Dienstag, 28. April 2020
FLY, der Puppy (6)
Wir reden noch eine Weile über alles Mögliche, dann verabschiede ich, Sascha, mich von Max. In den folgenden Tagen eröffne ich ein eigenes Profil in der Community. Dort sind die Männer tatsächlich in der Überzahl. Aber nicht alle gefallen sich in der Rolle eines Rüden beim Rollenspiel. Es gibt dort auch sogenannte Owner, die sich um Doggies kümmern, wie Menschen sich um echte Hunde kümmern würden. Eine Spiel-Session mit solch einem Owner interessiert mich. Ich wühle mich durch die Mitgliederliste und suche nach einem Owner, den es anzusprechen lohnt. Bald bin ich demoralisiert, denn die überwiegende Mehrheit der Mitglieder hat sexuelle Hintergedanken oder mag Sadomaso.
Dann ist es Wochenende und ich fahre mit meinen Eltern zu meinem Patenonkel. Wieder zuhause schaue ich in mein Postfach in der Community. Nachdem ich die ersten Nachrichten durchgelesen habe, beginne ich Nachricht für Nachricht zu löschen. Es sind ausnahmslos unmoralische Angebote.
‚Ja, gibt es denn keine normalen Leute? So wie Max und ich…‘ denke ich und erinnere mich über die Berichte von Max über diesen Peter.
Normale Leute sind anscheinend dünn gesät oder viel weniger aktiv in der Community, als die Sorte der Leute, die mein Postfach zumüllen…
Beim nächsten Treffen mit Max spreche ich das Problem an. Max macht ein säuerliches Gesicht und nickt dazu.
„Das ist tatsächlich ein Problem! Aber du kannst solche Angebote ja löschen und diese Community-Mitglieder für dich blockieren. Dann werden solche Nachrichten mit der Zeit weniger! Eine Handvoll Leute, die ihr Petplay nahe an der Beziehung zwischen Menschen und echten Tieren ausrichten, findest du auch auf WhatsApp. Dazu müsstest du natürlich aus der Anonymität heraustreten, die du in der Community hast.“
„Stimmt,“ antworte ich. „Ich muss meine Telefonnummer angeben. Dazu braucht es schon eine Menge Vertrauen…“
Max meint:
„Ich mache dir einen Vorschlag: Ich rede mit Peter, ob er einen zweiten Doggie trainieren möchte, und dann fahren wir an einem Wochenende dorthin, an dem wir beide Zeit haben. Du lernst ihn live kennen, und gewinnst allmählich Vertrauen.“

*

Nach einem halben Dutzend Sessions, ich habe Max inzwischen eine Abo-Card von der Bahn besorgt, meldet er sich und fragt:
„Peter, ich habe meinem besten Freund vom Petplay und unseren Sessions erzählt. Nun möchte auch er erleben, wie es ist ein Doggie zu sein. Wir haben uns hier schon ein paarmal getroffen und gespielt. Aber er möchte mehr über das Verhalten von Hunden erfahren und die Hundekommandos erlernen. Darf ich ihn einmal mitbringen?“
Ich ziehe lächelnd die Augenbrauen hoch.
‚Das kann ja lustig werden, wenn ich hier bald ein Rudel junger Rüden beaufsichtigen muss,‘ denke ich, ‚soviel Platz habe ich gar nicht…‘
Aber ich bin neugierig geworden und sage zu.

*

Nach dem Abitur beginnt Sascha eine Ausbildung in unserer Heimatstadt. Ich, Max, kann mich dagegen noch nicht entscheiden, was ich werden will, und habe mich beim Bundesfreiwilligendienst gemeldet. Nun soll ich die nächsten fünfzehn Monate bei einem Verein unterkommen, der ein Sozialkaufhaus betreibt.
Bevor das geschieht fahre ich mit Sascha zu Peter. Wie üblich treffen wir ihn am Bahnhof seiner Heimatstadt und fahren mit dem Bus zu seiner Wohnung. Sascha hat auf meinen Rat hin eine Leggins und ein Tshirt dabei, genau wie ich. In Peters Wohnung ziehen wir die Sachen an. Dann setzen wir uns erst einmal bei Cola und Chips ins Wohnzimmer und Peter steht Sascha Rede und Antwort.
Danach zeige ich Sascha unter Peters Regie einige Gesten, mit denen sich Hunde unterhalten, und Peter erklärt Sascha Hundekommandos, die dieser sofort ausführen soll. Peter lobt Sascha für seine Mitarbeit und verteilt Gummibärchen als Leckerlies.
Schließlich nimmt Peter einen Knotenball und wirft ihn leicht in eine Zimmerecke. Sascha wendet den Kopf und verfolgt den Ball mit den Augen. Dann schaut er wieder neugierig auf Peter. In der Zwischenzeit bin ich auf allen Vieren losgelaufen und bringe den Ball zwischen die Zähne geklemmt zu Peter zurück.
Peter lächelt mich an, gibt mir ein Leckerlie, nimmt den Ball und sagt zu Sascha:
„Siehst du, das nennt man Apportieren. Du hättest auch hinterherlaufen können. Vielleicht hättest du dann ja den Ball als Erster geschnappt und fürs Zurückbringen ein Leckerlie eingeheimst… Da ihr nun zu zweit seid, hättest du FLY auch den Ball auch abjagen können, indem du ihn so irritierst, dass er den Ball kurz fallen lässt. Aber bitte ohne Beißereien!“
„Wie geht das denn – ohne Kampf um den Ball?“ fragt Sascha zurück.
„Tjaa,“ antwortet Peter gedehnt. „Störe ihn durch anstupsen bis hin zum Umwerfen, damit er den Ball kurz loslässt… Aber achte darauf: Wenn FLY dich anknurrt, lass von weiteren Störaktionen ab! Solches Drohen solltet ihr untereinander beachten und auf Abstand gehen!“
„Mal etwas Anderes!“ wirft Sascha ein: „Müssen wir eigentlich immer mit Leggins und Tshirt spielen?“
„Von ‚MÜSSEN‘ kann keine Rede sein!“ antwortet Peter.
Er öffnet die Bildergalerie seines Handys, sucht ein Bild heraus und zeigt es uns. Es zeigt eine junge Frau mit einer Haarspange, an der Hundeohren befestigt sind. Sie trägt einen schwarzen Overall.
„Der Overall besteht aus Lycra im ‚Wetlook‘,“ erklärt Peter. Es ist also ein textiles Kostüm, statt solcher aus Leder oder Latex, die euch ein kleines Vermögen kosten. Man kann den Overall auch in braun bekommen. Damit könntet ihr draußen in Feld und Wald Doggies sein, ohne dass mögliche Passanten daran Anstoß nehmen. – Durch eine Fußgängerzone irgendeiner Innenstadt würde ich damit an eurer Stelle trotzdem nicht laufen!“