Sonntag, 26. April 2020
FLY, der Puppy (4)
Anschließend verlassen wir den Laden und schlagen den Heimweg ein. Unterwegs schaut mich Max an und fragt flüsternd:
„Warum hast du das extra gesagt?“
Man sieht ihn die widerstreitenden Gefühle regelrecht an. Einerseits tief beschämt, andererseits hochgradig erregt. Sein Herz klopft förmlich bis zum Hals.
„Weil es wahr ist!“ sage ich und zwinkere ihm zu. „Horch einmal in dich hinein. Was fühlst du dort? Erregt es dich, einen Hund darzustellen?“
Max wird wieder rot im Gesicht. Er wechselt das Thema:
„Das hat sie bestimmt noch nie erlebt!“
Ich grinse übers ganze Gesicht und antworte:
„Das stimmt! Sie wird heute Abend ein interessantes Thema beim Abendessen haben. Alle Anwesenden werden mit offenem Mund an ihren Lippen hängen…“
Plötzlich kommt mir etwas in den Sinn und ich spreche es aus:
„Da fällt mir ein, ich könnte dir eben auch noch das kleine Waldstück am Ortsrand zeigen. Dann weißt du, was dich erwartet, wenn du die nächsten Male zu mir kommst.“
Ich biege in eine Nebenstraße ein, deren Verlauf wir bis zum Ortsende folgen. Dort gehen wir ein Stück am Straßenrand entlang, rechts der Waldrand, links Felder, bis wir einen Waldweg erreichen in den wir einbiegen.
„Hier könnte ich outdoor Doggie sein…“ stellt Max fest und schaut mich treuherzig von der Seite an.
„Aber ja,“ bekräftige ich, und ergänze: „Hier und in den angrenzenden Feldern draußen, sobald das Korn hochsteht.“
„Und was sagen die fremden Leute bei zufälligen Begegnungen?“
„Keine Angst!“ beruhige ich Max. „Wir tun ja niemandem etwas. Die Reaktionen können durchaus unterschiedlich sein, aber aggressiv wird schon niemand werden!“
Wir gehen noch ein Stück des Weges bis zu einem Gebäude hinter einem Zaun.
„Dies ist ein historischer Bauernhof, den man restauriert hat. Komm, wir gehen zur Straße zurück. Allerdings nehmen wir den linken Abzweig.“
Auf dem anderen Weg zur Straße zurückgehend, kommt uns nach wenigen Minuten kommt uns eine Reiterin hoch zu Ross entgegen. Wir gehen langsam auf der gegenüberliegenden Seite des Weges am Rand der Vegetation entlang und lassen das Pferd passieren. Ich nicke der Reiterin freundlich lächelnd zu, die den stummen Gruß erwidert.
Max fragt mich nach wenigen Minuten:
„Kommt das öfter vor, dass hier Pferde laufen? Und was mache ich dann, wenn ich in meiner Rolle bin?“
„Hier kannst du jedem begegnen,“ antworte ich und versuche, beruhigend auf ihn einzuwirken. „Frauen mit Kinderwagen, Paaren mit einem Hund, jetzt mal einem Pferd… Wichtig ist immer: Ruhe bewahren!“
Dann haben wir die Landstraße erreicht, überqueren sie und gehen in das dem Wald gegenüberliegende Feld hinein. Dem Feldweg folgend erreichen wir den Ortsrand an einer anderen Stelle und sind eine Viertelstunde später in meiner Wohnung zurück.

*

„Könnte ich einmal allein mit dir sprechen, Sascha?“ fragt mich Max während der großen Pause.
„Na klar, Max,“ antworte ich ihm betont lässig.
Max ist wie ich in der Abiturklasse unserer Schule. Wir sind schon einige Jahre miteinander befreundet und im Augenblick lernen wir gemeinsam für die schriftlichen Prüfungen.
‚Bestimmt hat er ein Problem in der Infinitesimalrechnung, oder so…‘ denke ich.
„Magst du heute Nachmittag zu mir kommen?“ biete ich ihm also an.

*

Am Nachmittag klingelt Max bei uns und Mama lässt ihn herein. Anschließend sitzen wir uns am kleinen Tisch in meinem Zimmer gegenüber. Er wirkt ziemlich durch den Wind. Schließlich richtet sich sein unsteter Blick auf mich und bleibt an mir hängen.
Erwartungsvoll halte ich seinem Blick stand.
„Ich muss dringend mit dir sprechen, Sascha,“ beginnt er, und wieder wandert sein Blick unstet durch mein Zimmer.
Endlich hält er sich mit seiner linken Hand an der Tischkante fest und schaut mir in die Augen.
„Ich kann es nicht rational erklären,“ beginnt er. „Es geht eher um etwas, das nur fühlbar ist. Das du nämlich anders bist. Anders als die Anderen.“
„Inwiefern?“ frage ich und schaue dabei etwas ‚dumm aus der Wäsche‘…
„Tiere sind Gefühlsmenschen, sagt man. Sie reagieren nicht rational, sondern spontan und gefühlsmäßig. Und manchmal habe ich das Gefühl, du bist so ein ‚Gefühlsmensch‘…
Nun habe ich immer öfter das Bedürfnis die verstandesmäßige Ebene zeitweise zu verlassen. Auf der gefühlsmäßigen Ebene zu agieren empfinde ich so wunderbar entspannend – gerade jetzt, während mich das Lernen fürs Abitur ziemlich stresst. Geht es dir vielleicht auch so?“
„Nun jaa,“ dehne ich meine Antwort.
Max gibt sich einen Ruck: „Hast du schon einmal etwas von Petplay gehört? – Darum habe ich eben den Vergleich zu Tieren gezogen…“
Ich schaue ihn mit großen Augen und offenem Mund an.
„Nun jaa,“ beginne ich neu. „Es stimmt schon. Wenn ich alleine zuhause bin, gehe ich schonmal auf alle Viere zu einem sinnfreien Spiel mit Hundespielzeug. Es ist wirklich so: Es entspannt tatsächlich…
Tut mir leid, wenn ich das in den Alltag ausstrahle und dich damit verunsichert habe…“
„Nein, sorry, du hast mich nicht verunsichert!“ beeilt er sich, mir zu versichern. „Jetzt im Abiturstress habe ich nach Möglichkeiten zu entspannen gesucht, und bin im Internet auf Petplay gestoßen – und auf Kommentare von praktizierenden Petplayern, dass sie nach dem Spiel immer total entspannt sind. Wie bist du denn darauf gekommen?“