Cherie - 13
Sie schaut dankbar zu mir auf und dreht sich in der engen Zelle. Die Tür drücke ich hinter ihr zu.
Dieter ist schon in die Küche gegangen. Nun lasse ich auch Taps von der Leine und hänge meine Jeansjacke an die Garderobe. Dieter ruft:
„Paul?“
„Ja?“
„Was würdest du Cherie als Nachtmahl bereiten wollen? Etwas leichtes, denke ich.“
„Was hast du denn für uns vorgesehen?“ frage ich zurück.
„Ein Kichererbsenmus mit Brot. Auf dem Mus sind verschiedene Früchte wie Datteln und so…“
„Oh, etwas Orientalisches! Interessant.“
Ich überlege.
„Mach‘ für sie doch einen Fruchtsalat zurecht,“ meine ich dann.
„Okay, kein Problem,“ antwortet er.
Inzwischen habe ich die Küche betreten und schaue ihm zu.
„Sag‘ mal,“ beginnt er dann. „Als Cherie dich auf der Wiese umgeworfen hat, hast du gelacht.“
„Ja?“
„Warst du ihr wirklich nicht böse?“
„Ich war im ersten Moment überrascht, sonst hätte sie mich nicht umwerfen können. Ich empfand diese Aktion als Spiel, als emotionaler Übermut aus Freude am Leben…“
„Daraus kann aber eine Umkehrung der Hierarchie entstehen! Dass sie testet, wie weit sie bei dir gehen kann, und das später zu ihren Gunsten ausnutzt. In der Hundeerziehung achtet man darauf, dass der Mensch stets die Position des Alphatieres des ‘Rudels‘ einnimmt. Da darf man keine Schwäche zeigen! Wenn du dir eine Doggie erziehst sollte es ähnlich verlaufen.“
„Ich sag‘ mal so: Bei Hunden verstehe ich das. Bei human Doggies gehe ich nach dem Prinzip ‘Ernst ist Ernst und Spaß ist Spaß‘! Alles zu seiner Zeit. Ungehorsam bei Kommandos dulde ich nicht. Aber nach dem Kommando FREI darf sie gerne mit mir spielen und dabei kurz die Situation bestimmen.“
„Und wie ahndest du eventuellen Ungehorsam bei Kommandos?“
„Erst einmal müssen sie wissen, wie ich mir die Ausführung eines Kommandos vorstelle. Dann schaue ich mir die Ausführung an, wenn ich ein Kommando gebe, und lobe oder korrigiere.“
„So ist es richtig. Was aber, wenn du ständig korrigieren musst?“
„Ich sehe ja, ob der Grund Unvermögen oder Unwillen, bzw. Übermut ist. Im ersten Fall passe ich die Ausführung des Kommandos an ihre Möglichkeiten an. Im zweiten Fall erkennt sie an meiner Mimik und am Tadel, dass ich nicht einverstanden bin. Hilft das nicht, ignoriere ich sie, wenn sie mal für Zärtlichkeiten und Kuscheln zu mir kommt.
Einen Roboter, die exakt und nur nach Kommando funktioniert, will ich nicht. Ich will ein Geschöpf, das Freude am Ausleben ihrer Gefühle hat. Ich weiß, dass das ein schmaler Grat ist, auf dem ich mich bewege und dass ich ständig die Balance halten muss. Dafür wird mir Cherie aber niemals langweilig!“
„Deine Maxime finde ich lobenswert!“ sagt Dieter.
Ein Geräusch an der Küchentür lässt mich umschauen. Ich sehe noch das Hinterteil Lenas, die sich in Richtung Wohnzimmer bewegt. Sie muss also zumindest meine letzte Aussage mitgehört haben. Schulterzuckend nehme ich das hin. Ich mag sie, nein, das ist zu schwach. Ich liebe meine Cherie. Darum habe ich ihr den Kosenamen gegeben, und ihn später als Namen für meine Doggie weiter verwendet.
Als Dieter soweit fertig ist, bringe ich Taps ihr Essen und beginne dann den Esstisch zu decken. Als Taps fertig ist, bin ich auch soweit Cherie ihren Teller vorzusetzen. Taps kommt zwar neugierig heran, aber lässt Cherie diesmal beim Essen in Ruhe. Anscheinend ist Fruchtsalat nicht ihr Favourit. Ich lächele in mich hinein.
Wir sind fast fertig, als Lenas Handy vibriert. Ich nehme das Gespräch an.
„Tiefenbach.“
„Biggi hier. Ist Lena in der Nähe?“
„Ja. Warte, ich gebe sie dir. – Cherie, setz dich, Biggi möchte dich sprechen.“
Cherie setzt sich seitlich auf, abgestützt vom rechten Arm, mit angewinkelten Knien und nimmt ihr Handy ans Ohr.
„Hi, Biggi. Ich bin’s. Wie geht es dir?“ fragt Lena.
Sie reden eine Weile miteinander, dann sagt Lena, dass wir gerade beim Essen sind. Sie verabreden sich dann für ein Gespräch in den nächsten Tagen.
„Was ist los?“ frage ich, nachdem Lena die Verbindung getrennt hat.
„Biggi hat Streit mit ihrem Herrn. Sie hat die Session von diesem Wochenende vorhin abgebrochen und wollte sich nun ihren Frust von der Seele reden…“
„Das wäre aber wichtiger als der Fruchtsalat gewesen,“ meine ich.
„Ja, aber ich war gerade nicht in der Stimmung. Ich wollte mir meine eigene ‘Session‘ nicht verderben lassen.“
„Das verstehe ich. Sie hätte dich vollkommen aus dem Dogspace geholt.“
Lena nickt. Ich frage dann noch:
„Wie seid ihr verblieben?“
„Wir wollen uns in den nächsten Tagen mal in einem Café treffen. Dort kann sie sich aussprechen und ich habe ein offenes Ohr für das, was sie bewegt.“
„Einen genauen Termin hast du noch nicht?“
„Nein, sie will die Zugverbindung heraussuchen und sich dann mit mir konkreter absprechen.“
„Okay,“ antworte ich ihr. „Dann iss weiter.“
Cherie lässt sich wieder auf alle Viere vor ihrem Teller nieder und senkt ihren Kopf über den restlichen Früchten. Man kann sehen, dass sie in Gedanken weit weg ist. Darum spreche ich sie nicht mehr an.
Schließlich ist sie fertig und schaut mit nachdenklichem Gesicht zu mir auf. Ich nehme eine Serviette und reinige ihr Mund und Wangen, was sie mit einem Lächeln quittiert. Spontan hebt sie die Arme, schlingt sie um meinen Hals und drückt mir ihre linke Wange an meine Brust. Dabei winkelt sie die Beine an, um besser aufrecht auf dem Boden sitzen zu können. Ich lasse sie gewähren und umfasse sie an den Achseln; drücke Lena an mich.
Nach einer halben Minute löst sie sich ein wenig von mir und schaut zweifelnd zu mir hoch. Ich schüttele verhalten den Kopf und lächele sie an.