemand sonst weiß etwas von der Sache. Das ist eine Angelegenheit, die ich nur mit mir alleine ausmachen möchte.
Schließlich setze ich mich in den Zug und nehme danach einen Bus. Der Überlandbus hält an einer Einmündung. Ich steige aus und gehe auf den einzelnen riesigen Betonblock zu, der im Hintergrund zu sehen ist.
Je näher ich komme, desto mehr nimmt der Block von meinem Gesichtsfeld ein. Im unteren Bereich ist er vollkommen fensterlos. Große Stahltüren in blauer Farbe in regelmäßigen Abständen bringen etwas Abwechslung. Im oberen Bereich reiht sich Fenster an Fenster. Zum Teil sind es sogar türhohe Fenster mit Balkongitter als Absturzsicherung davor.
In der Mitte der hochaufragenden Wand führen zwei Treppen zu einem Vorsprung auf Höhe der ersten Fensterreihe. Das Ganze wirkt überwältigend auf mich. Wieviel hundert Menschen mögen darin Platz finden, wenn es voll belegt ist? Ich erklimme eine der Treppen und stehe bald vor einer doppelflügeligen Glastür.
Nachdem ich hindurch gegangen bin, sehe ich mich in einem Foyer stehen. Im Hintergrund winden sich Treppen um einen Aufzug. Seitlich steht ein Tresen, hinter dem eine Frau mir entgegen lächelt.
Ich gehe auf sie zu und zeige ihr die ausgedruckte Anrechtskarte. Die Frau begrüßt mich höflich und tippt meinen Namen in ihren Laptop. Anschließend bestätigt sie mir, dass ich in ihrem System vorhanden bin. Nun nimmt sie den Handapparat ihres Telefons und spricht kurz hinein.
„Setzen Sie sich bitte kurz!“ bietet sie mir an. „Sie werden sofort abgeholt.“
Ich schaue mich um und gehe auf die Sitzgruppe im Hintergrund zu. Meine Rucksacktasche nehme ich vom Rücken und stelle sie zwischen meine Beine.
Es dauert einige Minuten, bis ich jemand vom Treppenhaus herkommen höre. Es ist ein Mann mit sonnengebräunter Haut. Er orientiert sich kurz und kommt dann lächelnd auf mich zu.
„Hallo, ich bin Karl Emmerich,“ stellt er sich vor. „Sie sind Sabine Albert?“