Cherie - 07
Als ich Lena davon erzähle ist sie traurig. Sie sackt förmlich in sich zusammen. Ich ziehe sie an mich, gebe ihr so das Gefühl, dass ich sie stütze und sage:
„Wir schaffen das, Cherie. Die Ausgaben kann ich auch alleine stemmen. Du kümmerst dich dann einfach um den Haushalt, wenn du wieder ganz auf dem Damm bist.“
Sie schaut mich lächelnd an, umarmt mich und gibt mir einen Kuss, den ich gerne erwidere.

*

Die Dauer ihrer Krankschreibung ist fast zu Ende. Ich sitze im Wohnzimmer an meinem Schreibtisch und mache schnell noch die Korrespondenz, während Lena in der Küche etwas Besonderes zaubern will, wie sie mir beim Nachhause kommen gesagt hat.
Da höre ich ein Poltern und Klirren. Ich springe auf, dass der Schreibtischstuhl umkippt und Taps aufheult. Schnell bin ich in der Küche und sehe Lena zuckend am Boden liegen. Ich versuche sie anzusprechen, doch sie reagiert nicht. Ich rufe sofort den Notarzt und beschreibe ihm kurz das Bild, das sich mir bietet. Er sagt, sie wären gleich da, ich solle versuchen, Lena etwas zwischen die Zähne zu schieben. Dumm dreinschauend tue ich, wie mir geheißen.
Dann klingelt es auch schon an der Tür. Eine kurze Untersuchung, dann schnallt man Lena auf die Trage und verlässt unsere Wohnung. Ich kann Taps gerade noch zurückhalten, bevor sie ebenfalls die Wohnung verlässt – den Männern hinterher. Die Hündin auf den Arm nehmend, frage ich noch, wo sie Lena hinbringen. Der Notarzt nennt mir ein anderes Krankenhaus als das, aus dem sie gerade entlassen wurde und dort würde sie auf die neurologische Station kommen.
Dort sagt man mir, dass sie einen epileptischen Anfall erlitten hat und man sie auf ein Medikament einstellt, das sie von nun an täglich nehmen soll. Eine Woche bleibt sie dafür in der Klinik.
Ich habe mir zwei Wochen Urlaub genommen. In der Petplayer-Community im Internet ist ein Event angekündigt worden, das bei Hamburg stattfinden soll. Der dortige Stammtisch hat die Federführung. Lena weiß davon. Ich habe ihr frühzeitig davon erzählt und ihr angeboten, sich die Sache einmal anzuschauen. Neugierig hat sie zugesagt.
Durch die gesundheitliche Sache wäre der Termin für uns beinahe in die Hose gegangen, denn ohne Lena wäre ich nicht gefahren. Nun klappt es doch noch.
Ich kaufe zwei Transportkäfige und entferne mit einer Zange zwei Schmalseiten. Dann verbinde ich beide Käfige miteinander, so dass ein langer Käfig entsteht. Den Boden polstere ich mit mehreren Decken aus und schiebe ihn in meinen Kombi. Der Wagen hat getönte Seitenscheiben. Niemand kann also von draußen herein schauen. Damit der lange Käfig auf die Ladefläche passt, lege ich auch noch die Rücksitze um.
Zwei Tage nachdem Lena aus der Klinik entlassen wurde, fahren wir los. Anfangs sitzt Lena noch neben mir bis wir kurz vor Hamburg sind. Dann fahre ich auf einen Feldweg und Lena kriecht witzelnd rücklings in den Käfig. Zusätzlich bekommt sie von mir noch eine schwarze Augenbinde.
„Lass die Binde bitte auf bis ich sage, dass du sie abnehmen kannst,“ sage ich zu ihr und lächele sie an.
„Ist das hier eine Entführung?“ witzelt sie zurück.
Ich streichele ihr noch einmal kurz über den Kopf und schließe dann das Türgitter des Käfigs. Danach fahre ich wieder los. Mein Weg führt jedoch an Hamburg vorbei, weiter nach Schleswig-Holstein hinein.
Vor einer Dorfkirche mit einem Friedhof daneben halte ich an. Inzwischen ist es Spätnachmittag geworden. Ich drehe den Wagen, so dass die Front aus dem Weg herausschaut. Danach gehe ich nach hinten, öffne die Heckklappe und die Käfigtüre.
„Sag mal, wo hast du mich hier hin gebracht?“ sind ihre ersten Worte, während sie sich hoch stemmt und die Knie anzieht.
Ich schiebe ihr die Augenbinde in die Stirn und sie schaut sich um.
„Wo sind wir hier?“ fragt sie und schaut mich mit großen Augen an.
Sie weiß die Antwort schon, denn diese Umgebung ist ihr aus ihrer Kindheit bekannt.
„Ich habe mir gedacht, dass wir beide deine Mutter besuchen sollten, wenn sich die Gelegenheit ergibt,“ sage ich deshalb nur.
Inzwischen ist sie aus dem Käfig gerutscht und sitzt auf der Ladekante. Nun springt sie auf und hängt Sekunden später an meinem Hals, lachend und weinend gleichzeitig. Ich nehme sie in den Arm und gemeinsam schreiten wir an den Reihen der Gräber entlang. Wir halten uns locker an der Hand und ich lasse mich von Lena führen, während sie ihre Tapsy an der Leine hält.
Wir erreichen das etwas verwilderte Grab einer viel zu früh verstorbenen Frau. Lena bleibt stehen und schaut unverwandt auf den Grabstein. Ich umfasse ihre Schultern und verharre eine Weile stumm neben ihr. Dann sage ich mit gedämpfter Stimme:
„Das Wort ‘Liebe‘ verwendet man heutzutage etwas undifferenziert sowohl für die körperliche und für die seelische Liebe. Zwei Arten der seelischen Liebe gleichen sich wie eineiige Zwillinge: Die Liebe zwischen Mutter und Kind, und die Liebe zwischen Mensch und Tier…“
Unwillkürlich schaut Lena auf ihre Tapsy. Daraufhin hebt sie ihren Blick und schaut mich direkt an. Sie antwortet mit einer Frage:
„Und du möchtest, dass ich zu dir stehe, wie Taps zu mir?“
Ich zucke lächelnd mit den Schultern, schaue kurz in den Himmel und blicke ihr in die Augen.
„Möchtest du so gehegt werden, wie eine Mutter ihr Kind, oder ein Mensch sein geliebtes Tier? Ich achte auf dich, auf dein Wohl. Lasse nichts Unangenehmes an dich heran!“
Sie drückt sich noch enger an mich.
Nach einer Minute sage ich:
„Komm, wir bringen das Grab in Ordnung!“
Ich gehe zum Brunnen und hole von dort Wasser, während Lena auf die Knie geht und Unkraut zupft. Als ich zurückkomme, helfe ich ihr dabei. Nach einer halben Stunde verlassen wir den Friedhof und fahren Richtung Hamburg zurück. Lena sitzt eine Weile stumm neben mir.