Montag, 27. April 2020
FLY, der Puppy (5)
„Das ist schon ein paar Jährchen her. Da habe ich das Internet nach interessanten Sachen durchsucht. Ich bin auf alles Mögliche gestoßen, unter anderem auch Sadomaso…“
Max schaut mich mit großen Augen an. Ich schüttele den Kopf und erzähle:
„Nein, da habe ich mich nicht lange aufgehalten! Ich habe mich da hinein-gelesen und war schockiert – wie du jetzt auch -, dass es Leute gibt, die es geil finden geschlagen und anderweitig gequält zu werden. Einige ließen sich vor den Mitspielern auf die Knie nieder und liefen dann auf alle Vieren. Darüber wollte ich mehr erfahren. Bald geisterte der Begriff ‚Petplay‘ durch die Texte.
Ich suchte im Internet speziell nach diesem Begriff und fand ein paar Communitys. In Zweien meldete ich mich als ‚18jähriger‘ an – und bei einer bin ich seit-her geblieben. Dort habe ich erfahren, dass Petplay nicht zwingend etwas mit Sadomaso zu tun haben muss. Allerdings tragen viele Community-Mitglieder Outfits, deren Wert in die Tausende Euros gehen kann.“
Max runzelt die Stirn. Deshalb ergänze ich schnell:
„Aber auch das ist nicht zwingend nötig. Es reicht ein Halsband, um sich in den sogenannten ‚Petspace‘ zu bringen. Natürlich kann man sich auch weitere Assessoirs kaufen, wie einen Haarreifen mit Tierohren, eine Hundedecke, einen Napf, Hundespielzeug… Das meiste gibt es für wenig Geld in Tierzubehörgeschäften.“
„Ah, interessant,“ antwortet Max jetzt. „Und wie spielt man dieses Petplay?“
„Komm in ein paar Tagen gerne noch einmal her,“ biete ich ihm an. „Ich texte dich an, wenn meine Eltern Einkaufen fahren. Dann reden wir über die Ausgestaltung einer Session und probieren einmal dies und das.“
„Einer – was?“ platzt es aus ihm heraus.
Ich schaue ihn halb skeptisch, halb belustigt an.
„Einer Session,“ sage ich. „Ein Nachmittag halt, an dem du deinen Tiercharakter herauslässt und dich quasi gehen lässt. Du machst quasi Urlaub vom Alltag, vom Menschsein. Gib dich ganz dem hin, was du fühlst. Lass deinen Tiercharakter in dir das Kommando über deine Handlungen übernehmen.
„Ah, okay,“ meint Max.
Er wirkt ein wenig verunsichert, oder sind es zuviel Informationen auf einmal gewesen?
„Mach langsam!“ rate ich ihm deshalb. „Alles braucht eben ein Weilchen. Jetzt haben wir erst einmal darüber gesprochen. In den nächsten Tagen lässt du das Ganze einfach sacken.“

*

Die nächsten Wochen ziehen ins Land. Die Zeit der Abiturprüfungen kommt und das Petplay muss erst einmal zurückstehen. Peter hat dafür auch Verständnis. Trotzdem probiere ich, Max, in stillen Stunden mein Faible in meinem Zimmer zuhause aus und stelle dabei allmählich fest, dass es wirklich wunderbar entspannt. Ich versinke mehr und mehr in einer anderen Welt und bin regelmäßig überrascht, wieviel Zeit darüber vergeht.
Nach den Abiturprüfungen treffe ich mich zuerst mit Sascha zu einem Spielnachmittag – einer Session -. Wir gehen dazu in den nahen Park. Dort gibt es auch einen kleinen Baumbestand und Büsche. Mein Herz klopft bis zum Hals. Dies ist meine erste Outdoor-Session.
Sascha drückt einen gelben Tennisball aus seiner Hosentasche. Der Ball fällt zu Boden und er kickt ihn mit einer ‚Vorderpfote‘ etwa zwei Meter weg.
„Komm spielen!“ fordert er mich auf und krabbelt auf Händen und Knien hinter dem Ball her. Ich nutze den ‚Bear Crawl‘, der mir Peter beigebracht hat, und überhole ihn. Als Erster am Ball gebe ich dem Spielzeug einen Stoß, dass es im nahen Gebüsch verschwindet.
„Oh,“ mache ich und lächele verlegen.
„Nicht schlimm,“ meint Sascha. „Als Doggies machen wir es den Hunden nach: Jeder von uns möchte in den Besitz des Balles kommen. Also krabbeln wir beide von verschiedenen Seiten ins Gebüsch und versuchen, als Erster an das Spielzeug zu kommen.“
Gesagt, getan. Nach ungefähr einer Stunde angeregtem Spiel sage ich Sascha, dass es Zeit sei, nachhause zurück zu gehen. Diesmal bei mir zuhause, setzen wir uns auf meine Schlafcouch und unterhalten uns über die Session und über das Petplay allgemein.
Ich erzähle ihm, dass ich mich ebenfalls auf einer Petplay-Community angemeldet habe. Dann hole ich meinen Laptop hervor, fahre ihn hoch, melde mich in der Community an und unterhalte mich im Community-Chat mit den gerade anwesenden Leuten. Auftauchende Fragen von Sascha besprechen wir sofort, oder ich leite sie in den Chat weiter.
Nach einiger Zeit schalte ich meinen Laptop wieder aus und rutsche von der Couch in den Vierfüßler-Stand. Ich beuge die Arme, komme so mit dem Oberkörper tiefer und fiepe ein paar Mal. Sascha grinst mit hochgezogenen Augenbrauen und fragt, was das bedeuten soll.
Also setze ich mich mitten im Raum auf den Boden und erkläre:
„Das war die Spielverbeugung. Je nach Situation will der Hund damit sagen ‚Komm, spiel mit mir‘ oder ‚Ich bin harmlos. Ich will nur spielen‘. Hunde kommunizieren untereinander und mit ihren Menschen mittels Gestik und Mimik. Dabei hat alles, je nach momentaner Situation, mehrere Bedeutungen. Du lernst aber ziemlich schnell, was der Hund will. – Du sagtest vor Wochen selbst, dass wir unser Verhalten nahe am Verhalten echter Hunde orientieren sollten.“
„Du weißt aber schon eine Menge,“ meint Sascha anerkennend.
„Nun, im Gespräch mit den Community-Mitgliedern erfährst du eine Menge. Natürlich will dir da jeder SEINE Art des Petplay näherbringen. Außerdem… Ich glaube, es ist Zeit, dir zu beichten, dass ich seit kurzem live spiele. Ich gehe an einigen Wochenenden zu Sessions zu einem erwachsenen Petplayer. Dort kann ich das ausleben, über das wir im Forum der Community und im Chat nur texten können.“
Sascha schaut mich mit großen Augen an und antwortet schnell:
„Ein Mann? Ein Homo? Ihr habt Sex miteinander?“
Ich schüttele den Kopf und erkläre ihm:
„Es mag in der Community vielleicht Homos geben – vor allem, weil die Männer dort in der Überzahl sind. Aber Peter ist das nicht! Er sagt, dass Menschen ja auch nicht mit ihren Tieren Sex haben. Wenn das vorkommt, wird das als Sodomie geächtet.
Er bezeichnet sein Petplay als asexuell, was natürlich nicht bedeutet, dass er Abstand hält. Menschen streicheln ja auch ihren Tieren durch das Fell und lassen sie sich ankuscheln… Du hast doch in der Schule auch den Unterschied zwischen ‚Agape‘ und ‚Sexus‘ erklärt bekommen.“

*